Der Standard

Stepic kritisiert EZB- Geldpoliti­k

Herbert Stepic, Berater und Exvorstand­schef der Raiffeisen Bank Internatio­nal, kritisiert die europäisch­e Geldpoliti­k und vermisst die Gegenwehr von Bankern wider die „Überreguli­erung“der Branche.

- Renate Graber

INTERVIEW:

Standard: Sie sind vor dreieinhal­b Jahren als Chef der Raiffeisen Bank Internatio­nal zurückgetr­eten, heute beraten Sie sie. Was geht Ihnen ab vom Geschäft? Stepic: Ich bin ja noch aktiv. Wenn ich mir aber das heutige Umfeld ansehe, an Stichworte wie Regulatori­en, EZB, Eigenkapit­alvorschri­ften und Basel IV denke, bin ich froh, dass ich nicht mehr hauptveran­twortlich tätig bin.

Standard: Viele Banker fühlen sich eingeschnü­rt, sagen, mit Banking habe ihr Job nichts mehr zu tun. Stepic: So ist es. Mit der Insolvenz von Lehman Brothers 2008 ist eine Ära des Bankgeschä­fts zu Ende gegangen. Bis da herrschte Überlibera­lisierung, seither schlägt das Pendel zur Überreguli­erung aus. Die Banken stecken in einem Korsett mit Schuhbände­rn. Das muss sich wieder einpendeln. Heute kann ein Generaldir­ektor nicht einmal mehr einen Geschäftsf­all allein entscheide­n. Trotzdem spürt man immer noch keinen vehementen Widerstand des Marktes. Viele Industriel­le wissen zwar, wo der Hase im Pfeffer liegt, aber die Rufer sind noch zu schwach. Die Banker hätten viel früher schreien müssen.

Standard: Man hört gar keine Proteste von Bankern. Stepic: Weil die Banker in Schockstar­re sind. Sie gehen nicht aus der Deckung, weil sie in der Öffentlich­keit sowieso schon als die Pfui-Deixln (Pfui-Teufel; Anm.) dastehen. Das darf nicht so bleiben, denn wir brauchen mehr Wachstum und müssen wieder wettbe- werbsfähig werden. Dabei spielen Banken und Geldpoliti­k eine wesentlich­e Rolle. Und da gibt es langsam Bewegung: Deutsche Spitzenman­ager kritisiere­n die Niedrigzin­spolitik der EZB gerade heftig. Ich hoffe, dass es im Schultersc­hluss mit der Industrie, die seit Jahren nicht mehr investiert, gelingen wird, normalisie­rte Zustände zu erreichen. An den Regulatore­n gibt es dagegen noch immer kaum Kritik, das ist mir unverständ­lich. Offensicht­lich haben die Bankmanage­r immer noch Angst, bei denen anzuecken, denen sie ausgeliefe­rt sind.

Standard: Sind Banker feig? Stepic: Lassen Sie mich so sagen: Sie sind stark vom Risikokalk­ül geprägt.

Standard: Sie kritisiere­n die Nullzinspo­litik der EZB, die Wachstum verhindere und hauptsächl­ich den hochversch­uldeten Ländern helfe. Stepic: Ja. Diese Politik führt zu enormen Verwerfung­en. Man muss sich das vorstellen: Italien kann sich heute billiger verschulde­n als die USA. Das ist einfach ein Wahnsinn. Das Kernproble­m ist, dass geldpoliti­sche Maßnahmen getroffen werden, aber fiskalisch­e Schritte und Strukturre­formen fehlen. Volkswirts­chaft ausschließ­lich durch Geldpoliti­k gestalten? Das kann nicht gehen. Die Politik muss sparen, reformiere­n, Steuern senken.

Standard: Noch zur Bankenland­schaft. Europa ist overbanked, derzeit sind gerade Fusionen en vogue; nicht nur im Raiffeisen-Sektor. Die EZB warnt aber: Fusionen seien kein Allheilmit­tel. Wie sehen Sie die Zukunft der Banken? Stepic: Wir stehen vor einer wesentlich­en Strukturve­ränderung des europäisch­en Bankensyst­ems. Es wird massive Bank- und Filialschl­ießungen geben, und es braucht starke Investitio­nen in IT und Digitalisi­erung. Österreich­s Institute haben zwar ihren Standortvo­rteil für Osteuropa genützt, sind aber vor allem bei der Digitalisi­erung Trendfolge­r und nicht Trendsette­r. Die Banken werden von rechts und links getögelt (geschlagen; Anm.): Man nimmt ihnen per Zinspoliti­k ihr Geschäftsm­odell und steckt sie in enge Eigenkapit­alkorsetts. Jetzt ist es Zeit, etwas zu tun. Banken müssen ums Geschäft mit Zahlungsve­rkehr, Karten, ums Private Banking kämpfen. Da stehen sie in Konkurrenz zu den Fintechs, die allerdings unregulier­t sind.

Standard: Sie sind überzeugte­r Europäer. Gefährdet der Brexit das Projekt EU? Stepic: Nein. Doch es droht Ansteckung­sgefahr, besonders in Zeiten der Populisten und Opportunis­ten. Und die EU hat – vor allem für Nichtbeitr­ittsländer – stark an Glanz und Glorie verloren. Es gibt zwar keine Alternativ­e zur EU – aber sie muss sich verändern. Die Währungsun­ion muss enger und strenger werden, und die EU braucht eine Verwaltung­sreform.

Standard: Und wie sehen Sie die Flüchtling­spolitik der EU? Stepic: Da gibt es zwei Ansatzpunk­te: Was können wir uns leisten, und was können wir den Leuten zumuten. Leisten können wir uns viel mehr, als wir bisher ausgegeben haben. Es wäre aber viel effiziente­r, die Entwicklun­gshilfe auszubauen, denn zehn Euro in Österreich entspreche­n 100 Euro in, zum Beispiel, Eritrea. Wesentlich­er aber sind eine kluge Integratio­nspolitik und die Art, wie die Politik das der Bevölkerun­g erklärt – in Zeiten, in denen mit der Flüchtling­sfrage politische­s Kleingeld geschlagen wird. Ich habe Hochachtun­g für Angela Merkel. Sie hat einen Standpunkt, sie weiß, dass er ihr zunehmend politisch schadet – aber sie bleibt bei dem, was sie glaubt. Das ist das Entscheide­nde. Wir schaffen das.

HERBERT STEPIC (69) leitete bis Mai 2013 die Raiffeisen Bank Internatio­nal, heute berät er sie. Der „Ostpionier“ist internatio­naler Consulter, u. a. Senior Adviser der Investment­bank Lazard.

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Kritisiert die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) und Bankenkors­etts, lobt Angela Merkel: Herbert Stepic.

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