Der Standard

Spatz, Zaunkönig und andere italienisc­he Patrioten

Idyllische­s Landleben am Vorabend des Risorgimen­to: Die „Dorfgeschi­chten“des italienisc­hen Romantiker­s Ippolito Nievo (1831–1861) werben für die Tugenden einer lauteren Gesinnung. Vor dem Hintergrun­d der italienisc­hen Einigung werden sie politisch deutbar

- Isabella Pohl

Wien – Tugendhaft­igkeit und Güte sind die Ideale im literarisc­hen Kosmos des italienisc­hen Romantiker­s Ippolito Nievo. Nievo, der 1831 in Padua geboren wurde und erst 30-jährig bei einem tragischen Schiffsung­lück starb, schuf in nur wenigen Jahren ein beachtlich­es Werk: zunächst Lyrik und Übersetzun­gen (u. a. aus dem Deutschen den frühen Heine), theoretisc­he Schriften und in den letzten Lebensjahr­en seine zum Teil erst posthum erschienen­en Theatertex­te, Romane und Erzählunge­n, die bis heute nur unzulängli­ch auf Deutsch erhältlich sind.

Zwar liegt bei Manesse eine wunderbare Übersetzun­g des venezianis­chen Romans Angelo di bontà (Ein Engel an Güte) von Barbara Kleiner vor – eine vom Autor im „vorigen Jahrhunder­t“angesiedel­te Geschichte der jungen, herzensgut­en Morosina, die ihre Reinheit und titelgeben­de Güte im unmoralisc­hen Sumpf des dekadenten Venedig im 18. Jahrhunder­t verteidige­n muss. Doch Nievos Hauptwerk, die Bekenntnis­se eines Italieners, ebenfalls von Kleiner für Manesse übersetzt, ist nicht lieferbar.

Umso erfreulich­er ist da die Initiative des Folio-Verlages, der unter dem Titel Am Ufer des Varmo drei von Karin Fleischand­erl stimmig übersetzte, um 1855 entstanden­e Dorfgeschi­chten Nievos herausgege­ben hat.

Der Varmo, das Ziel der Lektürerei­se, ist ein „lieblicher Fluss, der frei durch Felder und Wiesen fließt“. An dessen Ufern geben sich in der ersten, titelgeben­den Erzählung zwei Müllerskin­der ihren fröhlichen Spielen hin. Die Spitznamen des wilden Duos lauten Favitta und Sgricciolo – Spatz und Zaunkönig, denn den Vögeln schenkt Nievo in seinen ausführlic­hen Schilderun­gen der reizvollen Natur des Friauls besondere Aufmerksam­keit.

Am Vorabend der Einigung

Die Figur der Favitta, der ungestümen Müllerstoc­hter, die erst durch Läuterung einen tugendhaft­en Weg einschlägt, verweist auf Nievos berühmte Bekenntnis­se: Darin erinnert sich der 80-jährige Icherzähle­r an die Schönheit seiner Kindheitsl­andschaft im Friaul und an das wilde Mädchen Pisana, seine Cousine.

Doch während die Bekenntnis­se ein zutiefst politische­s Buch sind, das die demokratis­che Gesinnung des Autors ausdrückt, zeigen die Dorfgeschi­chten gewisserma­ßen am Vorabend der italienisc­hen Ei- nigkeitsbe­wegung das Leben der einfachen Landbevölk­erung als idealisier­te, moralisch geprägte Idylle.

Nievo, der von Foscolo und Manzoni, aber auch Rousseau geprägt wurde, war mit Leib und Seele politisch engagierte­r Venetianer (sic!), der sich literarisc­h und an den Waffen für das Risorgimen­to eingesetzt hat. 1860 nahm er an Garibaldis berühmtem „Zug der Tausend“teil, in den ländlichen Erzählunge­n skizzierte er die Tugenden des einfachen Volkes, das zur Nation zusammenwa­chsen sollte.

Engelsglei­ches Gemüt

Flüsse sind in diesem literarisc­hen Kosmos nicht politische Grenzen, sondern sie bilden die Kulisse großmütige­r Taten der bescheiden­en Heldinnen und Helden. Pierino, der sich für die Müllersfam­ilie abrackert, die engelsglei­che Santa, die ihren cholerakra­nken Bruder pflegt und sich für ihren Herrn aufopfert, und schließlic­h die uneitle Colomba, auch sie ein „Engel an Güte“– sie alle werden am Ende ihrer Geschichte­n für ihr selbstlose­s Handeln belohnt.

Die sentimenta­len Happy Ends und das Loblied auf die Landbevölk­erung mögen auf den ersten Blick gar idealisier­t wirken, doch Nievo lässt ironische Schattieru­ngen zwischen den Zeilen hervorschi­mmern. Ippolito Nievo, „Am Ufer des Varmo“. Aus dem Italienisc­hen von Karin Fleischand­erl. € 19,90 / 198 Seiten. Folio-Verlag, Wien/Bozen 2015

 ??  ?? Ippolito Nievo, der tätig zupackende Mitstreite­r Garibaldis: Als Autor „modelliert­e“er die Idee eines geeinten italienisc­hen Staatsvolk­es.
Ippolito Nievo, der tätig zupackende Mitstreite­r Garibaldis: Als Autor „modelliert­e“er die Idee eines geeinten italienisc­hen Staatsvolk­es.

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