Stärkste Inspiration kam von Hundertwasser“
Standard: Die Wohnungen im Bosco Verticale sind Luxuswohnungen. Wird es auch Gemeindebauten mit Bäumen auf dem Balkon geben? Boeri: Mit Sicherheit, denn das Teure am Bosco Verticale war die Technik, die wir erst lernen mussten. Durch die Erfahrungen ersparen wir uns viel Geld beim nächsten Projekt. Ein Kostenfaktor ist auch die laufende Pflege und Erhaltung der Bäume. Bei unserem nächsten Projekt in Lausanne wollen wir versuchen, hier so viel wie möglich einzusparen.
Standard: Warum überlassen Sie die Pflege der Bäume nicht den Bewohnern? Boeri: Diese Frage haben wir uns auch gestellt, uns dann aber für ein professionelles Team entschieden. Ich bin darüber sehr froh, denn obwohl die Bäume auf den Bal- konen sind, sind sie doch Teil des Gesamten – so wie ein Park oder ein Innenhof. Wir arbeiten viel mit Bewässerungssensoren. Und es gibt Gärtner, die sich vom Dach abseilen und wissen, was bei den Bäumen gemacht werden muss.
Standard: Was passiert, wenn ein Baum zu hoch wächst und am darüberliegenden Balkon anstößt? Boeri: Ganz einfach: Wir schneiden ihn ab! Wir haben vieles schon vor Jahren in einem Gewächshaus getestet. Wir wissen auch, wie man zum Beispiel die Wurzeln im Kreis wachsen lässt und wie das in Relation zur Höhe des Baumes steht.
Standard: Können die Wurzeln den Beton beschädigen oder sogar durchstoßen? Boeri: Nein, das kann nicht passieren, zumal sich zwischen den Wurzeln in der Erde und dem Beton noch eine Eisenwanne befindet. Uns ist aber klar, dass es im Umgang mit der Natur immer einen kleinen Spielraum gibt, der nicht vorhersehbar ist.
Standard: Wie haben Vögel und Insekten auf die Bäume am Gebäude reagiert? Boeri: Es gibt da die Geschichte mit den Marienkäfern: Wir haben sie in Deutschland gekauft und nur auf drei Balkonen in den höheren Etagen ausgesetzt. Marienkäfer sind die Feinde vieler Schädlinge und schützen so die Bäume auf natürliche Weise. Wir dachten, dass sich die Marienkäfer langsam am Gebäude ansiedeln werden, doch schon nach zwei Monaten waren die Käfer nicht nur am Bosco Verticale, sondern auch auf den Nachbargebäuden zu finden. Wir haben aber auch viele Vögel beobachtet, die den Bosco Verticale als Nistplatz nutzen. Die Bewohner freuen sich über die Tiere, erzählen ihren Nachbarn davon, und so fördert das indirekt auch die Kommunikation der Menschen. Wir haben etwa 14 verschiedene Vogelarten gezählt, die die Bäume regelmäßig aufsuchen. Die BBC hat darüber sogar eine Dokumentation gedreht, um zu zeigen, wie biodiverse Gebäude ihr Umfeld beeinflussen.
STEFANOBOERI( 59) ist italienischer Architekt mit Büro in Mailand (Boeri Studio). Sein Projekt Bosco Verticale in seiner Heimatstadt wurde 2014 mit dem Internationalen Hochhauspreis prämiert.