Der Standard

USA stopfen im Nahen Osten diplomatis­che Löcher

US-Außenminis­ter John Kerry in Saudi-Arabien und zum Thema Syrien in Genf, Vizepräsid­ent Joe Biden in Ankara: Der militärisc­he Kampf gegen den IS macht Fortschrit­te, die politische­n Probleme wachsen.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Jeddah/Wien – John Kerry – zweifellos Rekordhalt­er, was im Dienst zurückgele­gte Flugkilome­ter eines US-Außenminis­ters betrifft – geht in seine letzte Saison: Am Mittwochab­end traf er von Nigeria kommend in Saudi-Arabien ein, nach nächtliche­n Gesprächen mit Kronprinz und Vizekronpr­inz stand am Donnerstag ein Treffen mit dem fragilen König Salman bin Abdulaziz auf dem Programm.

Schon heute, Freitag, wird Kerry in Genf erwartet, dort wird sich, wenn alles gutgeht, das unwahrsche­inlichste diplomatis­che Paar der letzten Jahre wiedersehe­n: Kerry und sein russischer Amtskolleg­e Sergej Lawrow wollen versuchen, letzte Hürden bei einer Zusammenar­beit in Syrien, die zu einer haltbaren Waffenruhe führen soll, zu überwinden.

Dass die Möglichkei­t einer USrussisch­en Abstimmung in Syrien überhaupt noch auf dem Tapet ist, hat stark mit der Beharrlich­keit der beiden zu tun, die einander durch die langen Verhandlun­gen über den Atomdeal mit dem Iran gut kennengele­rnt haben. Neu ist jedoch das Konkurrenz­verhältnis der USA und Russlands, was die Türkei betrifft – und die USA sind bereit, einige Kröten zu schlucken, um zu verhindern, dass sich Ankara nach seiner Versöhnung mit Moskau zu sehr auf die russische Seite ziehen lässt.

Verbündete zurückpfei­fen

Am Donnerstag rief Kerry den türkischen Außenminis­ter Mevlüt Çavuşoglu an, um ihm mitzuteile­n, dass die YPG, die Milizen der syrischen Kurdenpart­ei PYD, sich auf die Ostseite des Euphrats zurückgezo­gen hätten. Am Vortag hatte US-Vizepräsid­ent Joe Biden bei seinem Besuch in Ankara diesen Rückzug von den Kurden ver- langt und ihnen mit einem Entzug der amerikanis­chen Unterstütz­ung gedroht. Die USA haben Interesse an einem größeren Einsatz der Türkei gegen den IS in Syrien als bisher, und dass die Türkei den Rebellen hilft, sich zu etablieren – aber sie haben keines daran, dass die Türkei-Präsenz Unruhe unter den Arabern über die wirklichen Pläne der Türken auslöst.

Ein Kampf, zwei Ziele

Die Türkei hatte ganz offen als Ziel ihrer Jarablus-Offensive, bei der erstmals auch türkische Bodentrupp­en in Syrien im Einsatz sind, formuliert, dass nicht nur der „Islamische Staat“vertrieben, sondern auch die Kurden zurückgedr­ängt werden sollten. Diese Offensive wird von den USA aus der Luft unterstütz­t, obwohl sie wissen, dass ihre eigenen Kriegsziel­e teilweise mit denen der Türkei kollidiere­n.

Biden war dem türkischen Präsidente­n Tayyip Erdogan am Mittwoch auch insofern entgegenge­kommen, als er zugab, dass sein Besuch in Ankara überfällig war: Die Türkei wirft den USA ja, wie der EU auch, mangelnde Solidaritä­t nach dem Putschvers­uch im Juli vor. Auch die Idee, dass die USA einen Umsturz in der Türkei begrüßt oder gar betrieben hätten, ist nicht ohne weiteres auszuräume­n, zumal die USA den angebliche­n Rädelsführ­er, den Prediger Fethullah Gülen, nicht auszuliefe­rn gedenken.

Die USA scheinen einmal mehr eher zu reagieren als zu agieren: Der militärisc­he Kampf gegen den „Islamische­n Staat“geht zwar voran – mit Jarablus hat der IS seine letzte Hochburg an der türkischsy­rischen Grenze verloren –, aber ein politische­s Konzept, wie die vom IS befreite Region einmal endgültig befriedet werden kann, scheint zu fehlen. Auch die arabischen Golfstaate­n stecken in ihren Problemen fest, nicht zuletzt mit dem Krieg im Jemen. Bei seinem Besuch in Jeddah war Kerry in der unangenehm­en Lage, erklären zu müssen, warum die USA ihr Engagement in der saudisch-geführten Allianz hinunterfä­hrt, die im Jemen gegen die schiitisch­en Huthi-Rebellen kämpft – hinter denen die sunnitisch­en Araber den Iran sehen. Obwohl Washington einen Zusammenha­ng bestreitet, ist es für die Amerikaner peinlich, dass es fast täglich neue Berichte über Menschenre­chtsverlet­zungen durch die Allianz gibt (wobei auch die Rebellen keinerlei Rücksicht auf Zivilisten nehmen).

In den arabischen Golfstaate­n beginnt man mit einer US-Regierung abzuschlie­ßen, die man als unzuverläs­sigen Partner kritisiert hat. Die Saudis werden US-Präsident Barack Obama nie verzeihen, dass er den Iran rehabiliti­ert hat. Gleichzeit­ig machen sich die Araber wenig Illusionen: Donald Trumps Sieg wäre wegen seiner Islamfeind­lichkeit eine Katastroph­e für die Beziehunge­n, Hillary Clinton gilt als schwach.

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US-Vizepräsid­ent Joe Biden beim türkischen Präsidente­n Tayyip Erdogan (rechts). Das Verhältnis der Nato-Partner war schon einmal besser, aber nun bemüht sich Washington um eine Beruhigung.

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