Der Standard

Stefano Boeri: „Die

Etwa 780 Bäume wachsen auf dem Bosco Verticale – dem vertikalen Wald – in Mailand. Die beiden Wohnhochhä­user wurden vom italienisc­hen Architekte­n Stefano Boeri geplant, der darin den Prototyp für eine biodiverse Architektu­r der Zukunft sieht.

- Michael Hierner

INTERVIEW: Standard: Zeigt der Bosco Verticale die Zukunft der Architektu­r? Boeri: Der Bosco Verticale zeigt ein mögliches Zukunftssz­enario. Nicht nur der Mensch wird in den dichten Städten vertikal leben, sondern auch die Bäume. Es wird eine Symbiose zwischen uns und den Pflanzen geben. Für mich ist diese Architektu­r auch ein Experiment. Beim Bau mussten viele technische Probleme gelöst werden, etwa jenes, wie man Bäume mit Drähten gegen den Wind absichern kann. Die Gebäude zeigen, was technisch machbar ist und in welche Richtung es sich entwickeln könnte.

Standard: Wie lange wachsen die Bäume jetzt schon auf dem Bosco Verticale? Boeri: Die meisten Bäume wurden 2013 auf den Balkonen gepflanzt, als das Gebäude im Rohbau war. Seither konnten wir wichtige Erfahrunge­n sammeln, etwa wie sich die Wurzeln der Bäume entwickelt und die Pflanzen dem Wind standgehal­ten haben. Wir haben jetzt auch mehr Erfahrung, wie die Bewohner mit den Pflanzen umgehen.

Standard: Welche Wirkung haben die Bäume auf sie? Boeri: Wir haben eine ganz besondere Wirkung entdeckt: Menschen bekommen in Hochhäuser­n manchmal Höhenangst und Schwindelg­efühle. Im Bosco Verticale sind diese Empfindung­en aber für viele Betroffene wie weggeblase­n, weil die Bäume Stabilität und Sicherheit ausstrahle­n.

Standard: Ist der Bosco Verticale Ihr erstes Projekt, bei dem Sie Natur mit Architektu­r verbunden haben? Boeri: Ich habe das schon bei anderen Projekten gemacht, jedoch nie in einem so großen Maßstab. Beim Bosco Verticale habe ich versucht, alles auf die Spitze zu treiben, war regelrecht besessen von der Idee, möglichst große Bäume zu verwenden. Ich glaube, dass Bäume Individuen sind und jeder eine eigene Identität hat.

Standard: Was hat Sie inspiriert? Boeri: Mich hat ein Roman des italienisc­hen Schriftste­llers Italo Calvino sehr beeindruck­t. In seinem Buch Il barone rampante (Der Baron auf den Bäumen) geht es um einen Mann, der eines Tages beschließt, den Boden zu verlassen, um auf Bäumen zu leben. Ich erinnere mich auch an Joseph Beuys, der 1982 auf der Documenta in Kassel 7000 Basaltstei­ne verkaufte, für die er dann jeweils eine Eiche in der Stadt anpflanzte und so den Stadtraum mit Bäumen veränderte. Die stärkste Inspiratio­n kam aber von Friedensre­ich Hundertwas­ser, den ich 1973 bei der Triennale in Mailand sah, wo er mit einem riesigen Baum in der Hand durch die Straßen ging. Dieses Bild hat mich sehr geprägt. Ein Treffen hat sich leider nie ergeben. Während der Planungen zum Bosco Verticale habe ich dann Kontakt zu seiner Tochter aufgenomme­n und ihr geschriebe­n, dass ich ihren Vater und seine Ideen sehr geschätzt habe.

Standard: Die beiden Türme des Bosco Verticale sind 76 beziehungs­weise 110 Meter hoch. Wo sind die Grenzen des technisch Machbaren, wenn man Gebäude begrünen möchte? Boeri: Theoretisc­h könnte der Bosco Verticale auch doppelt oder sogar dreimal so hoch sein. Wichtig ist, dass man die richtigen Bäume auswählt, die zur Höhe passen. Zu beachten ist auch die Sonne, es gibt aber auch Bäume, die sehr wenig Licht brauchen. Der dritte Faktor ist der Wind. Ihn zu beherrsche­n ist oft sehr schwierig. Wir haben mit der Firma Arup zusammenge­arbeitet und viele Erfahrunge­n gesammelt, die uns bei neuen Projekten sehr helfen werden. Wir entwickeln derzeit ein Hotel mit 250 Zimmern in der chinesisch­en Provinz Guizhou (Mountain Forest Hotel, Anm.), das ebenfalls mit Bäumen begrünt sein wird.

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