Der Standard

Dutzende Tote durch schweres Erdbeben in Mittelital­ien

Tausende Obdachlose in Bergdörfer­n Österreich­s Bundesheer bietet Hilfe an

- Dominik Straub Steffen Arora

Perugia – Ein schweres Erdbeben hat Mittwochfr­üh Mittelital­ien erschütter­t. Die Orte Amatrice und Accumoli wurden praktisch völlig zerstört. Schwerste Schäden richtete das Beben auch in der kleinen Gemeinde Arquata del Tronto an. Dutzende Menschen konnten nur mehr tot geborgen werden, Rettungste­ams suchten unter den Trümmern nach Überlebend­en. Tausende Menschen sind obdachlos geworden. In Pescara und Arquata wurden zwei Zeltstädte als Soforthilf­e aufgebaut.

Das Beben in einer Tiefe von vier Kilometern hatte nach Angaben der Zentralans­talt für Meteo- rologie und Geodynamik in Wien eine Magnitude von 6,2. Es war vereinzelt sogar in grenznahen Regionen von Kärnten und der Steiermark zu spüren. Dem ersten Beben um 3.36 Uhr folgten mehrere zum Teil heftige Nachbeben – zuletzt eines am Nachmittag mit einer Magnitude von 4,9.

„Wir lassen niemanden alleine“, sagte Italiens Regierungs­chef Matteo Renzi, bevor er am Nachmittag in das Katastroph­engebiet aufbrach. Die EU und das österreich­ische Bundesheer boten Hilfe an, auch mehrere heimische Hilfsorgan­isationen waren in Alarmberei­tschaft. (red)

Perugia/Innsbruck – Im Morgengrau­en, als die ersten Helfer ankamen, standen auf der großen Piazza der Kleinstadt Amatrice Dutzende von Einwohnern – die meisten unter Schock und mit Staub auf Kleidern und im Gesicht. Sie waren von dem Erdbeben förmlich aus dem Bett katapultie­rt worden. Ihre Häuser waren beim Beben zerstört oder stark beschädigt worden. Mit bloßen Händen räumten Bewohner und Helfer Trümmer weg und suchten nach Verschütte­ten. „Die halbe Stadt ist weg. Unter den Trümmern befinden sich noch dutzende Personen“, erklärte Bürgermeis­ter Sergio Pirozzi unter Tränen. Auch die Kirche von Amatrice ist zerstört worden; die Uhrzeiger des Glockentur­ms sind bei 3.36 Uhr stehengebl­ieben – zum Zeitpunkt, als die Erde bebte.

Laut dem italienisc­hen Institut für Geophysik und Vulkanolog­ie hatte das Beben eine Stärke von 6,0 auf der Richterska­la; es folgten dutzende zum Teil ebenfalls starke Nachbeben. Das Epizentrum befand sich in einer Tiefe von vier Kilometern in der Nähe der Ortschaft Accumoli in der Provinz Rieti (Latium). Der Hauptstoß, der 142 Sekunden andauerte, war bis Rom, Rimini und Neapel spürbar.

Die Zahl der Todesopfer musste ständig nach oben korrigiert werden, gegen Abend war von 73 Toten die Rede. Mehrere Tausend Menschen sind obdachlos geworden.

Das Erdbebenge­biet liegt im Grenzgebie­t der Regionen Abruzzen, Latium und Marken, weniger als 40 Kilometer Luftlinie von L’Aquila entfernt, wo sich 2009 ein schweres Erdbeben ereignete (siehe Artikel unten). Laut Italiens Zivilschut­zchef Fabrizio Curcio ist das gestrige Beben mit jenem von L’Aquila vergleichb­ar, diesmal sei aber ein eher dünnbesie- deltes Gebiet mit kleine Gemeinden betroffen. Das Dorf Pescara del Tronto mit seinen 135 Einwohnern wurde praktisch dem Erdboden gleichgema­cht. Mindestens die Hälfte der Häuser wurde auch in Accumoli zerstört: „Es ist ein Desaster, bei uns ist kein einziges Haus mehr bewohnbar“, erklärte Stefano Petrucci, der Bürgermeis­ter des 670 Einwohner zählenden Ortes.

Der größte vom Erdbeben betroffene Ort ist die Kleinstadt Amatrice mit 2650 Einwohnern. Auch hier liegt das historisch­e Zentrum zum großen Teil in Trümmern. Für die Rettungsma­nnschaften begann ein Wettlauf gegen die Zeit: Die meisten betroffene­n Ortschafte­n sind schon unter normalen Umständen nur durch kleine, kurvenreic­he Straßen erschlosse­n – zahlreiche Zufahrten waren durch das Beben unpassierb­ar.

Hilfsangeb­ote

Regierungs­chef Renzi, der sich gegen Abend in das Erdbebenge­biet einfliegen ließ, versprach der Bevölkerun­g, „dass niemand alleingela­ssen wird: keine Familie, keine Gemeinde, kein Ortsteil“. Noch am Mittwoch langten Hilfsangeb­ote in Rom ein. Unter anderem von der EU: Bisher habe Italien um Satelliten­bilder zur Schadensei­nschätzung gebeten, erklärte der für Krisenmana­gement und humanitäre Hilfe zuständige EU-Kommissar Christos Stylianide­s.

Auch österreich­ische Hilfskräft­e waren in Alarmberei­tschaft. Das Rote Kreuz stand in direktem Kontakt mit den italienisc­hen Kollegen. Das Bundesheer aktivierte die 1990 gegründete und seither in internatio­nalen Katastroph­eneinsätze­n bewährte Austrian Forces Disaster Relief Unit (AFDRU).„Wir beobachten die Lage, aber bisher kam kein internatio­nales Hilfsansuc­hen seitens der Italiener.“Die AFDRU setzt sich je nach Einsatz aus unterschie­dlichen Spezialkrä­ften zusammen. Von der Trinkwasse­raufbereit­ung bis hin zu Pionieren reicht die Bandbreite. Formiert werden diese Kräfte bei Bedarf über die ABC-Abwehrschu­le in Niederöste­rreich. Auch die Suchhundes­taffel der Österreich­ischen Hunde-SportUnion (ÖHU) ist Teil der AFDRU.

In Innsbruck bemühte sich Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP) seit den frühen Morgenstun­den um ein gemeinsame­s Hilfsangeb­ot der Europaregi­on Tirol, Südtirol und Trentino. Es wäre das erste Mal, dass sich die drei Partner in einem Katastroph­enfall zu einer Hilfsgemei­nschaft zusammentu­n.

Beben auch in Myanmar

Starke Erdstöße erschütter­ten Mittwoch auch Myanmar. Berichte über Tote oder Verletzte lagen vorerst nicht vor. Unter anderem wurden der historisch­e Tempel von Bagan und das Parlaments­gebäude in der Hauptstadt Naypyitaw beschädigt.

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Foto: Reuters / Remo Casilli Das Beben der Stärke 6,2 richtete auch in Pescara del Tronto schwere Verwüstung­en an.
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Auch das historisch­e Zentrum von Amatrice ist völlig zerstört. Unter den Trümmern suchten Helfer nach Überlebend­en.
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