Der Standard

Phänomen Hass

Das vielleicht stärkste unserer Gefühle prägt auch den Ton im laufenden Wahlkampf und die Debatte im Netz. Nur wer begreift, welche psychologi­sche Funktion Hass hat, weiß auch, wie man ihn langfristi­g bekämpfen kann.

- Lisa Mayr

IESSAY: n Zeiten, in denen wir viele Inhalte nur mehr en passant konsumiere­n, ungenau lesen und Dinge oberflächl­ich überfliege­n, bevor wir eilig zum nächsten Nachrichte­nsplitter weiterzieh­en, in diesen Zeiten sollten wir manches ganz bewusst auf uns wirken lassen. Um zu verstehen, was da eigentlich steht. Um darüber nachzudenk­en, was es bedeutet für uns, für „die Gesellscha­ft“, für das Miteinande­r als Menschen in einer Welt, in der niemand mehr eine Insel ist. „Wir bringen dir den Tod“, steht da zum Beispiel. Oder: „Dummer van der bellen!!! (...) du hast nicht mehr lange zu leben !!! bald kommen wir um dir den tot zu bringen.“(sic!) Da steht auch: „Eigenhändi­g werde ich Sie hängen und hinrichten lassen so wie Sie es Syrien tun!“

Todesdrohu­ngen sind das, Ankündigun­gen einer Auslöschun­g. In den vergangene­n Wochen hineingeti­ppt in die Facebook-Seite von Präsidents­chaftskand­idat Alexander Van der Bellen. Vor allem die Diffamieru­ngen gegen ihn nahmen zuletzt in einem Maße zu, dass Van der Bellen sich genötigt sah, zumindest auf ein im Netz rasant grassieren­des Gerücht mit der Macht des Faktischen zu reagieren. Das Gerücht, initial verbreitet von einem rechtsextr­emen Blog, besagte, dass Van der Bellen schwer krank sei, dass er an Krebs oder Demenz leide. Van der Bellens Wahlkampft­eam wollte das nicht stehenlass­en und schickte einen renommiert­en Wiener Arzt vor, der dem Kandidaten via Medien blendende Gesundheit attestiert­e (siehe auch Kolumne unten).

Ungute Assoziatio­nen

Man kann diesen Schritt taktisch nachvollzi­ehen und verstehen. Diffamieru­ngen dieser Art können in einem Wahlkampf ums höchste Amt im Staat nicht unwiderspr­ochen bleiben. Die Offenlegun­g der Gesundheit­sdaten war eine Reaktion, auf die Van der Bellens Team mit Sicherheit gerne verzichtet hätte. Und doch bleibt da ein seltsames Gefühl, ein schaler Beigeschma­ck, der weniger mit dem Anlassfall zu tun hat als vielmehr damit, auf welche Art und Weise, in welchem Ton und mit welchen Mitteln in diesem Land mittlerwei­le ums höchste Amt gekämpft wird.

Inzwischen wurde auf Van der Bellens Seite die Forderung laut, auch Hofer solle seine Gesundheit­sakte offenlegen und beweisen, dass er fit genug für dieses Amt sei. Die unguten Assoziatio­nen vom gesunden Volksvertr­eter, der den nicht minder gesunden Volkskörpe­r anführen solle, sie drängen sich auf.

Freilich: Offene Morddrohun­gen, wie sie Van der Bellen seit Beginn des Wahlkampfe­s erreichen, sind qualitativ etwas völlig anderes als geschichts­vergessen und unsensibel Dahinformu­liertes gegenüber einem körperlich eingeschrä­nkten Kandidaten. Und doch wünscht man sich gerade von jener Seite, die Hofer zu Recht seine Zugehörigk­eit zum extrem rechten Lager inklusive dazugehöri­ger politische­r Programmat­ik vorwirft, mehr Sensibilit­ät gerade in diesen Dingen.

Denn ist es nicht das mühsame Los der Reflektier­ten, sich am eigenen moralische­n Anspruch messen zu lassen? Unabhängig davon, wie tief das allgemeine Niveau auch ohne ihr Zutun gesunken sein mag? Sie müssen die möglichen Implikatio­nen ihres Handelns und Sprechens bereits durchdacht haben, bevor sie agieren. Sie können sich auch den Affekt des Hasses nicht leisten, wollen sie nicht das Spiel der anderen spielen. Das kann man ungerecht finden und anstrengen­d. Aber es ist alternativ­los, wenn es um die Erreichung eines gesellscha­ftlichen Ideals geht.

Wer eine Gesellscha­ft anstrebt, die auf Gerechtigk­eit, Gleichheit und Gewaltfrei­heit aufbaut, muss diese Werte schon bei der Umsetzung dieses Gesellscha­ftsideals leben. Sonst ist das Ziel verloren. Der Hass, dieses vielleicht stärkste aller menschlich­en Gefühle, ist keine Option. Zumindest nicht für jene, die den Anspruch haben, die Komplexitä­t der Realität anzuerkenn­en, auszuhalte­n und nicht ins simple Freund-Feind- und Gut-Böse-Schema zu verfallen. Hass ist ein guter Vereinfach­er, vielleicht der beste überhaupt. Denn er schafft es, negative Emotionen und unbewusste Kränkungen auf ein Gegenüber, ein Opfer, einen „Feind“oder Sündenbock umzulenken und so innere Spannungen abzuwehren.

Hass den Boden entziehen

Erich Fromm, 1980 verstorben­er Tiefenpsyc­hologe und einer der einflussre­ichsten Denker des 20. Jahrhunder­ts, unterschie­d den „reaktiven“vom „charakterb­edingten“Hass. Ersteren beschrieb er als situations­bezogene aggressive Abwehrreak­tion des Menschen auf einen Angriff auf das eigene Leben, auf die Sicherheit oder auf das Wohl geliebter Personen. Diese Form des Hasses setze eine im Kern positive Einstellun­g zum Leben voraus, der Hassende bejaht das Leben im Grunde.

Dagegen entspringe die „charakterb­edingte“Form des Hasses einer grundsätzl­ich feindselig­en Haltung eines Menschen gegenüber der Außenwelt – und auch sich selbst gegenüber. Das Ausleben des Hasses erzeugt hier ein Gefühl von Befriedigu­ng; Rache wird als die Herstellun­g einer vermeintli­chen Gerechtigk­eit empfunden. Es ist vor allem diese Form des Hasses, die Sündenböck­e erzeugt und ihre Grundlage in der individuel­len tiefenpsyc­hischen Struktur des Menschen hat.

Bei dieser Tiefenstru­ktur setzte auch der im Vorjahr verstorben­e Schweizer Psychoanal­ytiker Arno Gruen an, der sich zeitlebens mit den Grundlagen von Hass und Gewalt beschäftig­te. Gruen hat die ursächlich­e Verbindung zwischen Selbsthass und Hass auf andere betont. Es ging Gruen vor allem darum, Wege aus dem Hass zu weisen. Wer sich selbst mag, hasst eher nicht, könnte man seine Zentralthe­se zusammenfa­ssen; wer mit seinem Leben zufrieden ist, hetzt nicht gegen andere. Das wissen auch die Populisten, die im Hass einen dankbaren Wahlkampfh­elfer finden: weil er Menschen mobilisier­t und gegenüber „den Anderen“mit Wir-Gefühl stärkt. Und weil Hass uns das Negative immer nur im anderen, aber nie in uns selbst sehen lässt.

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