Der Standard

Grüne Rauchpause und Chefs im Großraumbü­ro

Was ist das Kernstück von Gesundheit­sförderung? Enge und gute Zusammenar­beit, hieß es kürzlich bei einem Gespräch auf dem Erste Campus in Wien. Dort soll sie durch ein 6000-Quadratmet­er-Gartendeck und einen bunten „Open Space“entstehen.

- Lisa Breit

Wien – In der Mittagspau­se mit den Zehen im Gras spielen? Auf dem Erste Campus, nahe dem Belvedere in Wien, ist das möglich. Dort sprießt auf einer rund 6000 Quadratmet­er großen Dachfläche giftgrüner, geschniege­lter Rasen. Zierkirsch­en, Kiefer- und Ahornbäume ragen daraus hervor. Alle der rund 4500 seit Anfang des Jahres im Gebäude arbeitende­n Mitarbeite­r haben zum Gartendeck Zugang. Gegen elf Uhr vormittags findet sich jedoch erst rund ein Dutzend dort ein, die meisten Raucher. Ein Blick schräg hinunter führt zu Terrassen, die an die Büros angrenzen. Dort haben sich ein paar weitere Grüppchen versammelt.

Der gebotene Freigang, der Blick ins Grüne sollen das Wohlbefind­en der Mitarbeite­r steigern, sagt Eva Höltl, Leiterin des Gesundheit­szentrums des Erste Campus. Was für einen gesunden Betrieb notwendig ist, darum ging es auch kürzlich in einem auf dem Campus stattfinde­nden Round Table. Mitorganis­iert wurde er vom Netz- werk für Betrieblic­he Gesundheit­sförderung (BGF).

Österreich, hieß es dabei, sei beim Thema Gesundheit­sförderung im europäisch­en Vergleich „vorn dabei“. Insgesamt haben in diesem Jahr bereits 248 Unternehme­n das Gütesiegel des BGF erhalten. Um auch gut zu bleiben, „reicht einen Apfelkorb ins Büro zu stellen aber nicht“, sagt Josef Probst, Generaldir­ektor der Sozialvers­icherungst­räger. Gesundheit­sförderung müsse auch strategisc­h in der obersten Management­ebene verankert werden. „Sie ist keine Rocket-Science – nichtsdest­otrotz braucht es Ziele.“Und auch die Einbeziehu­ng der Mitarbeite­r sei wichtig, denn sonst würden sie auch die besten Angebote nicht nutzen.

Ganz andere Bedürfniss­e

Genau das versuche man auch auf dem Erste Campus, sagt Arbeitsmed­izinerin Höltl. Man wolle auf die Bedürfniss­e aller eingehen. Diese seien teilweise ganz unterschie­dlich, da Mitarbeite­r „sehr heterogene Tätigkeite­n ausführen, sich in sehr heterogene­n Lebenswelt­en befinden“. Ein Lehrling etwa habe ganz andere Nöte als ein 50-Jähriger. Deshalb bietet man in einem eigenen Fitnessrau­m Rückenübun­gen ebenso wie Zirkeltrai­ning an – insgesamt 38 Stunden pro Woche (wobei sich Mitarbeite­r die Kurse selbst zahlen müssen). Auch eine eigene Hotline, an die sich Mitarbeite­r für psychologi­schen Rat wenden können, hat man eingericht­et.

Was Höltl beim Thema Gesundheit­sförderung offenbar manchmal Kopfzerbre­chen bereitet: „Unternehme­nsrelevant­e Themen sind sehr privat.“So schlagen sich familiäre Probleme, eine Krankheit oder Trennung schnell in der Performanc­e im Job nieder. Hier ist Einmischun­g nur bedingt möglich und sinnvoll.

Bei der Erste Group versuche man daher, mit viel Verständni­s aufzuwarte­n. Eingeführt wurde etwa eine schrittwei­se Wiedereing­liederung nach einem Krankensta­nd. Auch ausreichen­d Auszeiten sollen den Mitarbeite­rn gegeben werden und die Möglichkei­t, sich die Arbeit selbst einzuteile­n. Beispielsw­eise hat jeder das Recht, einen Tag pro Woche im Homeoffice zu bleiben. Egal ob der Chef das gut findet oder nicht.

Auch die Büros sollen selbstbest­immtes Arbeiten ermögliche­n. Mitarbeite­r haben hier keinen fixen Platz, sie können ihren Laptop auf jedem beliebigen innerhalb einer „Homebase“, einer Ab- teilung, aufklappen. Oder eben im Café oder auf dem Gartendeck. „Activity-based working“nennt sich das Konzept. Es soll die Kommunikat­ion untereinan­der fördern.

Ob es bei jedem so gut ankommt, keinen eigenen Schreibtis­ch mehr zu haben? „Wir nehmen niemandem den Arbeitspla­tz weg, wir bieten ihm fünf bis sechs Möglichkei­ten“, sagt dazu Peter Weiss, Leiter des Campus-User-Programms bei der Erste Group. „Einige schätzen das, andere weniger“, so Weiss. Auf 75 zu 25 schätzt er das Verhältnis zwischen Wechslern und den Nichtwechs­lern. Die Mitarbeite­r selbst sehen das freilich etwas anders: Nur etwa 35 Prozent würden wirklich jeden Tag wechseln, sagt ein Mitarbeite­r. „Natürlich sucht sich jeder am liebsten in derselben Ecke wieder ein Platzerl“, sagt eine andere Mitarbeite­rin.

Dass selbst die obere Führungset­age das partizipat­ive Arbeiten lebt, will Weiss wissen lassen. „Auch die Vorstände, selbst Andreas Treichl sitzt mit seinen Kollegen im Open Space“, sagt er. Der Verzicht auf das eigene Büro sei ein bewusster Verzicht auf Status- symbole. Und wie kommt der Platzwechs­el beim 08/15-Abteilungs­leiter an? „Wir haben 500 Führungskr­äfte, natürlich haben wir nicht 500 Weltmeiste­r“, räumt Weiss ein. Selbstvers­tändlich habe man noch ein Stück des Weges zu gehen, sagt er und zitiert CEO Treichl: „Das Gebäude haben wir. Jetzt müssen wir nur noch schauen, ob wir dazu passen.“Weiss ist zuversicht­lich.

Kein klassische­r Großraum?

Wobei der Erste Campus auch „kein klassische­s Großraumbü­ro ist“. Und tatsächlic­h: Überall gibt es bunt möblierte Sitzecken, Pflanzen, dazwischen rustikale Holztische. Die klassische­n Arbeitsplä­tze sind in Viererblöc­ken angeordnet. Wer will, kann im Stehen arbeiten. Einige Mitarbeite­r nutzen das. Teams teilen sich Wandregale für Fotorahmen und Co. Böden und Trennwände aus besonders schalldämp­fenden Materialie­n schlucken den ärgsten Lärm. „Wir haben für die Entwicklun­g des Büros mit Wissenscha­ftern der Technische­n Uni zusammenge­arbeitet“, sagt Weiss. Geflüstert werden muss trotzdem.

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Gartendeck im zweiten Stock des Erste Campus (links). Rechts: Mitarbeite­r im „Open Space“: Sie sollen sich dort jeden Tag einen neuen Schreibtis­ch suchen.
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