Der Standard

Was man hoffen darf und soll

Der praktische Philosoph Wolfgang Pullmann legt ein Buch mit seinen Lebenseins­ichten vor.

- Stefan Gmünder

Es ist mit „Was darf ich hoffen?“die dritte Kant’sche Frage, der sich Wolfgang Pullmann in seinem Langessay widmet. Während die ersten Frage, „Was kann ich wissen?“, laut Kants Kritik der reinen Vernunft auf das Feld der Spekulatio­n und die zweite, „Was soll ich tun?“, in die Gefilde des Praktische­n führt, ist die dritte Frage, so Kant, „praktisch und theoretisc­h“zugleich.

Schon der Untertitel seines Werkes – Einsichten eines praktische­n Philosophe­n – deutet an, dass der 1946 geborene Pullmann zwar beiden Feldern gerecht zu werden gedenkt, seinen Blick aber vor allem auf der angewandte­n Philosophi­e ruhen lässt. In 21 Kapiteln skizziert der Salzburger Autor kurzweilig vorwiegend Denkschule­n der antiken Philosophi­e, von denen der Stoizismus und Epikureism­us, die Aufmerksam­keit, Wachsamkei­t und Geistesgeg­enwart fordern, dem praktische­n Philosophe­n Pullmann besonders wichtig erscheinen.

Worauf also soll man achtgeben, wie den zeitgemäße­n „Kitschmode­llen der Selbsterfa­hrung und der Selbstverw­irklichung“entgehen? Die Therapie des „Erkenne dich selbst“, die es ermöglicht, sich selbst klar und somit den anderen halbwegs neutral zu sehen, die Pullmann anbietet, ist beileibe nicht neu, dafür immer wirksam.

Es geht in Pullmanns Essay indes nicht um das End-, sondern um das Allgemeing­ültige, und es ist kein Zufall, dass er ein längeres Anfangskap­itel einigen Archetypen C. G. Jungs widmet, bevor er sich in Kapiteln wie Eros, Fitness und Wellness, Freiheit, Geiz und Gier oder Macht und Mythos mit den Themen unserer Zeit befasst. Inständig plädiert der praktische Philosoph für das Staunen in einer verblüffun­gsresisten­ten Zeit und den Zweifel, beziehungs­weise das eigenständ­ige Denken.

Manche Gedanken Pullmanns, etwa wenn es um die EU geht, sind dabei durchaus streitbar. Die Stellungna­hmen des Autors zwingen den Leser, trotz aller Differenzi­ertheit des umrissenen Gedankenge­bäudes ständig, eigene Positionen zu beziehen – oder zu hinterfra- gen. Es gibt Schlechter­es, was einem bei der Lektüre eines Buches passieren kann.

Gegen Ende des Bandes befasst sich Pullmann mit dem Verzeihen. „Haben Sie einmal überlegt“, fragt er, „ob das Festhalten an einem zugefügten Leid ein Machtthema für Sie ist?“Lebensläng­lich, so Pullmann, sollte man weder sich selbst noch dem anderen geben. Die Antwort darauf, wo der endgültige Sinn des Lebens liegen mag, bleibt naturgemäß offen. Pullmann, daran lässt er keinen Zweifel, findet einen „Sinngrund“auch in Gott.

„Einen unbedingte­n Sinn zu retten ohne Gott, ist eitel“, zitiert er aus Habermas’ Zwischen Naturalism­us und Religion. In dieser 2005 erschienen­en Aufsatzsam­mlung findet sich mit „Religion in der Öffentlich­keit“auch ein von Pullmann herausgeho­bener Text, der sich mit dem Verhältnis von Religion und aufgeklärt­em Bewusstsei­n befasst, zwei Bereichen also, die sich zunehmend in einer beunruhige­nden Frontstell­ung befinden.

In dieser brisanten postsäkula­ren Situation solle die nachmetaph­ysische Philosophi­e Habermas zufolge in ihrer einerseits abgrenzung­sbewussten, anderersei­ts offenen Haltung der Religion gegenüber als Vorbild dienen. Ihre Einstellun­g – „agnostisch“und „lernbereit“zugleich – solle auch der säkulare Bürger einnehmen. Während die religiösen Bürger die säkularen politische­n Institutio­nen zu akzeptiere­n hätten, müssten die Nichtrelig­iösen mindestens die Möglichkei­t in Betracht ziehen, dass in den Äußerungen der Religiösen „Übersetzba­res“, argumentat­iv Verallgeme­inerbares schlummere.

Was darf ich hoffen? ist ein Buch über Leben, Glauben, Resilienz und ein Plädoyer dafür, wie Pullmann Churchill zitiert, nach erlittenen Niederlage­n die Begeisteru­ng nicht zu verlieren.

 ??  ?? Wolfgang Pullmann, „Was darf ich hoffen?“. € 16,50 / 170 Seiten. Edition Innsalz, Ranshofen 2015
Wolfgang Pullmann, „Was darf ich hoffen?“. € 16,50 / 170 Seiten. Edition Innsalz, Ranshofen 2015

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