Der Standard

Kleine Erwachsene

- Christophe­r Rindhauser

Warum zeigt das Weltjourna­l+ eine Reportage über Kinderarbe­it in Bolivien? Es ist das ärmste Land Südamerika­s, da scheint Kinderarbe­it keine Überraschu­ng zu sein. Doch schon nach wenigen Minuten offenbart sich, warum das Phänomen in dem südamerika­nischen Land speziell ist.

In Bolivien wurde Kinderarbe­it für unter 14-Jährige 2014 legalisier­t, mehr als 800.000 Kinder arbeiten, und das bei einer Einwohnerz­ahl von rund zehn Millionen Menschen.

Die Sendung konfrontie­rt mit einem sehr befremdend­en Bild: Kinder, die Gewerkscha­ften bilden und für ihre Rechte kämpfen. Eine bizarre Vorstellun­g für Europa, wo es erstens Kinderarbe­it praktisch nicht gibt und zweitens Gewerkscha­ften oft als alteingese­ssen und blockieren­d dargestell­t werden.

Die Reportage präsentier­t die Kinderarbe­iter als selbstbe- wusst, sie argumentie­ren damit, dass man die Realität nicht verleugnen soll.

Nach einem zerschlage­nen Straßenpro­test treffen sie sich sogar mit Präsident Evo Morales, der nicht gegen Kinderarbe­it auftritt. „Ich finde gut, dass der Präsident uns zuhört, auch er musste schon als Kind arbeiten“, sagt Gerald, ein Kindergewe­rkschafter. Ein ausgezeich­neter Grund, Kinderarbe­it zu rechtferti­gen.

Doch in Bolivien ist die Legalisier­ung umstritten: Wirtschaft­swissensch­after Osvaldo Gutierrez erklärt, dass das Gesetz zwar Kinderarbe­iter schütze, doch die strukturel­le Armut des Landes nicht bekämpfe. Eine erwachsene Gewerkscha­fterin sagt am 1. Mai dazu: „Das ist der Tag der Arbeiter, nicht der Tag der Kinder.“Auch ein internatio­naler Gewerkscha­fter tritt in einem Interview dagegen auf. – Die Realität sieht für die Kinder trotzdem anders aus.

pderStanda­rd. at/TV-Tagebuch

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