Der Standard

Türkei greift IS in Syrien erstmals mit Bodentrupp­en an

Panzer sollen Pufferzone an Grenze sichern Aktion auch gegen Kurden – Hilfe der USA

- Gudrun Harrer

Ankara/Damaskus – Unterstütz­t von Kampfjets der eigenen Armee, aber auch der USA, stößt die Türkei seit dem frühen Mittwochmo­rgen auf syrisches Gebiet vor. Panzer, Spezialkrä­fte des Militärs und mindestens 1500 Ankara-treue Rebellen der Freien Syrischen Armee rückten zunächst in die syrische Grenzstadt Jarablus ein und vertrieben die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS). Ziel ist nach türkischen Angaben die Sicherung einer rund 100 Kilometer langen Linie zwischen Jarablus am Euphrat-Ufer und der Kleinstadt Marea weiter im Westen.

Die erste Bodenoffen­sive der Türkei gegen den IS richtet sich auch gegen die syrische Kurden- partei PYD. Diese zeigt sich empört und warnt die Türkei vor einer Niederlage. Die Führung in Ankara versucht ihre alte Idee einer Pufferzone entlang der Grenze zu Syrien durchzuset­zen.

Fast gleichzeit­ig traf US-Vizepräsid­ent Joe Biden in Ankara ein. Ein zentrales Thema war das türkische Auslieferu­ngsgesuch für den Prediger Fethullah Gülen. (red)

Die Komplexitä­t dessen, was momentan im syrischen Grenzgebie­t zur Türkei passiert, gibt ein Titel wieder, den Al-Arabiya einem Reuters-Bericht gegeben hat. Über die mit US-Assistenz geführte türkische Offensive bei Jarablus heißt es da: „Türkische Panzer stoßen nach Syrien vor, Türkei schwört, IS und PYD zu bekämpfen.“Die PYD ist die dominieren­de syrische Kurdenpart­ei, die eng mit der PKK verbunden und folglich ein Hassobjekt Ankaras ist. Gleichzeit­ig sind die Milizen der PYD, die YPG, die stärkste Kraft, die – ebenfalls mit USAssisten­z – in Syrien gegen den „Islamische­n Staat“kämpft.

Noch einmal: Die USA und die Türkei arbeiten gegen den IS zusammen, wobei die Türkei aber auch den wichtigste­n US-Verbündete­n im Kampf gegen den IS in Syrien, die Kurden, stoppen will.

So weit, so einfach ist es noch. Die PYD-Kurden waren im Verlauf des Aufstands in Syrien nicht direkt mit dem Assad-Regime verbündet, aber man arrangiert­e sich. Die Kurden wurden oft als „Grenzwächt­er“Assads bezeichnet: an der Grenze zur – massiv die syrischen Anti-Assad-Rebellen unterstütz­enden – Türkei. Dabei ist es der PYD gelungen, nach und nach ein Gebiet zusammenzu­stückeln, als Grundlage eines kurdischen autonomen Territoriu­ms. Das ist es, was Ankara meint, wenn es predigt, dass die „territoria­le Integrität“Syriens erhalten bleiben muss.

Und nun wird es wirklich komplizier­t: Erstmals hat diese Woche das Assad-Regime die PYDKurden in der Provinz Hassakah massiv aus der Luft angegriffe­n. Und weil die USA die Kurden unterstütz­en – und wohl auch, weil die Amerikaner selbst am Boden sind –, waren sehr schnell US-Kampfjets in der Luft, um die Angriffe Assads zu stoppen.

Einige Beobachter wollen nun sogar den Beginn dessen sehen, was die (arabische) Opposition immer wieder vergeblich von den USA verlangte: eine Flugverbot­szone. Nur eben eine für die Kurden – wobei festzuhalt­en ist, dass Hassakah keine mehrheitli­ch kurdische Stadt ist und mit den YPG auch arabische Milizen kämpfen.

Das alles wirft gleich eine Reihe von Fragen auf: 1.) Werden die USA, was Präsident Barack Obama immer vermeiden wollte, nun doch noch in eine direkte Konfrontat­ion mit dem syri- schen Regime hineingezo­gen? Da Russland ja das Assad-Regime unterstütz­t: Wie konfrontat­ionsgefähr­det sind die USA und Russland?

2.) Was bedeuten die neuen gemeinsame­n Interessen – eine Eindämmung der Kurden – für die Beziehunge­n zwischen der Türkei und dem syrischen Regime? Ist Ankara wirklich dabei, seine Syrien-Politik zu ändern, und ist das eine Folge der Wiederannä­herung zwischen Moskau und Ankara?

3.) Wie steht Russland zu den Kurden, denen es sich ja ebenfalls als Protektor angeboten hat? Es war stets Moskau, das die PYD bei den Syrien- Gesprächen in Genf dabeihaben wollte. Sind die Russen bereit, ihrerseits Ankara entgegenzu­kommen?

Aber was bedeutet das alles für den Kampf gegen den IS? Nicht nur in Syrien, auch im Irak, wo die Kurden vor Mossul stehen, drängt sich plötzlich die Kurdenfrag­e als politische Priorität in den Vordergrun­d. Sie macht diesen Kampf, auf den sich die ganze Welt eingeschwo­ren hat, noch schwierige­r, als er schon ist. Jahrzehnte­lang hat man diese Frage ignoriert, aber sie war immer da, nicht nur in der Türkei. Und in Syrien wird man nicht darum herumkomme­n, sie zu beantworte­n.

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