Der Standard

Burka und Burkini – zwei Perspektiv­en

In der allgemeine­n Debatte um das Verbot von Burka und Burkini braucht es vor allem das eine: politische­s Augenmaß. Es könnte durchaus sein, dass Musliminne­n vor lauter Befreiungs­diktat mehr unterdrück­t werden.

- Joëlle Stolz JOËLLE STOLZ ist Journalist­in bei „Le Monde“. Sie war langjährig­e Korrespond­entin in Wien und auch in Algerien, Nigeria und Libyen tätig. Sie lebt heuer in den Niederland­en.

Reiner Zufall: Gerade in dem Moment, in dem sich Frankreich über den „Burkini“erhitzt – das Kleidungss­tück jener Musliminne­n, die Anstandsvo­rschriften respektier­end ins Wasser gehen wollen –, bringt Paris Match eine Fotoreport­age über den Wirtschaft­sminister Emmanuel Macron, der am eleganten (und keinesfall­s FKK-)Strand von Biarritz einen splitterna­ckten Urlauber grüßt, ohne dass dies zu schockiere­n vermag.

In Frankreich wird 2016 Nackheit toleriert, während eine verhüllend­e Kleidung die Öffentlich­keit erregt. Vor 40 Jahren bestrafte man Frauen, die es wagten, das Oberteil ihres Bikinis fallenzula­ssen, heute werden in einzelnen Gemeinden Frauen verfolgt, weil sie einen „Burkini“tragen. Über die Initiative einzelner französisc­her Bürgermeis­ter, die selbst bei Premier Manuel Valls Verständni­s findet, hat die westliche Presse nicht ohne Ironie berichtet. Und ein Muslim hatte mit einem kommentarl­os geposteten Foto katholisch­er Schwestern in voller Montur am Strand großen Erfolg.

Um eines klarzustel­len: Ich bin für das Verbot der „Burka“, der Vollversch­leierung – seit zwei Jahren in Frankreich gesetzlich verankert, wird diese Diskussion zunehmend auch in Österreich geführt. Vorerst aus einer prinzipiel­len Überlegung heraus: In einer Gesellscha­ft, die auf Demokratie und Gleichheit fußt, soll das Gesicht aller in der Öffentlich­keit sichtbar sein. Ich halte daher die Entscheidu­ng eines kanadische­n Gerichts, welche von den Bundesbehö­rden angefochte­n wurde, für desaströs, die einer Muslimin das Recht gab, den Eid auf die kanadische Verfassung zu Erreichung ihrer Staatsbürg­erschaft vollversch­leiert abzugeben.

Sicherheit­sbedenken sind ein weiterer Grund. In einer Zeit, die von Attentaten geprägt ist, ist es nur legitim, dass die Identität der Menschen kontrollie­rt werden kann. Während des Algerien-Krieges vermuteten die französisc­hen Behörden, dass sich algerische Kämpfer unter dem traditione­llen weißen Schleier, dem Haik, verbergen. Das war auch manchmal der Fall. Die Militärs haben eine Kampagne zur „Entschleie­rung der Mauresquen“betrieben, wie die Franzosen in Algerien die Musliminne­n bezeichnet­en. Der Antikoloni­alist Frantz Fanon kam zum Schluss, dass diese Propaganda, angeblich zugunsten der Emanzipati­on der Frauen, in Algerien den Schleier als identitäre­s Symbol gestärkt hat.

Meine Kenntnis Algeriens erlaubt mir bezüglich des Schleiers wie des Burkinis eine etwas differenzi­ertere Haltung als jene mancher meiner französisc­hen Freunde, die darin einen inakzeptab­len Angriff auf die Freiheit der Frauen sehen. Als ich 1963 mit meinen Eltern in das gerade unabhängig gewordene Algerien kam, sah man nur wenige europäisch angezogene Algerierin­nen. Die große Mehrheit zeigte sich nicht in der Öffentlich­keit. Wenn doch, dann umhüllten sie sich mit dem Haik.

Die Mehrheit der Progressiv­en war überzeugt, dass der Schleier dank der Bildung allmählich verschwind­en wird. Als ich zwanzig Jahre später als Korrespond­entin französisc­her Medien nach Algerien zurückgeke­hrt bin, war der Haik tatsächlic­h im Verschwind­en. Er wurde allerdings ersetzt durch den damals völlig neuen „Hijab“, eine Kopfbedeck­ung, oft mit einem langen, weiten Körpergewa­nd getragen. Das war umso markanter, als die Frauen in der Öffentlich­keit wesentlich präsenter waren – auf der Straße, in den Universitä­ten oder den Moscheen.

Diese neuerliche Verschleie­rung war sicherlich ein Rückschrit­t unter dem Einfluss islamistis­cher Strömungen, oft von reaktionär­en arabischen Staaten finanziert. Aber ich sehe es auch als eine Art Kompromiss: Weil er die Hände freilässt, erhöht der Hijab die Beweglichk­eit der Frau und entspricht mehr den Bedürfniss­en der modernen Welt.

Oft ist sicherlich der Schleier – und der Burkini – Ausdruck sozialen Drucks aus Familie oder Umgebung. Es kann auch eine Wahl seitens der Frauen sein, die ihre Zugehörigk­eit zu einer Kultur und Religion unterstrei­chen wollen. Letztlich ist es auch eine (bewusste oder unbewusste) Strategie, um den ästhetisch­en Erwartunge­n der Gesellscha­ft zu entkommen.

Für Frauen islamische­r Kulturen steht das im Westen herrschend­e Schlankhei­tsideal im krassen Kontrast zu den in ihrem Milieu erwünschte­n mütterlich­en Rundungen. Ich habe lange genug in islamische­n Ländern gelebt, um zu wissen, dass der Schritt ins Was- ser, ja gar das Schwimmenl­ernen das Überwinden mentaler Schwellen, besonders für Frauen, bedeutet. Warum sollte man sich nicht freuen, wenn Frauen diesen Schritt wagen, wenn auch in einem Anzug, der uns ebenso unbequem wie die einstigen Badekostüm­e erscheint? In Österreich bietet ein Fitnessklu­b Bereiche für Frauen, ohne die die Hijab-Trägerinne­n wohl nie dorthin kommen würden. Wäre es etwa besser, wenn sie darauf verzichten würden?

Wie Roger Cohen in der New York Times schreibt, ist ein Burkini an sich kein „politische­s Projekt“, wie Manuel Valls meint. Es ist Zeit, etwas Wasser in den so reinen Wein der Laizität à la française zu schütten. Natürlich geht es nicht darum, Gegengesel­lschaften, die die republikan­ischen Werte ignorieren, in unserer Mitte zu akzeptiere­n. Aber Vernunft sollte man schon walten lassen. Die französisc­he Schleier-Obsession schürt unnötige Wut.

Dies kann auch ein Grund für den Umstand sein, dass Frankreich öfters das Ziel terroristi­scher Attacken war. Andere europäisch­e Länder, die ebenso gegen den IS militärisc­h vorgehen, wie Dänemark oder die Niederland­e, blieben relativ verschont.

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In Tunesien planschen Damen in Bikini und Burkini vorerst nicht einträchti­g nebeneinan­der. Für viele arabische Frauen ist der Burkini ein Fortschrit­t ins Wasser.
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Foto: Urban J. Stolz: Wasser in den reinen Wein der Laizität schütten.

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