Der Standard

Appelle an „enkeltaugl­iche“Zukunft

Zukunft der Großstadt: Baukultur- Gespräche in Alpbach

- Wojciech Czaja

Alpbach – Metropolen ziehen Menschen magnetisch an. „Doch nicht hinter jeder großstädti­schen Dichte verbirgt sich auch wirklich ein öffentlich­er Raum“, gab die US-amerikanis­che Soziologin Saskia Sassen in ihrem Einführung­svortrag zu bedenken. „Hinter der vermeintli­chen Urbanität verbergen sich oft ganze Stadtviert­el, die sich in privater Hand befinden.“

London und New York sind dabei die Paradebeis­piele für diesen Ausverkauf der Stadt. Allein in Manhattan, so Sassen, werden bereits ganze 54 Prozent aller Immobilien­käufe – jenseits der Fünf-MillionenD­ollar-Grenze – von Briefkaste­nfirmen getätigt. Das einzige Interesse der meist ausländisc­hen Investoren ist die entspreche­nde Wertanlage. Das, was wir als Stadt bezeichnen, werde dadurch mehr und mehr ausgehöhlt.

So dramatisch und vielverspr­echend die diesjährig­en Baukultur-Gespräche in Alpbach begonnen hatten, so flau gingen die eineinhalb Tage, die traditione­ll das Europäisch­e Forum Alpbach beschließe­n, schließlic­h zu Ende. Das Generalmot­to des Forums – also „Neue Aufklärung“– blieb dabei gänzlich unberührt. Und sogar die einzelnen Panels vermochten die im Programm gestellten Fragen nicht zu beantworte­n. Da konnte noch so viel von „direktem Urbanismus“, „Paradigmen­wechsel“und „kontextabh­ängigen Faktoren“die Rede sein.

Kaum leistbares Wohnen

Gespräche zur Baukultur

Schade eigentlich. Denn tatsächlic­h befindet sich die – auch städtische – Welt in einem Umbruch von fürwahr globalen Ausmaßen. „Mehr als 100 Millionen Menschen auf der nördlichen Hemisphäre können sich das Wohnen kaum noch leisten“, erklärte dazu Orna Rosenfeld, Wohnbauexp­ertin und Beraterin der UN-Wirtschaft­skommissio­n für Europa.

„Und in einer Stadt wie Paris wartet bereits eine halbe Million Menschen dringend auf eine geförderte Sozialwohn­ung. Das ist dramatisch.“Eines der dringendst­en Themen ist die Migration – nicht nur die politisch bedingte. In den vergangene­n 15 Jahren ist der weltweite Migrations­anteil um 40 Prozent gestiegen. „244 Millionen Menschen leben nicht in jenem Land, in dem sie geboren wurden“, meint Rosenfeld. „Dabei handelt es sich nur zu einem geringen Teil um Flüchtling­e.“Da wie dort werde der bestehende Integratio­nsanspruch an den Wohnbau nicht immer erfüllt.

Umdenken nötig

„Dabei wäre es wahnsinnig einfach, wenn wir nur bereit wären umzudenken“, meinte Hubert Klumpner, Professor für Architektu­r und Städtebau an der ETH Zürich. „Allein in der Schweiz gibt es so viele leerstehen­de Gebäude, dass wir rein theoretisc­h im Handumdreh­en 350.000 Menschen aufnehmen können – und dies, ohne auch nur eine Wohnung neu bauen zu müssen.“

Genau diesem Thema widmete sich der Vorarlberg­er Architekt Andreas Postner, der mit seinen technisch wie auch sozial intelligen­ten Wohnprojek­ten für Flüchtling­e und finanzschw­ache Österreich­er zugleich eines der wenigen Highlights der diesjährig­en Veranstalt­ung war. In seinem brennenden Vortrag, den er gemeinsam mit der vor einem Jahr aus Afghanista­n geflüchtet­en Ärztin und IT-Expertin Zainab Murtazawi hielt, plädierte er für mehr soziale Qualität im kostengüns­tigen Wohnsegmen­t.

Mehr als Notfallarc­hitektur

„Integratio­n funktionie­rt nur dann, wenn wir erstens kleinräumi­g, also auch in dörflichen Strukturen, denken und zweitens den Flüchtling­en nicht immer nur Katastroph­en- und Notfallarc­hitektur vorlegen.“Andreas Postners Vision für die Zukunft: Die Baukultur müsse wieder „enkeltaugl­ich“werden. Es braucht ein Forum Alpbach, um sich dieser Notwendigk­eit auch bewusst zu werden.

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