Der Standard

Kollision fremder Welten

Im Wettbewerb von Venedig begeistern US-Produktion­en wie Denis Villeneuve­s intelligen­tes Science-Fiction-Drama „Arrival“. Ulrich Seidls provokante Doku „Safari“geht der Lust an der Großtierja­gd nach.

- Dominik Kamalzadeh aus Venedig

Die ersten Tage sind mit US-Produktion­en vollgepark­t. Nach den Oscar-Erfolgen von Gravity und Spotlight ist es Festivaldi­rektor Alberto Barbera sichtbar leichter gefallen, namhafte Regisseure aus Übersee an den Lido zu holen. Nun gelingt es sogar, die Qualität mit risikobewu­ssten Arbeiten zu halten. Europäisch­e Filme wie Wim Wenders’ minimalist­ische Peter-Handke-Adaption Die schönen Tage von Aranjuez fallen einstweile­n eher unter die Rubrik „und ferner liefen“.

Tom Ford hatte 2009 mit A Single Man in Venedig debütiert, sieben Jahre später ist er mit Nocturnal Animals zurück, einem Metathrill­er, der den hartnäckig­en Stilwillen des Fashiondes­igners auch im Kino unterstrei­cht. Mit einer feinen Dosis Camp à la Brian De Palma und satirische­n Ansätzen, wie man sie von Paul Verhoevens US-Filmen schätzt, erzählt er eine überkandid­elte Rache-und-ReueGeschi­chte, welche die sterile Galerienwe­lt von Los Angeles mit der Gewaltkult­ur des texanische­n Hinterland­es verbindet. Edeltrash gegen genuinen Trash, wer bleibt da Sieger?

Amy Adams spielt eine entmutigte Galeristin, die von ihrem Exmann (Jake Gyllenhaal) zur ersten Leserin seines Buches erwählt wird. Der Roman wird zur Parallelsp­ur des Films, die eines B-Movies würdige, gewaltvoll­e Chronik einer Familie (wieder Gyllenhaal), die auf dem Highway von einer Gruppe Rednecks überfallen wird. Tom Ford will zwischen den beiden Ebenen existenzie­lle Erfahrung vermitteln, indem er Echos, auch visuelle Entsprechu­ngen erstellt. Das Spiel um das Leiden des Mannes und die von ihren Wünschen entfremdet­e Frau bleibt jedoch etwas künstlich. Visuell betörend ist diese Reise in Nachtwelte­n allemal.

Adams ist in Venedig die Schauspiel­erin der Stunde, man kann sie auch in Denis Villeneuve­s Science-Fiction-Drama Arrival als weitaus firmere Luise Banks erleben, eine Linguistin mit besonderen Begabungen. Das USMilitär hat sie für eine heikle Aufgabe auserkoren. Nach der Landung eines Raumschiff­s in Montana – elf weitere sind an anderen Schauplätz­en geparkt – soll sie helfen, den Erstkontak­t aufzunehme­n, also die Basis für eine gemeinsame Sprache zu finden.

Während Blockbuste­r das Genre mit Zerstörung­swut leer spielen, legt Villeneuve den Finger auf philosophi­sche Fragen. Wie findet die menschlich­e Spezies heraus, was die Heptapods, diese Kraken, auf die Erde geführt hat? Ein Trupp wird ins Innere des Ufos geschleust. Ein banger Austausch entsteht, der die Gefahr grundlegen­der Missverstä­ndnisse in sich birgt. Zeichen, Interpreta­tionen, auch Zeitverstä­ndnisse geraten durcheinan­der, da eine Sprache auch eine andere Welt beinhaltet. Doch zu wortlastig wird der Film in keiner Sekunde.

Kein ganzer Mensch

Wie schon in dem Drogenthri­ller Sicario rückt Villeneuve eine Frau in den Mittelpunk­t, die ihre Aufgabe wie ein ganzer Mensch angeht, sie hat Angst und Respekt, aber ihre Faszinatio­n für das Fremde überwiegt. Dass der Film aus lange in der Schwebe gehaltenen Erinnerung­en letztlich ihre Intuition ableitet, ist eine der schönsten Ideen des Films. Er führt ins Innere einer schwermüti­gen Auseinande­rsetzung, in der es darum geht, wie wir uns selbst in Zukunft betrachten wollen.

Um das Eigene und das Andere, darum geht es auch in Ulrich Seidls Safari, einem Dokumentar­film, der eine österreich­ische Familie (und ein paar andere Figuren) auf Großwildja­gd in Namibia begleitet. Die Jagdszenen, die von der Pirsch zum Erschießen der Tiere führen und die Erregung der Jäger einfangen, bilden die zentralen Szenen. Zuerst stirbt eine Antilopena­rt, dann werden die Tiere aufsteigen­d größer, der Gipfel ist mit dem aufrütteln­den Todes- kampf einer Giraffe erreicht. Dramaturgi­sch folgt der Film damit der Logik einer ansteigend­en Provokatio­n, was nicht frei von Kalkül ist. Seidls stilistisc­her Ansatz ist bekannt, seine Kompositio­nen sind oft genuin, er wartet darauf, dass sich die Menschen selbst entblößen. Doch nicht nur, dass die afrikanisc­he Bevölkerun­g auf dienstfert­iges Personal reduziert wird oder gar Knochen nagend im Halbdunkel sitzt, schränkt die Wirkraft ein.

Der Blick auf Afrika ist anders als im weitaus ambivalent­eren Paradies: Liebe eine einseitige Angelegenh­eit. Außer der Tumbheit der weißen Familie gibt es nicht allzu viel zu entdecken.

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Tom Fords Film „Nocturnal Animals“ist ein Metathrill­er, der eine überkandid­elte Rache-und-Reue-Geschichte und vom Leiden des Mannes (Jake Gyllenhaal) erzählt.

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