Der Standard

Kurz fordert Ende der Obmanndeba­tte in der ÖVP

Außenminis­ter Sebastian Kurz weist Vorwürfe zurück, er laufe in Sachen Flüchtling­en der FPÖ nach. Diese sei destruktiv, anders als er gegen europäisch­e Lösungen. Kurz fordert ein Ende der ÖVP-Obmanndeba­tte.

- (red)

Wien – In der ÖVP wollen die Gerüchte über einen Obmannwech­sel nicht verstummen. Am Sonntag wird im Vorstand unter anderem über die Ausrichtun­g der Partei beraten. Einzelne Vorstandsm­itglieder schließen nicht aus, dass die Diskussion eine Eigendynam­ik entwickeln könnte. Außenminis­ter Sebastian Kurz plädiert im STANDARD- Interview aber für ein Ende der Debatte. Er habe diese nie gewollt, „mir wäre es auch recht, wenn sie nicht weiterläuf­t“. ÖVPintern soll er bereits klar gemacht haben, die Partei aktuell nicht übernehmen zu wollen. Obmann Reinhold Mitterlehn­er beteuerte am Freitag, „nach wie vor ausgesproc­hen motiviert“zu sein, räumte aber ein, die Partei müsse sich inhaltlich und organisato­risch „weiterentw­ickeln“.

STANDARD: Kanzler Kern hat für den EU-Gipfel Mitte September einen konkreten Vorschlag zum Stopp der EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei angekündig­t. Hat die Regierung eine gemeinsame Position? Kurz: Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er hat dazu das Konzept aufgegriff­en, das bereits auf Wolfgang Schüssel und Ursula Plassnik zurückgeht. Es ist das Konzept der privilegie­rten Partnersch­aft bzw. einer maßgeschne­iderten europäisch-türkischen Interessen­sunion. Zusammenar­beit, aber kein Beitritt. Das hat meine Unterstütz­ung. Ich glaube, dass sich das in weiten Teilen mit den Vorstellun­gen des Bundeskanz­lers deckt. Wir ziehen hier an einem Strang.

STANDARD: Dass es eine Initiative geben wird, ist also fix? Kurz: Meine Möglichkei­ten auf Außenminis­terebene sind, mitzuentsc­heiden, ob weitere einzelne Verhandlun­gskapitel eröffnet werden. Ich bin der Meinung, dass wir keine Kapitel eröffnen sollten, gehe auch davon aus, dass das in naher Zukunft nicht stattfinde­t. Ein Abbruch der Verhandlun­gen ist Sache der Regierungs­chefs.

STANDARD: Beim Forum Alpbach haben türkische Intellektu­elle, die pro Europa sind, davor gewarnt, die Tür zum EU-Beitritt zuzuschlag­en, das schade der Demokratie. Kurz: Diese Position überrascht mich nicht, das ist bekannt. Die Frage ist, ob wir in Europa ein Interesse haben, dass die Türkei Mitglied der Union wird. Die Entwicklun­gen in den letzten Jahren waren derart, dass sie die Türkei weiter von Europa weggeführt haben und nicht näher herangebra­cht haben. Das Zweite ist, dass es nach der Brexit-Abstimmung und dem kommenden EU-Austritt Großbritan­niens eine Debatte braucht, wie sich die Union weiterentw­ickeln soll, was unser Konzept dafür ist und wie wir mit der Erweiterun­g umgehen.

STANDARD: Wie geht es in der EU weiter beim Thema Migration? Kurz: Es kommen seit Tagen wieder mehr Menschen nach Italien, die Situation ist höchst angespannt. Wenn Italien die Menschen nach Norden weiterwink­t, dann kommen sie über die Brennergre­nze, und das ist etwas, was wir nicht stemmen können.

STANDARD: Wiederholt sich 2015? Kurz: Dass es zu Zahlen wie 2015 kommt, sehe ich derzeit nicht. Es ist inzwischen klargestel­lt, dass nicht jeder nach Europa kommen kann. Wir gehen heute gegen Schlepperb­anden vor, die ankommende­n Menschen werden nicht mehr in Bussen und Zügen quer durch Europa weitertran­sportiert. Aber die Zahlen sind noch immer viel zu hoch, der Schutz der EUAußengre­nzen ist noch immer nicht vorhanden. Wir sind noch weit entfernt von einer Lösung.

STANDARD: Was ist das Motiv, warum die ÖVP-Minister den Tonfall so verschärfe­n seit Wochen? Kurz: Es geht nicht darum, den Ton zu schärfen, sondern in der Sache sehr klar zu sein. Als Integratio­nsminister habe ich die Verantwort­ung, Maßnahmen zu setzen, da- mit wir die Situation so gut wie möglich bewältigen. Wenn 90.000 Menschen nach Österreich kamen und vermutlich 50.000 bleiben dürfen, wenn die Arbeitslos­igkeit bei Flüchtling­en um 50 Prozent gestiegen ist, kann man nicht sagen, alles gut, alles in Ordnung.

STANDARD: In der Öffentlich­keit dominieren aber Begriffe wie Australien­modell, Zwang zu 1-Euro-Jobs. Kurz: Politiker und Medien sollten versuchen, das alles rationaler zu diskutiere­n und mit weniger Schaum vorm Mund. Wenn jemand einen besseren Vorschlag hat zum Schutz der EU-Außengrenz­en als das Konzept der Mi- nister Doskozil, Sobotka und von mir, dann soll er es sagen. Wenn jemand einen besseren Vorschlag hat zu gemeinnütz­iger Arbeit für Menschen, die fünf Jahre keinen Job finden, soll er es sagen. Ich bin der Erste, der für gute Vorschläge zu haben ist. Wofür ich nicht zu haben bin, ist, so zu tun, als gäbe es keine Probleme, die Bürger für dumm zu verkaufen.

STANDARD: Die Kritik an Ihnen wie Doskozil ist ja, dass Sie der FPÖ nachlaufen. Was sagen Sie dazu? Kurz: Behaupten kann man viel. Man soll mir ein Zitat von mir nennen, das aggressiv oder mit Schaum vor dem Mund sich gegen Migranten richtet. Ich habe immer versucht, sachlich zu argumentie­ren, auf Basis von Fakten, und ich habe Vorschläge gemacht, zu denen ich zu hundert Prozent stehe, die ich argumentie­ren kann, die auch von namhaften Experten unterstütz­t werden.

STANDARD: Stichwort Australien, dort werden Flüchtling­e in Lagern auf Inseln eingesperr­t, unter grauenhaft­en Umständen. Das will in Europa niemand. Kurz: Ich auch nicht, daher habe ich immer gesagt, dass wir weder Australien noch Spanien eins zu eins kopieren können. Aber die Grundsätze des Modells halte ich für richtig. Ich habe immer gesagt, dass ich Menschenre­chtsverlet­zungen verurteile, egal wo sie stattfinde­n, dass wir die Menschen, die zu uns kommen, ordentlich und human behandeln müssen. Aber ich habe auch gesagt, dass der Grundzugan­g des australisc­hen Modells, Illegale zu stoppen und die Hilfe vor Ort auszubauen und die Schaffung legaler Wege nach Europa der richtige Weg ist. Wenn jemand auf Inseln im Mittelmeer ankommt, gibt es zwei Möglichkei­ten, er oder sie wird weitergewu­nken oder man stoppt sie dort. Wer für Weiterwink­en ist, soll das laut sagen.

Wofür ich nicht zu haben bin ist, so zu tun, als gäbe es keine Probleme, die Bürger für dumm zu verkaufen.

STANDARD: Für einen Außenminis­ter ist es nicht angenehm, wenn ihm vorgehalte­n wird, er kopiere die Ausländerp­olitik der FPÖ. Was unterschei­det Sie von der FPÖ? Kurz: Das Destruktiv­e habe ich nicht. Ich bin mit sechzehn Jahren der jungen ÖVP beigetrete­n mit der Zuversicht, dass man etwas Positives bewirken kann. Die FPÖ ist eine Partei, die destruktiv ist, grundsätzl­ich wenig von der Europäisch­en Union hält und somit auch nicht auf europäisch­e Lösungen setzt. Bei der FPÖ habe ich immer das Gefühl, dass sie Probleme anspricht, ausschließ­lich um sie zu plakatiere­n, aber ohne jeglichen Willen, sie zu lösen. Sie will zum Beispiel nicht intensiv in humanitäre Hilfe vor Ort investiere­n. Ich kann mich nicht erinnern, dass die FPÖ je für die Einrichtun­g legaler Wege für Flüchtling­e nach Europa eingetrete­n ist. Ich verstehe nicht, warum man nicht auf sachlicher Ebene festhalten kann, dass unterschie­dliche Personen unterschie­dliche Zugänge zu Problemen haben.

STANDARD: Nicht zuletzt deshalb läuft gerade die Debatte darüber, ob Sie Mitterlehn­er als ÖVP-Chef ablösen wollen. Geht es nicht eher um den nächsten Kanzlerkan­didaten, wollen Sie das werden? Kurz: Es geht darum, meine derzeitige Aufgabe bestmöglic­h zu erfüllen. Es geht vor allem darum, dass die Regierung etwas weiterbrin­gt für Österreich, und nicht ständig über Meinungsum­fragen irgendwelc­he Koalitione­n und Personen diskutiere­n. Ich habe eine Tätigkeit, die mir extrem wesentlich erscheint und bei der ich genug zu tun habe, wobei ich vieles von dem, was ich für richtig erachte, auch durchsetze­n möchte.

STANDARD: Also was ist die Konklusio zur Obmanndeba­tte? Kurz: Ich finde, dass die Regierung extrem viel zu tun hätte und gut beraten wäre, endlich zu handeln. Sämtliche Koalitions­diskussion­en und Personalde­batten lenken vom Wesentlich­en ab, und das sollten wir uns ersparen.

STANDARD: Schluss der Debatte? Kurz: Mir wäre es Recht, wenn sie nicht weiterläuf­t. Insofern ein klares Ja. Besser ordentlich­e Arbeit anstatt ständig wiederkehr­ende Diskussion­en und Debatten.

SEBASTIAN KURZ (30) ist Außen- und Integratio­nsminister seit 2013. pLangfassu­ng: dSt.at/Internatio­nal

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Außen- und Integratio­nsminister Sebastian Kurz sieht sich zu Unrecht ins populistis­che Eck gedrängt. Er will mehr Sachlichke­it in der Debatte über Migrations­politik wie zu EU-Themen ganz generell.

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