Dutzende Tote durch schweres Erdbeben in Mittelitalien
Tausende Obdachlose in Bergdörfern Österreichs Bundesheer bietet Hilfe an
Perugia – Ein schweres Erdbeben hat Mittwochfrüh Mittelitalien erschüttert. Die Orte Amatrice und Accumoli wurden praktisch völlig zerstört. Schwerste Schäden richtete das Beben auch in der kleinen Gemeinde Arquata del Tronto an. Dutzende Menschen konnten nur mehr tot geborgen werden, Rettungsteams suchten unter den Trümmern nach Überlebenden. Tausende Menschen sind obdachlos geworden. In Pescara und Arquata wurden zwei Zeltstädte als Soforthilfe aufgebaut.
Das Beben in einer Tiefe von vier Kilometern hatte nach Angaben der Zentralanstalt für Meteo- rologie und Geodynamik in Wien eine Magnitude von 6,2. Es war vereinzelt sogar in grenznahen Regionen von Kärnten und der Steiermark zu spüren. Dem ersten Beben um 3.36 Uhr folgten mehrere zum Teil heftige Nachbeben – zuletzt eines am Nachmittag mit einer Magnitude von 4,9.
„Wir lassen niemanden alleine“, sagte Italiens Regierungschef Matteo Renzi, bevor er am Nachmittag in das Katastrophengebiet aufbrach. Die EU und das österreichische Bundesheer boten Hilfe an, auch mehrere heimische Hilfsorganisationen waren in Alarmbereitschaft. (red)
Perugia/Innsbruck – Im Morgengrauen, als die ersten Helfer ankamen, standen auf der großen Piazza der Kleinstadt Amatrice Dutzende von Einwohnern – die meisten unter Schock und mit Staub auf Kleidern und im Gesicht. Sie waren von dem Erdbeben förmlich aus dem Bett katapultiert worden. Ihre Häuser waren beim Beben zerstört oder stark beschädigt worden. Mit bloßen Händen räumten Bewohner und Helfer Trümmer weg und suchten nach Verschütteten. „Die halbe Stadt ist weg. Unter den Trümmern befinden sich noch dutzende Personen“, erklärte Bürgermeister Sergio Pirozzi unter Tränen. Auch die Kirche von Amatrice ist zerstört worden; die Uhrzeiger des Glockenturms sind bei 3.36 Uhr stehengeblieben – zum Zeitpunkt, als die Erde bebte.
Laut dem italienischen Institut für Geophysik und Vulkanologie hatte das Beben eine Stärke von 6,0 auf der Richterskala; es folgten dutzende zum Teil ebenfalls starke Nachbeben. Das Epizentrum befand sich in einer Tiefe von vier Kilometern in der Nähe der Ortschaft Accumoli in der Provinz Rieti (Latium). Der Hauptstoß, der 142 Sekunden andauerte, war bis Rom, Rimini und Neapel spürbar.
Die Zahl der Todesopfer musste ständig nach oben korrigiert werden, gegen Abend war von 73 Toten die Rede. Mehrere Tausend Menschen sind obdachlos geworden.
Das Erdbebengebiet liegt im Grenzgebiet der Regionen Abruzzen, Latium und Marken, weniger als 40 Kilometer Luftlinie von L’Aquila entfernt, wo sich 2009 ein schweres Erdbeben ereignete (siehe Artikel unten). Laut Italiens Zivilschutzchef Fabrizio Curcio ist das gestrige Beben mit jenem von L’Aquila vergleichbar, diesmal sei aber ein eher dünnbesie- deltes Gebiet mit kleine Gemeinden betroffen. Das Dorf Pescara del Tronto mit seinen 135 Einwohnern wurde praktisch dem Erdboden gleichgemacht. Mindestens die Hälfte der Häuser wurde auch in Accumoli zerstört: „Es ist ein Desaster, bei uns ist kein einziges Haus mehr bewohnbar“, erklärte Stefano Petrucci, der Bürgermeister des 670 Einwohner zählenden Ortes.
Der größte vom Erdbeben betroffene Ort ist die Kleinstadt Amatrice mit 2650 Einwohnern. Auch hier liegt das historische Zentrum zum großen Teil in Trümmern. Für die Rettungsmannschaften begann ein Wettlauf gegen die Zeit: Die meisten betroffenen Ortschaften sind schon unter normalen Umständen nur durch kleine, kurvenreiche Straßen erschlossen – zahlreiche Zufahrten waren durch das Beben unpassierbar.
Hilfsangebote
Regierungschef Renzi, der sich gegen Abend in das Erdbebengebiet einfliegen ließ, versprach der Bevölkerung, „dass niemand alleingelassen wird: keine Familie, keine Gemeinde, kein Ortsteil“. Noch am Mittwoch langten Hilfsangebote in Rom ein. Unter anderem von der EU: Bisher habe Italien um Satellitenbilder zur Schadenseinschätzung gebeten, erklärte der für Krisenmanagement und humanitäre Hilfe zuständige EU-Kommissar Christos Stylianides.
Auch österreichische Hilfskräfte waren in Alarmbereitschaft. Das Rote Kreuz stand in direktem Kontakt mit den italienischen Kollegen. Das Bundesheer aktivierte die 1990 gegründete und seither in internationalen Katastropheneinsätzen bewährte Austrian Forces Disaster Relief Unit (AFDRU).„Wir beobachten die Lage, aber bisher kam kein internationales Hilfsansuchen seitens der Italiener.“Die AFDRU setzt sich je nach Einsatz aus unterschiedlichen Spezialkräften zusammen. Von der Trinkwasseraufbereitung bis hin zu Pionieren reicht die Bandbreite. Formiert werden diese Kräfte bei Bedarf über die ABC-Abwehrschule in Niederösterreich. Auch die Suchhundestaffel der Österreichischen Hunde-SportUnion (ÖHU) ist Teil der AFDRU.
In Innsbruck bemühte sich Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) seit den frühen Morgenstunden um ein gemeinsames Hilfsangebot der Europaregion Tirol, Südtirol und Trentino. Es wäre das erste Mal, dass sich die drei Partner in einem Katastrophenfall zu einer Hilfsgemeinschaft zusammentun.
Beben auch in Myanmar
Starke Erdstöße erschütterten Mittwoch auch Myanmar. Berichte über Tote oder Verletzte lagen vorerst nicht vor. Unter anderem wurden der historische Tempel von Bagan und das Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Naypyitaw beschädigt.