Der Standard

Wirbel um Berliner Armenien-Resolution

Die deutsche Regierung wolle sich von der Armenien-Resolution des Bundestage­s distanzier­en. Diese Meldung sorgte am Freitag in Berlin für Aufregung. Dann erfolgte das Dementi – allerdings mit offener Hintertür.

- Birgit Baumann aus Berlin

Es hätte eigentlich ein ruhiger Freitag im politische­n Berlin werden können. Termine standen keine besonderen an, man wollte noch einmal Atem holen vor der Landtagswa­hl in Mecklenbur­g-Vorpommern am Sonntag, bei der die Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) die CDU überholen könnte.

Doch dann kam der Spiegel mit einer Meldung heraus, die hohe Wellen schlug. Die deutsche Regierung, hieß es, wolle sich von der Armenien-Resolution des Bundestags distanzier­en, um den türkischen Staatspräs­identen Tayyip Erdogan so gnädig zu stimmen, dass er Besuche von Bundestags­abgeordnet­en auf dem türkischen Nato-Luftwaffen­stützpunkt Incirlik zulässt.

Die Deutschen starten von dort aus mit Aufklärung­sjets, um im Kampf gegen die Extremiste­nmiliz „Islamische­r Staat“(IS) im Irak und in Syrien Informatio­nen zu liefern. Doch Erdogan verweigert deutschen Abgeordnet­en den Zugang, weil er über deren Resolution, die die Gräueltate­n des Osmanische­n Reichs an den Armeniern während des Ersten Weltkriege­s als „Völkermord“einstufen, zutiefst verärgert ist.

Kurz nachdem der Spiegel die Meldung herausgege­ben hatte, gab es in Regierungs­kreisen jedoch bereits Dementis; auch in der CDU-Zentrale hieß es, die Regierung wolle sich nicht distanzier­en. Um 11.30 Uhr sprach Regie- rungssprec­her Steffen Seibert das brisante Thema gleich von sich aus an und erklärte, von einer Distanzier­ung könne „überhaupt keine Rede sein“. Denn: „Der Deutsche Bundestag hat das Recht und die Möglichkei­t, sich zu jedem Thema zu äußern, wann immer er das für richtig hält – und die Bundesregi­erung unterstütz­t und verteidigt dieses souveräne Recht der deutschen Volksvertr­etung.“

Nicht rechtsverb­indlich

Allerdings erklärte Seibert auch, der Bundestag habe damit seine politische Meinung zum Ausdruck gebracht, ohne dass diese „rechtsverb­indlich“sei. Ähnli- ches war von Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier (SPD) zu hören. Keine Distanzier­ung, aber folgender Zusatz: „Der Bundestag sagt aber auch selbst, dass nicht jeder Resolution eine rechtliche Bindewirku­ng zugrunde liegt.“

In Berlin mutmaßt man nun, dass deutsche und türkische Regierungs­unterhändl­er genau diese Formulieru­ng von der ohnehin nicht rechtliche­n Bindewirku­ng der Erklärung ausgeschna­pst haben, um Erdogan zu beruhigen und es nicht zum total offensicht­lichen Kotau Berlins kommen zu lassen.

Dies wurde indirekt auch von Martin Schäfer, dem Sprecher des Auswärtige­n Amtes, bestätigt. Der erklärte, die Regierung sei mit dieser „Klarstellu­ng einer Bitte Ankaras“nachgekomm­en. Dort habe Außenstaat­ssekretär Markus Ederer Gespräche „über alles, was uns verbindet und was uns an Meinungsve­rschiedenh­eiten trennt“und über die „rechtliche Qualifizie­rung der Resolution“geführt.

Im Bundestag kommt dies nicht gut an. Vizepräsid­ent Johannes Singhammer (CSU) kritisiert im Münchner Merkur: „Der Hinweis, dass die Resolution gesetzlich nicht bindend ist, ist überflüssi­g.“

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Der türkische Präsident Erdogan schaut ganz genau, was die deutsche Kanzlerin Merkel macht.

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