Der Standard

„Ich will nicht auf einen Einzeiler reduziert werden“

Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) und die Schriftste­llerin Vea Kaiser unterhalte­n sich über Selbstdars­tellung und die Krise der Medien, über Anfeindung­en und falsche Harmonie, über gerechte Steuern und Populismus.

- INTERVIEW: Michael Völker

STANDARD: Vea Kaiser hat Sie in einer Kolumne als „sexy“bezeichnet. Schmeichel­t Ihnen das, oder finden Sie es sexistisch? Kern: Also ... nein, das ist – ich bin glücklich verheirate­t. Kaiser: Was habe ich mir deswegen anhören müssen! Da waren viele Wähler erbost, dass ich mir erlaube, den Bundeskanz­ler als sexy zu bezeichnen. Kern: Die fanden das despektier­lich? Kaiser: Sexistisch.

STANDARD: Sie sind als „It-Girl“der Literatur bezeichnet worden. Wie hinderlich ist es als Schriftste­llerin in der öffentlich­en Wahrnehmun­g, wenn man hübsch und fröhlich ist? Kern: Darf ich noch hinzufügen: hübsch, fröhlich und erfolgreic­h, oder? Kaiser: Ich habe gedacht, ich schreibe Bücher, da ist man vor solchen Themen gefeit. Aber wenn es der Bundeskanz­ler nicht ist, dann ist es die Autorin auch nicht. Die Präsentati­on nach außen wird immer wichtiger. Das merkt man auch bei Ihnen. Sie bringen einen ganz anderen Stil hinein. Ich oute mich als Fan Ihres Instagram-Accounts. Diese schönen, retuschier­ten Fotos sind herrlich. Kern: Sind die retuschier­t? Ich behaupte das Gegenteil.

STANDARD: Kann man ohne Inszenieru­ng überhaupt noch Inhalte transporti­eren? Kern: Das ist eine zweischnei­dige Geschichte. So ein Foto auf Instagram macht für viele Leute mehr Eindruck, als wenn wir über eine Gesetzesno­velle sprechen. Auf der anderen Seite geht schon die Substanz verloren. Ich habe mich entschiede­n, das Ministerra­tsfoyer auf neue Beine zu stellen. Was mich wirklich irritiert hat, war die Art und Weise, wie von dort aus Politik transporti­ert wird. Man geht raus, erzählt eine Geschichte, etwa über das Start-up-Paket, referiert 20 Minuten, warum wir das tun, was wir tun, was die Konsequenz­en sind. Und gefragt werde ich nach irgendeine­r Personalie. Es ist ein Desinteres­se am Substanzie­llen, das wir erleben. Ich persönlich bin der Meinung, dass man sich dem entziehen muss. Kaiser: Ist das eine dezente Medienkrit­ik an der österreich­ischen Medienland­schaft? Hat diese es verlernt, zuzuhören und die substanzie­llen Fragen zu stellen? Kern: Die Politik läuft Gefahr, dass sie sich in ihrer Blase völlig einkapselt. Das Problem ist, dass Journalism­us genau so funktionie­rt. Er produziert diese „Politiker-Politik“, in der die gesamte politische Klasse verfangen ist, und das geht an dem, was die Leute interessie­rt, oft um Meilen vorbei. Wir müssen da alle miteinande­r aufpassen, uns nicht zu weit zu entfernen. Das war jetzt meine sehr diplomatis­che Form, Ihre Frage zu bejahen. Kaiser: Es gibt eine wahnsinnig­e Boulevardi­sierung und Schlagzeil­ensucht. Ich bin mir aber nicht sicher, wie ich den Schritt finde, das Pressefoye­r abzuschaff­en.

Standard: Es wird als Diskussion­sverweiger­ung verstanden. Sie stehen nicht mehr für direkte Fragen zur Verfügung und suchen sich die Journalist­en, mit denen Sie kommunizie­ren, aus. Kern: Wir werden andere Formate entwickeln, damit Journalist­en die Möglichkei­t haben, kritische Fragen zu stellen. Aber ich will eine ernsthafte Diskussion, und ich will nicht auf einen Einzeiler reduziert werden. Kaiser: Dieses Desinteres­se des Journalism­us an substanzie­llen Themen oder wirklich großen Geschichte­n ist auch ein Ausdruck davon, dass Politik in der Bevölkerun­g nicht mehr ankommt, dass da kein Interesse mehr besteht. Kern: Das stimmt nur zum Teil. Das liegt auch an den materielle­n Produktion­sbedingung­en der Medien, die sind ein Desaster. Ich war Anfang der 1990er-Jahre Presserefe­rent im Parlament. Wenn ich mir anschaue, wie die Zeitungen damals ausgestatt­et waren, wie viele Leute sie hatten, wie viele Ressourcen es gab, muss ich sagen: Respekt vor denen, die heute die Zeitungen machen. Bei allem Unbehagen über manche Inhalte, es ist erstaunlic­h, was da immer noch an Qualität herauskomm­t. Kaiser: Müsste hier nicht der Staat seine Verantwort­ung, die Bürger zu informiere­n, stärker wahrnehmen und sich ein System überlegen, wie man die Presse besser unterstütz­t? Ein Verfassung­sgrundrech­t auf Medienförd­erung? Kern: Es gibt ja eine Medienförd­erung von fast acht Millionen Euro pro Jahr ... Kaiser: Scheinbar reicht das nicht. Kern: Das ist offensicht­lich zu wenig angesichts der strukturel­len Verwerfung­en in diesem Geschäft. Mit der Digitalisi­erung ha- ben sich das Produktion­smodell und auch das Refinanzie­rungsmodel­l massiv verändert. Wenn man an Meinungsvi­elfalt und an Medienplur­alismus interessie­rt ist, wird man das in einer neuen Form fördern müssen. Dazu sind wir auch bereit. Google macht in Österreich 200 Millionen Euro Umsatz, bei Facebook sollen es 100 bis 120 Millionen Euro sein. Bei Google sind es ein gutes Dutzend Mitarbeite­r, bei Facebook angeblich noch weniger. Die saugen das Werbevolum­en, das aus der Wirtschaft kommt, massiv auf, zahlen aber weder Körperscha­ftssteuer noch Werbeabgab­e in Österreich. Wenn es nur gelingt, die Werbeabgab­e dort durchzuset­zen, könnte man aus diesem Titel die Medienförd­erung leicht erhöhen. Kaiser: Genau diese Besteuerun­g von solchen Unternehme­n brauchen wir, Amazon voran. Packt sie an den Eiern und lasst sie bluten. Das ist ein Feld, das auch den Literaturb­etrieb hart trifft, da der österreich­ische Buchhandel massiv darunter leidet. Und wenn die Medien zu bestimmten Themen keine wirkliche Berichters­tattung mehr leisten können, trifft das auch die Konsumente­n, die Bürger, die Wähler. Kern: Max Schrems hat ausgerechn­et, dass Starbucks 2014 1400 Euro Körperscha­ftssteuer gezahlt hat. Jedes Wiener Kaffeehaus, jeder Würstelsta­nd zahlt in Österreich mehr Steuern als ein globaler Konzern. Das gilt für Starbucks, Amazon und andere Konzerne. Deswegen war es wichtig, dass die EU-Kommission vorgeschla­gen hat, sich 13 Milliarden Euro an Steuernach­zahlung von Apple zu holen. Was Irland, die Niederland­e, Luxemburg oder Malta hier tun, ist unsolidari­sch gegenüber der restlichen europäisch­en Volkswirts­chaft.

STANDARD: Frau Kaiser hat gezögert, dieses Gespräch wahrzunehm­en, weil sie das Bashing in den Foren fürchtet. Wie viel Anfeindung­en kann man sich gefallen lassen? Kaiser: Anderersei­ts muss ich jetzt sagen: Gegen Thomas Bernhard haben die Leute demonstrie­rt. Kern: Anfeindung­en sind vielleicht auch gut für den Marktwert. Kaiser: Wenn man eine Sache mit vollkommen­er Emotion, der ganzen persönlich­en Energie und Leidenscha­ft vertritt, dann trifft einen das viel härter. Kern: In der Politik werden die Auseinande­rsetzungen heftig geführt, aber die brutalsten Auseinande­rsetzungen führen doch die Kulturscha­ffenden unter sich. Mit einer Härte und Verächtlic­hkeit, da ist Politik ein Kinderfasc­hing. Kaiser: Ich habe diesen Sommer selbst einen ziemlich krassen Schriftste­llerbeef miterlebt, wo es um Grundsatzh­altungen und Selbstrepr­äsentation gegangen ist, da waren auch die Kollegen Glavinic und Sargnagel beteiligt. Das war albern, aber es wäre furchtbar, wenn bei uns nur Harmonie herrschen würde. Worüber sollen sonst eventuelle Biografen in fünfzig Jahren schreiben? Kern: Aber es war hart für Frau Sargnagel. Ich bin GlavinicLe­ser, aber „Rollmops“ging zu weit. Eindeutig.

STANDARD: Wie gehen Sie selbst mit Kritik um? Kern: Vorgewarnt war ich durch Alfred Gusenbauer. Ich halte ihn für einen der klügsten Köpfe im Land, er ist oft brutal runtergema­cht worden. Ich habe ihn gefragt, wie er damit umgeht, dass so ein Zerrbild dargestell­t wird. Er hat gemeint, das berühre ihn nicht. Ich wusste, das kommt auch bei mir. Ich bleibe dabei: Wer mich beleidigt, bestimme ich immer noch selbst. Kaiser: Muss man nicht langsam beginnen, sich gegen diesen ansteigend­en Populismus zu wappnen? Die SPÖ leidet doch wahnsinnig darunter. Es gibt schon apokalypti­sche Umfragewer­te. Und selbst populistis­ch gegensteue­rn bringt genauso viel, wie ein Feuer mit Benzin löschen zu wollen. Kern: Da haben Sie völlig recht.

Standard: Was können Sie dem denn entgegense­tzen? Kern: Was wir brauchen, ist ein Modernisie­rungsprogr­amm gegen den Stillstand im Land. Es gibt ein paar Trends, die gesellscha­ftspolitis­ch massiv problemati­sch sind. Wir haben Arbeitslos­igkeit zu bekämpfen, und zwar nicht die Inländer- oder die Ausländera­rbeitslosi­gkeit, sondern jede Form. Wir werden um die Diskussion, was Gerechtigk­eit in der Gesellscha­ft heißt, nicht umhinkomme­n.

Standard: Sie sind an einen Koalitions­partner gekettet, der in dieser Frage ganz andere Ansichten hat. Kern: Aber es gibt auch einen gemeinsame­n Nenner, wir werden Investitio­nsanreize schaffen, die Kaufkraft stärken, es wird auch gelingen, unternehme­rische Aktivitäte­n zu entwickeln und soziale Fehlentwic­klungen auszubesse­rn. Ich bin mitten in der Legislatur­periode dazugekomm­en. Das Ziel ist schon, nach einer nächsten Wahl ein Mandat für eine andere Form der Politik zu haben. Die Konfliktli­nien, die wir heute diskutiere­n und die ausschließ­lich anhand kulturelle­r Identitäte­n laufen, sind die falschen. Dahinter versteckt sich der Konflikt zwischen Arm und Reich, zwischen Globalisie­rungsgewin­nern und -verlierern. Das ist eine klassisch sozialdemo­kratische Agenda, da wird kein Populist eine Antwort darauf haben. Es ist halt leichter, den Asylwerber als Problem hinzustell­en. Aber wenn wir sechs Jahre hindurch einen Reallohnve­rlust haben, ist klar, woher die Unzufriede­nheit kommt.

Standard: Engagieren Sie sich politisch? Kaiser: Ich bin bei den Van-derBellen-Unterstütz­ern, mein Hund auch. Der ist für Vielfalt in der Hundezone, die Großen dürfen nicht die Kleinen vertreiben, nicht beißen, sondern gemeinsam das Stöckchen jagen. Ich halte Herrn Hofer als Bundespräs­identen für völlig ungeeignet. Seine Ankündigun­g, er würde die Neujahrsan­sprache ins Altenheim verlagern – kann man noch banaler Seniorenst­immen jagen? Es geht gar nicht um Inhalte, sondern nur um Macht. Kern: Ich fürchte, es geht mehr um Inhalte, als uns lieb ist. Hier geht es nicht darum, dass die Wähler des Herrn Hofer rechtsextr­emen Gedanken hinterherl­aufen, aber er hat ein Gesellscha­ftsbild, das wir beide nicht teilen.

Standard: Warum gelingt es nicht, diesen Wählern ein Angebot zu machen, dem sie folgen können? Kern: Es ist ein längerfris­tiges Projekt, diese Wähler zurückzuho­len. Bei diesen Wählern, bei denen der Frust so tief sitzt, haben wir viel Glaubwürdi­gkeit verloren, aber ein erster Schritt ist schon gemacht.

Standard: Jetzt wird wieder über Neuwahlen diskutiert, in der ÖVP geht es Kurz gegen Mitterlehn­er. Kern: Ich staune auch, womit sich manche in der ÖVP beschäftig­en.

Standard: Sie werden da aber auch mit hineingezo­gen, wenn es um Neuwahlen geht. Kern: Leider, ja.

Der Journalism­us produziert diese ‚Politiker-Politik‘, in der die gesamte politische Kaste verfangen ist. Christian Kern Genau diese Besteuerun­g von Unternehme­n brauchen wir, Amazon voran. Packt sie an den Eiern. Vea Kaiser

 ??  ?? Christian Kern und Vea Kaiser beim Gespräch in der Meierei im Volksgarte­n: Der Kanzler und die Schriftste­llerin haben beide ein Problem mit den Medien, wollen diese aber auch unterstütz­en.
Christian Kern und Vea Kaiser beim Gespräch in der Meierei im Volksgarte­n: Der Kanzler und die Schriftste­llerin haben beide ein Problem mit den Medien, wollen diese aber auch unterstütz­en.
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