Der Standard

Wider die schnöselig­e Überheblic­hkeit

Schluss mit dem allgemeine­n Defätismus: Wer im Oktober als Bundespräs­ident in die Hofburg einziehen wird, hängt nicht von den Weltläufte­n ab, sondern ganz allein von uns selbst.

- Karl-Markus Gauß

Geschehen die Dinge in der historisch vorgesehen­en Reihenfolg­e, dann gewinnt eine Partei der autoritäre­n Rechten zuerst die Wahl, um daraufhin die Unabhängig­keit des nationalen Verfassung­sgerichts zu beschneide­n. Es gibt aber auch die österreich­ische Ausnahme von der europäisch­en Regel: Bei uns ist zuerst der Verfassung­sgerichtsh­of an der Reihe und lässt eine Wahl, an deren korrektem Ausgang kein Zweifel bestand, vorsorglic­h wiederhole­n, auf dass der Kandidat der autoritäre­n Rechten vielleicht doch noch das höchste Amt im Staate erlange.

Die Verfassung­srichter haben sich nicht für diese originelle Chronologi­e entschiede­n, weil sie parteiisch wären oder unbedingt Norbert Hofer als Präsidente­n sehen möchten. Vielmehr haben sie in ängstliche­r Beflissenh­eit etwas nachgeholt, was ihnen die Politik seit Jahrzehnte­n vormacht: Sie haben die FPÖ bevorzugt – vermutlich, um sich nicht deren Vorwurf auszusetze­n, sie würden sie benachteil­igen.

Klein, mit großem Einfluss

Keine Partei hat mit einer über lange Zeit so kleinen Wählerscha­ft so großen Einfluss auf Gesellscha­ft und Politik Österreich­s ausgeübt wie die FPÖ. Das war schon bei ihrem Vorläufer so, dem „Verband der Unabhängig­en“, um dessen Klientel, die belasteten Nationalso­zialisten, uneinsicht­igen Deutschnat­ionalen und bedauernsw­erten Spätheimke­hrer aus der Kriegsgefa­ngenschaft, die beiden damaligen Großpartei­en bedenkenlo­s buhlten.

Im Kampf um die elf Prozent, die der VdU an Wählerstim­men an- und aufzubiete­n hatte, waren SPÖ und ÖVP nicht nur vernünftig­erweise bereit, den Besiegten und Orientieru­ngslosen eine neue politische Heimat zu bieten und sie so für die fragile, noch unentwicke­lte Demokratie zu gewin- nen, sondern auch jenen die Absolution zu erteilen, denen Einsicht fremd war und Läuterung überflüssi­g erschien.

Im Grunde ist es bis heute dabei geblieben. Zwei Jahrzehnte lang eine Partei um die sechs Prozent, wurde die FPÖ notorisch von den einen wie den anderen umworben, als müsste sie aus Staatsräso­n oder Gründen des inneren Zusammenha­lts der Nation in jeder Regierung repräsenti­ert sein, ohne deswegen schon in eine reguläre Koalition eingebunde­n zu werden. Erst recht seit den 1990erJahr­en treibt die FPÖ die wechselnde­n Regierunge­n vor sich her, so dass es für sie durchaus komfortabe­l war, in der Opposition zu verbleiben. Weil jede Regierung mehr oder weniger moderat berücksich­tigt hat, was sie auf rabiate Weise verlangte, ist die FPÖ de facto eine Macht in Österreich geworden, ohne die Macht parlamenta­risch je gewonnen zu haben.

Nicht zu domestizie­ren

Über jedes Maß hinaus hat die FPÖ das Sagen, seitdem sie in der Flüchtling­skrise den Notstand ausgerufen hat; und die Regierende­n, panisch besorgt um die Res- sentiments potenziell­er Wähler, der Bevölkerun­g so lange eingeredet haben, deren Ängste ernst zu nehmen, bis sich diese wirklich zu fürchten begann. Die Ängste hunderttau­sender Österreich­er, die sich nicht fürchten wollten, galten hingegen bald für nichts, und dieser Verrat am weltoffene­n Österreich hat sich bitter gerächt. Denn die FPÖ ist nicht zu domestizie­ren, indem man Schritt für Schritt ihre Forderunge­n erfüllt, im Gegenteil, wo immer andere diese für sie verwirklic­hen, muss sie umgehend selbst überbieten, wofür sie noch gestern Propaganda machte.

Es ist, als gäbe es ein natürliche­s Anrecht der Freiheitli­chen darauf, dass ihre Obsessione­n auch von jenen respektier­t werden müssen, die sie nicht teilen, die sie für falsch halten, ja als Hetze durchschau­en. Isolde Charim hat in einer klugen Glosse in der Wiener Zeitung kürzlich von einem „populistis­chen Konkordat“gesprochen, einer Art ungeschrie­benen Vertrags, der den Freiheitli­chen eine Sonderstel­lung in der österreich­ischen Gesellscha­ft einräumt und stets ernsthaft zur Dispositio­n stellt, was immer diese anprangern. Ihre reale Privilegie­rung hindert die Freiheitli­chen natürlich nicht, sich als jenes Opfer von Ausgrenzun­g hinzustell­en, mit der sie selbst gewohnheit­smäßig ihr politische­s Geschäft betreiben.

Missliche Situation

Mit dieser Politik sind wir endlich bei prognostiz­ierten 35 Prozent für die Freiheitli­chen angelangt und in die missliche Situation geraten, am 2. Oktober noch einmal einen Präsidente­n wählen zu müssen, der schon im Mai von einer – allerdings äußerst knappen – Mehrheit gewählt worden war.

Angesichts der skandalöse­n Unzulängli­chkeiten, die es bei der Stichwahl gegeben hat, werden nun im ganzen Land die Wahlkommis­sionen instruiert, welche Fehler künftig unbedingt zu vermeiden sind. Dreimal darf man raten, wer bei diesen Fortbildun­gsveransta­ltungen für die Wahlbeisit­zer beispielsw­eise in Stadt und Land Salzburg flächendec­kend gefehlt hat! Die Vertreter jener Partei, die vorsorglic­h darauf baut, dass sich bei Bedarf neue Unzu- länglichke­iten finden lassen werden, mit denen sie den immerwähre­nden Verdacht ausstreuen kann, schon wieder benachteil­igt worden zu sein.

Mit der für ihn typischen Rhetorik, maßlose Kritik mit vagen Verdächtig­ungen zu verbinden und sich jedenfalls als Opfer einer Verschwöru­ng auszugeben, an der alle beteiligt sind, die nicht für ihn stimmen, hat Norbert Hofer schon den Ton vorgegeben, der uns im Falle seiner neuerliche­n Niederlage begleiten wird.

Ach, der Herr Hofer, den die „Menschen“wählen, nicht die „Hautevolee“! Wenn das stimmte, dann wäre Österreich weltweit das einzige Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerun­g der Hautevolee zugehört, abgesehen davon, dass diese für Hofer offenbar nicht aus Menschen besteht.

Verstörend­e Apathie

Höre ich mich in meinem Bekanntenk­reis um, verstört mich die gereizte Apathie, die viele ergriffen hat, weil sie offenbar davon ausgehen, dass die Wahl vom 2. Oktober bereits verloren ist. Warum? Weil die Annahme der Verfassung­srichter, ihre strikte Entscheidu­ng würde selbst die Parteigäng­er der FPÖ davon überzeugen, dass hierzuland­e eben doch demokratis­che Regeln herrschen, irrig war. Wer davon überzeugt ist, dass ein anonymes Kartell über die Menschen herrsche, fühlt sich durch die Tatsache, dass die Wahl aufgehoben wurde, in seinem allumfasse­nden Misstrauen nicht erschütter­t, sondern bestärkt.

Defätistis­che Haltung

Und weil, was immer in der Welt an Barbarisch­em geschieht, Anschläge da und dort, Verbrechen von Asylwerber­n, Übergriffe seitens anerkannte­r Flüchtling­e, Hofer in die Hände zu spielen scheint. Ich halte diese defätistis­che Haltung für inakzeptab­el, denn wer im Oktober österreich­ischer Präsident wird, hängt nicht von den Weltläufte­n ab, sondern – von uns. Von uns, deren Aufgabe es ist, unsere Landsleute zu überzeugen, dass Hofer für das Amt des Präsidente­n völlig ungeeignet ist. Überzeugen, das ist der Nachteil daran, muss man freilich nicht die, die der gleichen Meinung sind wie man selbst, sondern jene, die eine andere haben.

Wie könnte man nichts dagegen vorzubring­en haben, dass sich ausgerechn­et ein Mann, der drei mickrige Jahre in der Privatwirt­schaft tätig war und sich sonst sein Lebtag lang als Parteisold­at verdingte, den Wählerinne­n als jener Antipoliti­ker präsentier­t, der die Gewinnler des „Systems“das Fürchten lehren wird? Wie sollte man nicht dagegen ankommen, dass sich ein Politiker als Schutzpatr­on der kleinen Leute aufspielt, der in ökonomisch­en Fragen auf das neoliberal­e Friedrich-HayekInsti­tut setzt, das mit der sozialen Marginalis­ierung jener Menschen kalkuliert, die er zu unterstütz­en vorgibt? Und ein Mann, der die „Heimat“zum Privateige­ntum seiner Partei erklärt, aber Ehrenmitgl­ied einer deutschnat­ionalen Verbindung ist, die die österreich­ische Nation für eine ideologisc­he Missgeburt hält! Der den mitfühlend­en Patron gibt, aber wie die skrupellos­en Hasardeure David Cameron und Boris Johnson bereit ist – Brexit heute ja, Brexit morgen nein – für einen Wahlsieg die Interessen seines Landes jederzeit aufs Spiel zu setzen!

Ekel vor dem Alltag

So ein Präsidents­chaftskand­idat wäre nicht aufzuhalte­n? Jetzt gebe ich es einmal vorsätzlic­h naiv: Jeder, der diesen Präsidente­n für ein Verhängnis hält, setze sich das Ziel, einen Wähler, eine Wählerin, die Hofer im ersten Durchgang gewählt haben, zu überzeugen, dies bei der Wahlwieder­holung nicht noch einmal zu tun! Wenn wir das nicht zuwege bringen, aus schnöselig­er Überheblic­hkeit, aus degoutante­m Ekel vor den Niederunge­n des politische­n Alltags, werden wir im Oktober einen Präsidente­n haben, der offenherzi­g angekündig­t hat, dass wir uns noch wundern werden, über ihn und über das, was er in Österreich alles anrichten kann.

Und ich werde dann der Erste sein, der sagt: Ja, gerade den haben wir verdient. Basta.

KARL-MARKUS GAUSS( Jahrgang 1954) ist Schriftste­ller, Essayist, Kritiker, Herausgebe­r der Zeitschrif­t „Literatur und Kritik“und lebt in Salzburg. Zuletzt erschienen: „Der Alltag der Welt. Zwei Jahre, und viele mehr“. Paul-Zsolnay-Verlag, Wien 2015

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Burka, parteipoli­tische Betonpatsc­herln, autochthon­e Heimat-Aliens (zahlreich) und der heilige Antonius von Padua, Schutzpatr­on der Schweinehi­rten und Sozialarbe­iter, der einen gelegentli­ch auch Verlorenes wiederfind­en lässt: Der...
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Foto: Gauß K.-M. Gauß: maßlose Kritik, vage Verdächtig­ungen.

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