Was man hoffen darf und soll
Der praktische Philosoph Wolfgang Pullmann legt ein Buch mit seinen Lebenseinsichten vor.
Es ist mit „Was darf ich hoffen?“die dritte Kant’sche Frage, der sich Wolfgang Pullmann in seinem Langessay widmet. Während die ersten Frage, „Was kann ich wissen?“, laut Kants Kritik der reinen Vernunft auf das Feld der Spekulation und die zweite, „Was soll ich tun?“, in die Gefilde des Praktischen führt, ist die dritte Frage, so Kant, „praktisch und theoretisch“zugleich.
Schon der Untertitel seines Werkes – Einsichten eines praktischen Philosophen – deutet an, dass der 1946 geborene Pullmann zwar beiden Feldern gerecht zu werden gedenkt, seinen Blick aber vor allem auf der angewandten Philosophie ruhen lässt. In 21 Kapiteln skizziert der Salzburger Autor kurzweilig vorwiegend Denkschulen der antiken Philosophie, von denen der Stoizismus und Epikureismus, die Aufmerksamkeit, Wachsamkeit und Geistesgegenwart fordern, dem praktischen Philosophen Pullmann besonders wichtig erscheinen.
Worauf also soll man achtgeben, wie den zeitgemäßen „Kitschmodellen der Selbsterfahrung und der Selbstverwirklichung“entgehen? Die Therapie des „Erkenne dich selbst“, die es ermöglicht, sich selbst klar und somit den anderen halbwegs neutral zu sehen, die Pullmann anbietet, ist beileibe nicht neu, dafür immer wirksam.
Es geht in Pullmanns Essay indes nicht um das End-, sondern um das Allgemeingültige, und es ist kein Zufall, dass er ein längeres Anfangskapitel einigen Archetypen C. G. Jungs widmet, bevor er sich in Kapiteln wie Eros, Fitness und Wellness, Freiheit, Geiz und Gier oder Macht und Mythos mit den Themen unserer Zeit befasst. Inständig plädiert der praktische Philosoph für das Staunen in einer verblüffungsresistenten Zeit und den Zweifel, beziehungsweise das eigenständige Denken.
Manche Gedanken Pullmanns, etwa wenn es um die EU geht, sind dabei durchaus streitbar. Die Stellungnahmen des Autors zwingen den Leser, trotz aller Differenziertheit des umrissenen Gedankengebäudes ständig, eigene Positionen zu beziehen – oder zu hinterfra- gen. Es gibt Schlechteres, was einem bei der Lektüre eines Buches passieren kann.
Gegen Ende des Bandes befasst sich Pullmann mit dem Verzeihen. „Haben Sie einmal überlegt“, fragt er, „ob das Festhalten an einem zugefügten Leid ein Machtthema für Sie ist?“Lebenslänglich, so Pullmann, sollte man weder sich selbst noch dem anderen geben. Die Antwort darauf, wo der endgültige Sinn des Lebens liegen mag, bleibt naturgemäß offen. Pullmann, daran lässt er keinen Zweifel, findet einen „Sinngrund“auch in Gott.
„Einen unbedingten Sinn zu retten ohne Gott, ist eitel“, zitiert er aus Habermas’ Zwischen Naturalismus und Religion. In dieser 2005 erschienenen Aufsatzsammlung findet sich mit „Religion in der Öffentlichkeit“auch ein von Pullmann herausgehobener Text, der sich mit dem Verhältnis von Religion und aufgeklärtem Bewusstsein befasst, zwei Bereichen also, die sich zunehmend in einer beunruhigenden Frontstellung befinden.
In dieser brisanten postsäkularen Situation solle die nachmetaphysische Philosophie Habermas zufolge in ihrer einerseits abgrenzungsbewussten, andererseits offenen Haltung der Religion gegenüber als Vorbild dienen. Ihre Einstellung – „agnostisch“und „lernbereit“zugleich – solle auch der säkulare Bürger einnehmen. Während die religiösen Bürger die säkularen politischen Institutionen zu akzeptieren hätten, müssten die Nichtreligiösen mindestens die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass in den Äußerungen der Religiösen „Übersetzbares“, argumentativ Verallgemeinerbares schlummere.
Was darf ich hoffen? ist ein Buch über Leben, Glauben, Resilienz und ein Plädoyer dafür, wie Pullmann Churchill zitiert, nach erlittenen Niederlagen die Begeisterung nicht zu verlieren.