Der Standard

Die Möbel sind die Geschichte einer Beziehung

Iris Laufenberg, Intendanti­n des Schauspiel­hauses Graz, wohnt in einer Collage aus Fifties, Sixties und Biedermeie­r. Und manchmal, erzählt sie, stellt sie sich die Schreie der Patienten in dieser ehemaligen Zahnarztpr­axis vor.

- PROTOKOLL: Wojciech Czaja

Die Veranda ist alles in einem. Sie ist für mich nicht nur der beste Raum der ganzen Wohnung, sondern auch ein wunderbare­s Beispiel für Multifunkt­ionalität. Sie ist Wohnzimmer, Esszimmer, Arbeitszim­mer und Nichtstu-Zimmer in einem. Und man kann hier sogar wunderbare Interviews führen, wenn’s denn sein muss. Ich setze mich oft hierher, mit Handy und Laptop, und erledige alles Mögliche, was sich von zu Hause aus erledigen lässt. Bloß die Pflanzen darf man nicht allzu genau betrachten. Kein Familienmi­tglied hat einen grünen Daumen.

Die Wohnung zu finden war nicht leicht. Wir sind zwischen Bern und Graz etliche Male hinund hergefloge­n, haben Anzeigen aufgegeben und im Laufe der Zeit sicher mehr als 20 Wohnungen besichtigt. Der Mietvertra­g in der Schweiz ist schon ausgelaufe­n. Kurz bevor wir die Nerven verlo- ren haben, sind wir auf diese wunderschö­ne Wohnung in Graz gestoßen, im Stadtteil St. Leonhard, genauer gesagt im Herz-Jesu-Viertel. Von der Veranda aus haben wir einen schönen Blick auf den Kirchturm der Herz-Jesu-Kirche, und so wissen wir auch immer, wie spät es ist. Abends wird der Kirchturm bis exakt 22 Uhr beleuchtet. Danach ist Schluss, und es wird im ganzen Bezirk dunkel.

Das Viertel ist schön und freundlich. Ein bisschen städtisch, aber gleichzeit­ig fühlt es sich dörflich an. Ich mag diesen kleinen, intimen Maßstab. Es ist wie eine Stadt, in der man jeden zu kennen glaubt. Am ehesten könnte ich Graz mit Bonn vergleiche­n, wo ich viele Jahre am Theater engagiert war. Der einzige Nachteil an Graz ist, dass man – egal, wo man hinwill – zwei Stunden mit Auto oder Zug braucht. Es gibt tolle Städte in der Umgebung. Aber keine einzige davon ist so richtig ums Eck.

Die Wohnung hat etwas über 160 Quadratmet­er und war früher mal eine Zahnarztpr­axis. Die ledergepol­sterten Türen zwischen Küche und Wohnzimmer erinnern noch daran. Als Zahnarztph­obikerin stelle ich mir manchmal vor, wie die dicke Polsterung die Schreie der Patienten gedämpft haben könnte. Die hohen Decken sind ein Wahnsinn. Ich mag diese Großzügigk­eit. Das hat etwas Historisch­es. Unsere Töchter lieben die Wohnung, die jüngere hat sogar ein Trapez von der mehr als fünf Meter hohen Decke hängen. Auch die alten Kacheln auf den Böden sind sehr schön und verleihen Charakter.

Nur die Küche macht mir Angst. Die ist riesig und kühl und distan- ziert und hat Schränke, die fast bis unter die Decke reichen. Wenn wir Besuch haben, fühle ich mich immer verleitet zu sagen: ‚Sorry, die ist nicht von uns, die war schon da!‘ Aber das macht alles nichts, denn das Wichtigste sind ja sowieso unsere Möbel, die schon lange in der Familie sind. Die Möbel, sage ich immer, sind die Geschichte einer Beziehung. Jedes Möbelstück hat seine Vergangenh­eit, und so ist der Mix dieser beiden Vergangenh­eiten eine ziemlich wilde Collage aus Fifties, Sixties, American Diner und Biedermeie­rmöbeln.

Mein Lieblingsm­öbel ist ein rotes Sofa, das in meinem Arbeitszim­mer steht. Da darf niemand darauf sitzen außer mir! Die Menschen in meiner Familie haben die Spielregel­n akzeptiert, bloß die Katze meiner Tochter ist stur und setzt sich immer wieder durch. Mittlerwei­le werde ich mit dem roten Sofa in der ganzen Familie aufgezogen. Aber damit kann ich leben. Im Moment bin ich wunschlos glücklich. Ich erlebe die Jahreszeit­en in dieser Wohnung gerade zum ersten Mal und bin dabei, mich hier langsam niederzula­ssen. Ich bin schon oft umgezogen in meinem Leben. Ich freue mich, jetzt eine Zeitlang hierzublei­ben.

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„Ich erlebe die Jahreszeit­en in dieser Wohnung gerade zum ersten Mal und bin dabei, mich hier langsam niederzula­ssen.“Iris Laufenberg an ihrem Lieblingsp­latz auf der Veranda.

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