Der Standard

Ein Leben wie ein Irrgarten

Im September 1916 wurde der britische Schriftste­ller Roald Dahl geboren. In seinem Heimatort Great Missenden erinnert ein sympathisc­hes Museum an ihn.

- Michael Marek

Schokolade­nfabrikant­en und Riesenpfir­siche – das war die Welt des Roald Dahl, die er in Büchern wie Küsschen, Küsschen, Der fantastisc­he Mister Fox und Charlie und die Schokolade­nfabrik beschriebe­n hat. 100 Jahre nach seiner Geburt am 13. September 1916 sind Dahls Bücher in mehr als 40 Sprachen übersetzt und Millionen seiner Kinderbüch­er verkauft worden. In seinem Heimatort Great Missenden, gut 50 Kilometer nordwestli­ch von London, steht ein Museum für den Meister des schwarzen Humors.

Ins Museum kommt man durch türgroße Schokolade­ntafeln, die zum Verdruss der zahlreiche­n jugendlich­en Besucher aus Plastik sind. Dahinter wird das Leben des Schriftste­llers erzählt. Unzählige Briefe, Fotos und Erinnerung­sstücke wurden zusammenge­tragen, auch Dahls Sandalen, seine RoyalAir-Force-Fliegerkap­pe aus dem Zweiten Weltkrieg. Dort steht sein zerschliss­ener Ohrensesse­l zwischen Videoinsta­llationen und Tondokumen­ten. Jeder Raum ist erfüllt von Roald Dahl. Selbst auf der Toilette kann man seine markante, dunkle Stimme hören.

Man wolle Kinder zum Schreiben animieren und sie ermutigen, den eigenen Fantasien zu folgen, sagt Amelia Foster. Die Literaturw­issenschaf­terin hat das RoaldDahl-Museum und -Geschichte­nzentrum über viele Jahre hinweg geleitet. Jedes Kind erhält am Eingang, gleich hinter den Schokolade­türen, ein Ideenbuch. Da kann man während des Besuchs alles aufschreib­en, was einem in den Sinn kommt. Auch Ausschneid­en und Kleben ist im Ideenbuch erlaubt, ganz so, wie Dahl selbst zu arbeiten pflegte. Er benutzte solche Hilfsmitte­l, um vermeintli­ch sinnlose und wunderschö­n lautmaleri­sche Wörter zu montieren. Er sammelte Listen von sich reimenden Wörtern und von Einfällen, die er später in seine Geschichte­n einbaute. „Wir waren uns bei der Entwicklun­g des Museums jedenfalls einig, dass wir keinen Dahl-Tempel wollten“, sagt Foster. Er habe nämlich drei Dinge gehasst: Museen, Bärte und langweilig­e Reden.

Wölfe in der Schreibhüt­te

In der Mitte des Museums steht ein Schuppen, der genauso wie Dahls Gartenhäus­chen aussieht. Jeden Vormittag verschanzt­e er sich dort, um in seinem Ohrensesse­l zu versinken und mit preußische­r Disziplin zu schreiben. Fast 40 Jahre arbeitete Dahl in Great Missenden. Stets mit gespitzten Bleistifte­n, die er sich extra aus den USA schicken ließ. In der Hütte wollte er allein sein. Nicht einmal seine Kinder durften hinein. In der Hütte gäbe es Wölfe, erzählte er ihnen, damit sie ihn nicht störten.

Dahls Name habe sich mittlerwei­le zu einem Markenlabe­l entwickelt, bedauert Amanda Conquy, die mit dem Autor persönlich befreundet war und jetzt die Roald-Dahl-Stiftung in Great Missenden leitet: „Er hatte einen bitterböse­n, aber wundervoll­en Humor. Dahl sagte von sich selbst, dass er niemals erwachsen wurde. Und das stimmt. Er konnte uns mitten in der Nacht aufwecken und sagen: ,Los, raus aus den Betten, wir machen jetzt einen Mitternach­tsspazierg­ang, und ich erzähle euch eine Geschichte!‘“

Ein Schlag gegen seine Birne habe ihn zum Schriftste­ller gemacht, pflegte Dahl zu sagen. Schuld war der Absturz seines Kampfflugz­eugs 1940 über der li- byschen Wüste, den er trotz einer schweren Kopfverlet­zung überlebte. Als man ihn später bat, die Geschichte aufzuschre­iben, waren Dahls Originalit­ät und Talent unübersehb­ar.

Bigotte Erwachsene

Manche Literaturk­ritiker fanden seine Bücher abscheulic­h, antisozial, antifemini­stisch. Seine jugendlich­en Leser machten ihn aber zu einem der weltweit erfolgreic­hsten Autoren. Er wusste, wie man Kinder für sich gewinnt. Dass sie sich gerne erschrecke­n und verblüffen lassen, dass sie sich gerne wundern und Unappetitl­iches schätzen. Dahls Bücher sind eigensinni­g, makaber, satirisch und handeln von schäbigen, brutalen, bigotten Erwachsene­n.

Alles politisch Korrekte sei ihm zuwider gewesen, erinnert sich Amanda Conquy. Dahl habe Verleger und Lektoren mit beleidigen­den Kommentare­n verärgert. Seine rührende Hinterhält­igkeit, immer nur Autoren zu loben, die bereits gestorben und also keine Konkurrenz mehr waren, zeuge vom Wunsch nach Anerkennun­g. Dahl wetterte gegen die Juroren des Man Booker Prize und gegen Salman Rushdie. Aber dieser Teil seiner Persönlich­keit wird im Museum fast völlig ausgeblend­et, auch seine antisemiti­schen Äußerungen 1982 während des israelisch­en Libanon-Feldzugs.

Das Museum wurde bereits als bestes touristisc­hes Projekt in Großbritan­nien ausgezeich­net. Vielleicht, weil hier Kommunalpo­litik und Kultur Hand in Hand gehen? Oder nur deshalb, weil es im Museum überall so wunderbar nach Schokolade riecht? „Ich hoffe, aus beiden Gründen“, sagt Literaturw­issenschaf­terin Amelia Foster. „Dieser besondere Geruch hier wurde jedenfalls eigens für uns hergestell­t. Wir haben so ein kleines Gerät, das ihn überall im Haus verteilt. Aber verraten Sie das bloß niemandem!“pwww. roalddahl.com/museum

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Ein Bauer in York gestaltet seine Maisfelder jedes Jahr mit Themenlaby­rinthen. 2016 kann man dort durch Figuren von Roald Dahl irren – im Bild Willy Wonka aus „Charlie und die Schokolade­nfabrik“.
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