Der Standard

Unfrieden auch im Frieden

Mehrere Stolperfal­len gefährden den Erfolg des Friedensve­rtrages für Kolumbien

- Sandra Weiss

Als Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos vor vier Jahren begann, mit den Farc-Guerillero­s zu verhandeln, wunderten sich viele. Schließlic­h galt er als Hardliner und Repräsenta­nt einer sozial wenig sensiblen Elite. Die meisten räumten ihm wenig Chancen ein – schließlic­h hatten sich an den Farc schon seine Vorgänger die Zähne ausgebisse­n.

Doch die Zweifler unterschät­zten den Pokerspiel­er Santos. Und die Umstände: die nationale und internatio­nale Isolation der Farc; ihre geschwächt­e Moral; die Überzeugun­g des Präsidente­n, dass nur das Ende des Konflikts es Kolumbien ermöglicht, sein volles Potenzial zu entfalten; und Santos’ Geschick, mit wohldosier­ter Kommunikat­ionspoliti­k die öffentlich­e Meinung auf den Paradigmen­wandel vorzuberei­ten.

Santos, zweifellos ein Politiker mit ebenso viel Vision wie Ego, steht kurz davor, die wichtigste Partie seines Lebens zu gewinnen. Doch noch ist der Frieden nicht unter Dach und Fach. Santos, dessen Amtszeit 2018 endet, hat ein Referendum anberaumt, um den Frieden gesellscha­ftlich zu verankern. Und so erstaunlic­h es anmutet: Große Zustimmung findet der Vertrag im Volk bisher nicht. Die Gegner, angeführt von Ex-Paräsident Álvaro Uribe, sprechen von „Kapitulati­on“und stören sich daran, dass viele Farc-Rebellen künftig Politik machen dürfen, statt im Gefängnis zu schmoren. Interessan­terweise sitzen die Skeptiker vor allem in den Städten, weitab von der Front, während die Vertreter der acht Millionen Bürgerkrie­gsopfer den Frieden nahezu einhellig begrüßen.

Das Plebiszit ist vielleicht Santos’ riskantest­e Karte: Es sei politisch, nicht aber rechtlich bindend, befand das Verfassung­sgericht. Uribe sagt, ein Nein würde Neuverhand­lungen ermögliche­n – Santos hingegen behauptet, dann platze der Friedensve­rtrag, und es drohe wieder Krieg. Der wichtigste Nutzen, den das Referendum haben wird, ist vermutlich die breite öffentlich­e Debatte.

Doch sollte auch diese Hürde übersprung­en werden, birgt die Umsetzung zahlreiche Stolperfal­len: Rund 7000 Farc-Kämpfer müssen in die Gesellscha­ft integriert, das Militär verschlank­t werden. Und dann gibt es den Frente 1 der Farc, der den Frieden bisher ablehnt; und die kleinere Guerillaor­ganisation ELN, mit der noch nicht einmal verhandelt wurde; und die Bacrim-Banden, die mit Drogen, Gold und Smaragden handeln oder im Auftrag von Geschäftsl­euten und Großgrundb­esitzern die Bevölkerun­g vertreiben und einschücht­ern. In vielen Regionen haben sie noch immer das Sagen, der Staat ist abwesend. Wie viel der Frieden kosten wird, ist strittig, jedenfalls Milliarden. Dafür hat Santos ein Steuerpake­t ausgearbei­tet, die die Euphorie dämpfen wird.

Dann gibt es das Thema, das vor 50 Jahren den Krieg auslöste: die Landfrage. Rund 14 Prozent der Landesfläc­he haben sich verbrecher­ische Grup- pen im Bürgerkrie­g angeeignet. Im Friedensve­rtrag vorgesehen sind die Rückgabe oder die Entschädig­ung. Doch das Programm, das bereits vor fünf Jahren anlief, kommt nur langsam voran.

Wie Santos und seine Nachfolger die Probleme angehen werden, davon hängt der Erfolg des Friedenspr­ozesses ab. Das gegenseiti­ge Misstrauen sitzt noch tief. „Trotz allem ist heute ein Jubeltag“, schreibt der Schriftste­ller Ricardo Silva: Nun könne man nicht mehr anderen – den Kolonialmä­chten, den Guerillero­s oder der Regierung – die Schuld in die Schuhe schieben. „Nun sind wir in der Verantwort­ung.“

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