Sobotka will Verwaltungsstrafen für kleinere Delikte
Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) schätzt zwar das Asyl-Engagement von Schauspielerin Hilde Dalik, plädiert aber für eine andere Sicht der Dinge. Ein gemeinsames Projekt wird trotzdem in Angriff genommen.
Wien – Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) ist dafür, kleinere Delikte wie Ladendiebstahl aus dem Strafrecht zu nehmen und nur mehr mit einer Verwaltungsstrafe zu sanktionieren. „Wenn die bei 200 Euro läge und ich sofort auf das Eigentum des Beschuldigten zugreifen könnte – etwa auf das Handy –, dann träte ein unmittelbarer Lerneffekt ein“, sagt Sobotka im 2+1-Sommergespräch des STANDARD mit der Schauspielerin Hilde Dalik. Warum man darüber nachdenkt: „Wenn wir heute einen 15-jährigen Ladendieb haben, hat der Polizist zwei Stunden Arbeit, braucht vielleicht einen Dolmetscher. Dann kommt es, wenn er Ersttäter ist, zur Einstellung oder zu einer Bewährungsstrafe.“Das verursache nur Kosten und Frustration. (red)
Der Schlepper am Teheraner Markt sagt dann: Du gehst nach Österreich, da kannst du sofort arbeiten. Wolfgang Sobotka Sie vorverurteilen diese Menschen. Sie haben ja eine Verantwortung als Minister. Hilde Dalik 2+1Sommer GESPRÄCH Schauspielerin trifft Innenminister
8. Teil
STANDARD: Sie haben beide einen künstlerischen Background. Haben Sie früher davon geträumt, die Kunst zum Beruf zu machen? Sobotka: Vor 25 Jahren war das sicher ein Herzenswunsch. Ein Jahr lang war ich auch beruflich als Dirigent tätig, viel in Moskau. Aber mit dem Geld, das man dort verdiente, hätte man nur gut in Moskau leben können, nicht bei uns. Dalik: Kann man aus der Kunst etwas in die Politik mitnehmen? Sobotka: Sicher, Konzentrationsfähigkeit, Genauigkeit, Respekt, letztlich auch Führungsverantwortung. Wobei mir das als Dirigent nie so gelungen ist. Dalik: Keine Führungsqualität? Sobotka: Man hat mir immer vorgeworfen, ich sei zu nachsichtig. Wir waren einmal in Bratislava, da ist einer 15 Minuten zu spät gekommen. Mein Manager hat dann gesagt, ich hätte den vor der ganzen Mannschaft ordentlich betonieren müssen. Ich bin aber keiner, der gern den Herrn macht. Ich durfte mit vielen großen Leuten arbeiten, mit Bernstein, mit Harnoncourt. Das waren Persönlichkeiten, die von Haus aus Autorität vermitteln konnten. Ich war nicht so.
Standard: Bei Ihnen war dafür nicht immer klar, dass Sie Schauspielerin werden. Sie haben auch Jus studiert. Wieso? Dalik: Der Wunsch war schon immer da, in Richtung Theater und Film zu gehen. Schon als Kind fand ich es faszinierend, eine Realität neben der eigentlichen Realität zu schaffen. Meine Familie hat dann aber gesagt: Probier doch was Gscheites. Versuch’s mal mit Jus. Mir wurde aber schnell klar: Das ist nicht meins.
STANDARD: Viele Schauspieler scheitern. Waren Existenzängste Thema? Dalik: Lustigerweise hatte ich immer dann Existenzängste, wenn ich ein fixes Engagement hatte. Davor und danach nicht. Da war ich auf Kämpfen eingestellt.
STANDARD: Eine Parallele zur Politik? Die ist auch schwer zu planen. Haben Sie sich manchmal die Frage gestellt: Würde ich außerhalb der Politik einen ähnlich bezahlten Job finden? Sobotka: Ich habe vor der Politik besser verdient als jetzt, hatte drei Berufe: Unilehrbeauftragter, Musikschulleiter und Leiter einer Beratungsfirma. Wegen des Geldes wird man nicht Politiker. Dalik: Warum dann? Sobotka: Weil man gestalten will, einem etwas auf den Nerv geht. Dalik: Was ist Ihnen auf den Nerv gegangen? Sobotka: Dass Musikschullehrer keine Absicherung hatten. Das war damals ja fast wie Schwarzarbeit. Das war der Grund, warum ich in die Gemeindepolitik gegangen bin.
Standard: Sie galten früher einmal als einer der Linkeren in der ÖVP. Sobotka: Kryptokommunist haben sie mich genannt.
Standard: Sie hatte eine Mao-Bibel, Bilder von Che Guevara. Hätte der junge Wolfgang Sobotka verstanden, was Sie heute im Asylbereich machen: permanent neue Verschärfungsvorschläge vorbringen? Sobotka: Ich sehe mich nicht als Verschärfer. Als junger Mensch habe ich aber wahrscheinlich der Rechtsstaatlichkeit nicht diesen Stellenwert beigemessen wie heute. Bestehende Gesetze müssen auch exekutiert werden. Wenn jemand beim Rauschgifthandel erwischt wird und nach zwei Stunden wieder frei ist, frustriert das die Polizisten.
Standard: Bei der Notverordnung geht es aber nicht um den Vollzug bisheriger Regeln. Es geht einfach um eine Verschärfung, um eine Einschränkung des Asylrechts. Sobotka: Es geht um eine klarere Trennung: Was ist Asyl und was ist nicht Asyl. Es gibt viele Fälle, bei denen es nicht um Verfolgung geht, die sich wirtschaftlich verändern wollen. Wir haben auch keine Not, aber wir haben ein ungeheures Problem, dass wir die Mengen in dieser Form nicht integrieren können. Die Arbeit ist nicht da, und wir können die Menschen nicht so schnell qualifizieren. Dalik: Ich sehe überhaupt keine Notsituation in Österreich, habe aber das Gefühl, dass gewisse Probleme von Ihnen bewusst nicht bearbeitet werden. Ich arbeite in einer Theatergruppe mit afghanischen Flüchtlingen. Diese jungen Männer kommen mit Optimismus, mit Motivation, wollen dem Land etwas zurückgeben. Dann warten sie aber monatelang auf ihren Bescheid, einer hat fünf Jahre gewartet. Die sind verzweifelt, sitzen zu Hause, wissen nicht, was sie machen sollen, konnten zum Teil nicht mehr schlafen. Es kann auch sein, dass der eine oder andere dann auf dumme Gedanken kommt, weil sie nicht arbeiten dürfen, nichts verdienen dür- fen, keinen Deutschkurs bekommen. Warum wehren Sie sich so dagegen, dass schon Asylwerber Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen? Sobotka: Weil das ein massiver Anziehungsfaktor wäre. Der Schlepper auf dem Teheraner Markt sagt dann: Du gehst nach Österreich, dort kannst du sofort arbeiten. Dalik: Da riskiert man lieber, dass jemand monatelang wartet, die Motivation verliert, vielleicht psychisch krank wird? Sobotka: Darum wollen wir Arbeitsmöglichkeiten im gemeinnützigen Bereich ausbauen.
Standard: Jeder Asylwerber in Beschäftigung wäre auch einer weniger in der Grundversorgung. Sobotka: Nur zehn Prozent der Asylberechtigten finden einen Job, 90 Prozent gehen direkt in die Mindestsicherung. Wir haben jetzt schon – trotz Beschäftigungsrekords – eine steigende Arbeitslosigkeit. Eine weitere Belastung verträgt der Arbeitsmarkt nicht. Bei den Afghanen sind außerdem 50 Prozent nicht einmal alphabetisiert. Dalik: Aber viele andere sind alphabetisiert. Ich kenne hervorragende syrische oder afghanische Köche, die nicht arbeiten dürfen, weil sie noch im Asylverfahren sind – und gleichzeitig werden bei uns Köche gesucht. Das ist absurd. Sie haben auch gesagt, Sie verstehen nicht, warum die Flüchtlinge keinen Pass, aber ein Handy bei sich haben. Wissen Sie, was mir meine Jungs sagen? Wenn jemand Regimegegner war, kann er gar keinen Pass beantragen. Den anderen werden die Pässe von den Schleppern abgenommen. Mit solchen Aussagen vorverurteilen Sie diese Menschen. Sie haben ja eine Verantwortung als Minister. Sobotka: Ich lasse mich nicht von Einzelfällen leiten. Solche könnte ich auch erzählen. Etwa von einem afghanischen Flüchtling, der am 15. März in Grundversorgung in Spital am Pyhrn gekommen ist und am 15. Mai beim Rauschgifthandel am Wiener Praterstern festgenommen wurde. Solche Einzelfälle sind aber für die Beurteilung nicht entscheidend. Als Politiker muss man eine große Linie halten. Viele Afghanen kommen beispielsweise nicht aus Afghanistan zu uns, sondern aus Teheran, wo sie seit Jahren in Lagern waren. Das Problem ist auch nicht, dass wir in Österreich keine Menschen integrieren können. Das Problem ist das Mengengerüst. Und wir haben zwei Ethnien, die wir bis heute nicht wirklich integriert haben.
Standard: Wen meinen Sie? Sobotka: Die Tschetschenen und bis zu einem gewissen Grad auch die Türken. Zum Teil sind diese Menschen schon in dritter Generation in Österreich, können aber schlechter Deutsch als die erste oder zweite Generation und versuchen, eine Art doppelte Staatsstruktur aufzubauen. Ein Beispiel aus Niederösterreich: Da gehen Leute bei Diebstahl nicht zu einem öffentlichen Gericht, sondern versuchen das über einen türkischen Schariarichter zu lösen. Das halte ich für unmöglich. Und hier schließt sich der Kreis: Wenn wir wieder Asylzahlen wie 2015 haben, schaffen wir es nicht, diese Menschen gut zu integrieren.
Standard: Stichwort Spannungen: Sie haben zuletzt laufend neue Vorschläge gemacht. Eine strafrechtliche Verfolgung von illegal aufhältigen Menschen ist im Gespräch, ebenso mehr Möglichkeiten bei der Identitätsfeststellung von Flüchtlingen und schnellere Verfahren für straffällige Asylwerber. Fertige Konzepte gibt es aber nirgends. Ist das seriöse Politik, oder schüren Sie damit nicht weitere Ängste? Sobotka: Da kann man unterschiedliche Zugänge haben. Ich habe für Oktober ein ganzes Rechtspaket angekündigt, es ist im Fremdenpolizeigesetz, im Sicherheitspolizeigesetz und im Strafrecht etwas vorgesehen. Dafür braucht es eine breite öffentliche Diskussion. Ein Beispiel: Wenn wir heute einen 15-jährigen Ladendieb haben, hat der Polizist zwei Stunden Arbeit, braucht vielleicht einen Dolmetscher. Dann kommt es, wenn er Ersttäter ist, zur Einstellung oder zu einer Bewährungsstrafe. Wir haben also irrsinnige Kosten, der Polizist ist angefressen, Richter und Staatsanwalt sind es ebenfalls, weil sie den Fall überhaupt behandeln müssen, und beim Ladendieb erzielen wir keinen Effekt. Das kann nicht im Sinne der Rechtsordnung sein.
Standard: Also was tun? Sobotka: Ich wäre bei kleineren Delikten für eine Verwaltungsstrafe: Wenn die bei 200 Euro läge und ich sofort auf das Eigentum des Beschuldigten zugreifen könnte – etwa auf das Handy –, dann träte ein unmittelbarer Lerneffekt ein. In welcher juristischen Form und für welche Delikte wir das umsetzen, diskutieren wir gerade mit dem Justizministerium. Dalik: All diese Diskussionen tragen dazu bei, dass die Menschen das Gefühl haben: Die Kriminalität ist irrsinnig gestiegen. Wenn man sie fragt, ob sie selbst betroffen sind, sagen sie: „Nein, aber lesen Sie in der Zeitung nach.“Sobotka: Ich versuche weder vorzuverurteilen noch alle als Kriminelle dazustellen. Dalik: Als Beobachterin kann man schon diesen Eindruck bekommen. Was können Sie zur Verbesserung der Stimmung beitragen? Sobotka: Ich versuche die Sache so zu sehen, wie sie ist: Und sie ist halt nicht gerade rosig. Ich schätze Ihr Engagement sehr, weil ich weiß, wie viel Herzblut da drinsteckt. Ich bitte Sie nur zu sehen: Es ist auch eine andere Sicht der Dinge möglich. Dalik: Das verstehe ich schon. Mein Grundzugang ist halt ein anderer. Ich sage: Das ist möglich. Apropos: Wie wäre es mit einem Orchester mit Musikern aus verschiedenen Herkunftsländern? Quasi als Vorbildwirkung. Sobotka: Wenn wir ein solches Projekt zusammenbringen, bin ich sofort dabei. Ich war ja früher für die Musikschulen zuständig. Da war es mir immer ein Anliegen, dass wir Migranten und Flüchtlinge in die Musikschulen bringen, also integrieren über die Musik. Dalik: Darf ich Ihnen noch sagen, was frühere Schüler über Sie sagen: Sie waren ein wilder Hund, der Einzige, der Jeans trug, per du mit den Schülern war, auch Rock gemacht hat – und er ist einer, der das Richtige tun könnte.