Der Standard

Zehntausen­de feierten Friedensab­kommen für Kolumbien

Vier Jahre lang war verhandelt worden, nun gab es den Durchbruch: Nach fünf Jahrzehnte­n soll ein Friedensve­rtrag den kolumbiani­schen Bürgerkrie­g beenden. Die nächste Etappe: ein Referendum im Oktober.

- Sandra Weiss

Jubel, der an den Gewinn einer Fußballwel­tmeistersc­haft erinnerte, brandete in der kolumbiani­schen Hauptstadt Bogotá auf, als am Mittwochab­end in einer TV-Liveschalt­ung der Durchbruch verkündet wurde: Es gibt einen Friedensve­rtrag zwischen der Regierung und den Farc-Rebellen. Fünf Jahrzehnte Bürgerkrie­g – Bilanz: über 220.000 Tote – sollen damit zu Ende sein. Präsident Juan Manuel Santos will im Oktober per Referendum das Volk entscheide­n lassen, ob es das Abkommenan­nehmen will. Expräsiden­t Álvaro Uribe und seine Anhänger haben schon Widerstand angekündig­t.

Bogotá/Havanna/Puebla – Die vergangene Woche war für die Unterhändl­er in Havanna ein frenetisch­es Hin und Her, mit bis zu 18stündige­n Sitzungen in parallelen Kommission­en, abgeschirm­t von der Außenwelt. Doch am Mittwoch (Ortszeit) war es so weit: Der Friedensve­rtrag zwischen Kolumbiens Regierung und den Rebellen der Revolution­ären Streitkräf­te Kolumbiens (Farc) war unter Dach und Fach, die Chefunterh­ändler beider Seiten setzten ihre Unterschri­ften unter den Vertrag.

Damit findet formal der älteste Bürgerkrie­g Lateinamer­ikas nach fünf Jahrzehnte­n mit über 220.000 Toten ein Ende. Die Intensität der Gewalt hatte seit dem Beginn der Gespräche im November 2012 bereits deutlich abgenommen. 2015 fiel offizielle­n Angaben zufolge die Zahl der Morde auf den tiefsten Stand in 15 Jahren.

Der 200 Seiten starke Vertrag, der noch dem Kongress vorgelegt werden soll, ist der Auftakt zur Entwaffnun­g der rund 7000 FarcKämpfe­r, die in den kommenden sechs Monaten unter Schirmherr- schaft der Uno stattfinde­n wird. In letzter Minute wurden strittige Fragen wie jene der politische Beteiligun­g der Farc geklärt. Demnach werden die Rebellen Vertreter ins Parlament entsenden, die ein Rede-, aber kein Stimmrecht haben. Später dürfen die Farc dann als Partei an Wahlen teilnehmen – ein Punkt, der in der Gesellscha­ft auf wenig Zustimmung stößt.

„Sieg für Kolumbien“

Der Chefunterh­ändler der Regierung, Humberto de la Calle, sprach von einer einmaligen Gelegenhei­t: „Die Türen für einen neuen Weg haben sich geöffnet.“Für die Farc sprach Iván Márquez von einem „Sieg für Kolumbien“und appelliert­e an die USA, die den Krieg in Kolumbien unterstütz­t haben, nun auch mit ebenso viel Impetus den Frieden zu begleiten.

In der kolumbiani­schen Hauptstadt Bogotá feierten Hunderte auf den Straßen. „Ich bin zu Tränen gerührt, dass mein Traum nun endlich wahr wird“, sagte Isabella Vernaza, die von der Guerilla entführt worden war. Von einer „guten Nachricht“sprach Jineth Bedoya, Vertreteri­n von Opfergrupp­en. Zugleich warnte sie vor verfrühtem Jubel: „Die große Herausford­erung, das Referendum über die Friedensve­rträge und deren Umsetzung, liegen noch vor uns.“

Der Frontkämpf­er der Friedensge­gner, Expräsiden­t Álvaro Uribe, sprach von einer „Kapitulati­on vor Terroriste­n“. Am 2. Oktober will Santos die Bevölkerun­g abstimmen lassen, und deren Meinung ist Umfragen zufolge skeptisch und geteilt. Das Resultat ist zwar rechtlich nicht bindend und verleiht dem Abkommen nicht automatisc­h Verfassung­srang, aber es gibt dem Prozess mehr Legitimitä­t. Damit es angenommen wird, müssen laut einer Vorgabe des Verfassung­sgerichts mindestens 4,5 der 34 Millionen Wahlberech­tigten überwiegen­d mit „Ja“abstimmen. Auch die Farc planen eine interne Abstimmung.

Kolumbiens Friedensve­rtrag ist in vieler Hinsicht wegweisend: Statt einer Generalamn­estie gibt es Sondergeri­chte, die die Wiedergutm­achung und alternativ­e Strafen in den Vordergrun­d stellen. Schwere Menschenre­chtsverbre­chen sind davon ausgenomme­n.

Zivilgesel­lschaft eingebunde­n

Erstmals wurde in derartige Gespräche auch die Zivilgesel­lschaft miteinbezo­gen; auch der Gleichbere­chtigungsa­spekt wurde berücksich­tigt. Die internatio­nale Gemeinscha­ft, darunter auch die EU, hat ihre Unterstütz­ung bei der Umsetzung des Friedensve­rtrags zugesagt.

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 ??  ?? Historisch­er Handschlag zwischen Farc-Kommandant Iván Márquez (li.) und Regierungs­verhandler Humberto de la Calle (re.). Kubas Außenminis­ter Bruno Rodríguez Parrilla (Mi.) applaudier­t.
Historisch­er Handschlag zwischen Farc-Kommandant Iván Márquez (li.) und Regierungs­verhandler Humberto de la Calle (re.). Kubas Außenminis­ter Bruno Rodríguez Parrilla (Mi.) applaudier­t.
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