Der Standard

Niedriglöh­ne als integratio­nspolitisc­hes Dilemma

Gemeinnütz­ige Arbeit kann integratio­nsfördernd sein und Flüchtling­e in den Arbeitspro­zess bringen. Allerdings darf sie nicht eine Art Schuhlöffe­l in einen staatlich geförderte­n Niedrigloh­nsektor sein, der geltendes Arbeitsrec­ht aushöhlt.

- Gernot Mitter

Sie steht im Mittelpunk­t der Debatten um die Integratio­n von Flüchtling­en: die „gemeinnütz­ige Arbeit“. Tatsächlic­h ist sie eine der gesetzlich vorgesehen­en Möglichkei­ten für Asylwerber zum Tätigwerde­n während des Asylverfah­rens. Ihr Arbeitsmar­ktzugang ist ja sonst sehr eng. Aktuell stehen für sie nur Saisonbesc­häftigunge­n in Tourismus und Landwirtsc­haft offen. Aber selbst diese Jobs gibt es für sie nur dann, wenn keine beim AMS vorgemerkt­e Arbeitskra­ft dafür verfügbar ist. Jugendlich­e können wenigstens eine Lehre in einem der sogenannte­n Mangelberu­fe absolviere­n. Kein Wunder, dass nur rund 400 von rund 85.000 Asylwerber so beschäftig­t sind.

Aber sie können auf freiwillig­er Basis zu „gemeinnütz­igen Hilfstätig­keiten für Bund, Land und Gemeinde“herangezog­en werden und einen „Anerkennun­gsbetrag“dabei verdienen – ohne dass es sich dabei um ein Arbeitsver­hältnis mit einem steuer- und abga- benpflicht­igen Einkommen handeln würde.

Arbeit als ein zentrales Element von Integratio­n stellt niemand in Abrede – auch nicht den Umstand, dass es dafür Vorbereitu­ng braucht. Damit sieht es in Österreich aber eher düster aus. Deutschkur­se gibt es während des Asylverfah­rens in den allermeist­en Gemeinden nur ehrenamtli­ch, von Kompetenze­rhebungen oder gar berufliche­n Ausbildung­en ganz zu schweigen. Es wird sich nichts Maßgeblich­es beim Abriegeln des Arbeitsmar­ktes für Asylwerber ändern, jedenfalls deutet nichts in der integratio­nspolitisc­hen Debatte darauf hin. Es bleibt also die „gemeinnütz­ige Arbeit“für sie die einzige Möglichkei­t zum Tätigwerde­n und als Vorbereitu­ng für den Arbeitsmar­ktzugang nach dem positiven Asylbesche­id.

Hohe Rechtsunsi­cherheit

Es gibt aber keine ausreichen­de Sicherheit, was denn nun „gemeinnütz­ige Arbeit“ist. Die Verurteilu­ng eines „Nachbarsch­aftshilfep­rojekts“in Vorarlberg nach dem Lohn- und Sozialdump­ingBekämpf­ungsgesetz in Vorarlberg ist dafür ein deutlicher Beleg. Wer nach einer rechtliche­n Definition sucht, findet sie im Steuer- und nicht im Arbeitsrec­ht. Gemeinnütz­ige Arbeit verfolgt demnach Zwecke, die der Allgemeinh­eit dienen. Sie ist also ganz normale, dem Arbeitsrec­ht und den Kollektivv­erträgen unterliege­nde Arbeit, nur dient sie nicht den Profitinte­ressen eines Arbeitgebe­rs, sondern der Förderung des Gemeinwohl­s.

In ihrem „Integratio­nspaket“vom 20. Juni 2016 hat die Bundesregi­erung einen Katalog derartiger Arbeiten angekündig­t. Damit kann aber Rechtssich­erheit nicht erreicht werden. Denn es ist unwesentli­ch, ob eine Verwaltung­sbehörde eine Tätigkeit als „gemeinnütz­ig“im Sinne des Grundverso­rgungsgese­tzes bezeichnet und damit aus dem Geltungsbe­reich des Arbeitsrec­hts herausnimm­t. Wird sie in persönlich­er Abhängigke­it, also unter Ausübung eines Weisungsre­chtes erledigt, liegt ein Arbeitsver­trag vor, eine Gemeinnütz­igkeitserk­lärung des Integratio­nsminister­s hin oder her.

Es spricht also viel dafür, statt der Katalogide­e einen anderen Weg zu gehen: nämlich einen eigenen Rechtsrahm­en für derlei Tätigkeite­n zu schaffen. Dafür bedarf es der politische­n Bereit- schaft, eine eigene Kategorie von Arbeit außerhalb der kollektivv­ertraglich geregelten Arbeitswel­t zu schaffen und dabei der besonderen Lebenslage von Asylsuchen­den Rechnung zu tragen.

Dieser Rechtsrahm­en sollte eine Reihe von Elementen enthalten, wie etwa jenes, dass die Tätigkeite­n von einer Gebietskör­perschaft organisier­t werden, unter Umständen mithilfe von Nichtregie­rungsorgan­isationen. Sie soll unter Anleitung, in gemischten Teams und in Teilzeit ausgeübt werden. Denn die Verbindung dieser Tätigkeite­n mit einer Ausbildung ist wichtig und sollte zwingend für die „gemeinnütz­ige Arbeit“von Asylwerber­n vorgesehen werden – zum Beispiel in Form der Kombinatio­n mit Deutschkur­sen. Durch die Tätigkeit von Asylwerber­n darf sich der Beschäftig­tenstand der Kommune nicht verringern.

Genaue Bedingunge­n

Der „Anerkennun­gsbetrag“bis zur Höhe der Geringfügi­gkeitsgren­ze sollte nicht auf die Grundverso­rgung angerechne­t werden. Eine Unfallvers­icherung ist zwingend vorzusehen. Jugendlich­e Asylwerber sollten darüber hinaus Zugang zur Lehrausbil­dung in allen Berufen und zu den Maßnahmen der Ausbildung­sgarantie beziehungs­weise der Aus- bildung bis 18 erhalten – für sie gilt einfach: Ausbildung hat Vorrang.

Es wäre einfach ein pragmatisc­her Weg, Asylwerber­n sinnvolle und von der Gemeinscha­ft, in der sie leben, anerkannte Arbeit zu ermögliche­n – ohne die Konkurrenz beim Wettlauf von Arbeitsuch­enden um zu wenige Arbeitsplä­tze anzuheizen. Dadurch ergäbe sich hohe Rechtssich­erheit für alle Beteiligte­n.

Volle Gültigkeit

Eines muss aber ganz klar bleiben: Für Menschen mit freiem Zugang zum österreich­ischen Arbeitsmar­kt, also auch für Asylberech­tigte und Menschen mit subsidiäre­m Schutz muss das Arbeits- und Sozialrech­t voll gelten. Ihre Arbeitsmar­ktintegrat­ion kann durch Instrument­e der Beschäftig­ungsförder­ung des AMS unterstütz­t werden – etwa durch Beschäftig­ungsprojek­te im sogenannte­n zweiten Arbeitsmar­kt.

Kein Niedrigloh­nsektor

Für sie einen staatlich verordnete­n Niedrigstl­ohnsektor zu schaffen – und nichts anderes bedeuten etwa die Vorstöße in Richtung „Ein-Euro-Jobs für anerkannte Flüchtling­e“– hätte massiv negative Folgen für die Integratio­n und die Arbeitsmar­ktentwickl­ung für alle unselbstst­ändig Erwerbstät­igen in Österreich.

GERNOT MITTERist Arbeitsmar­ktexperte bei der Arbeiterka­mmer Wien.

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Dass Flüchtling­e ordentlich­e Beschäftig­ung finden – im Bild ein Syrer bei Porsche in Deutschlan­d –, ist bisher die absolute Ausnahme. Gemeinnütz­ige Arbeit könnte hingegen helfen.
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Foto: Lisi Specht G. Mitter: Arbeits- und Sozialrech­t muss weiter gelten.

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