Zum Beispiel Kanu
Der Katzenjammer nach den Olympischen Spielen 2012 war groß. Nicht eine einzige Medaille gewann Österreich in London. Die Folge: Kritik, Debatten und ein Plan: das Projekt Rio 2016. 20 Millionen Euro, die in hoffnungsvolle Sportler und Sportlerinnen investiert wurden, sollten in Rio zumindest eine abermalige Nullnummer verhindern. Nun ja, das Minimalziel wurde erreicht, aber nicht mehr. Skiverbandspräsident Peter Schröcksnadel sagte, in Rio sei durch das Projekt, das er koordiniert hatte, ein Desaster verhindert worden. Einige Leistungsträger von 2012 waren diesmal nicht dabei, Junge seien in die Bresche gesprungen.
Jetzt wurde wieder kritisiert, debattiert und – es gibt wieder einen Plan. Eine Institution soll geschaffen werden, in der alle Fördergelder vereint werden. Profitieren sollen vor allem Sportverbände, die schon jetzt Spitzenathleten in ihren Reihen haben. Das kann man gut finden oder auch nicht. der STANDARD jedenfalls hat auch einen Vorschlag.
Eines muss vorweg klargestellt werden: Österreich war keine Sommersportnation, ist keine Sommersportnation, wird nie eine sein. Und natürlich, Österreich ist ein kleines Land. Aber das allein gilt nicht als Ausrede. Nicht zuletzt bei den vor zwei Wochen zu Ende gegangenen Spielen in Rio zeigten einige kleine Nationen auf. Kroatien (4,2 Millionen Einwohner) etwa holte zehn Medaillen (fünf Gold-, drei Silber-, zwei Bronzemedaillen); die Schweiz (8,3 Millionen Einwohner) sieben (3/2/2) und Dänemark (5,7 Millionen Einwohner) 15 Medaillen (2/6/7).
Vorbild Ungarn
Und dann ist da noch Ungarn, zumindest einwohnermäßig (9,9 Millionen) kein Riese, aber im Sommersport ist Österreichs Nachbar gar kein Zwerg: 15 Medaillen (8/3/4) in Rio, Platz zwölf im Medaillenspiegel. An dieser Ausbeute muss sich Österreich nicht messen. Der Staat investiert viel in den Sport. Aber Ungarn kann zumindest zum Teil als Vor- bild gelten. Das Land hat Kernsportarten: Schwimmen, Kanu (Flachwasser) und Fechten. 14 der 15 Medaillen holte Ungarn in Rio eben in diesen Sportarten.
Österreich hat auch Topsportarten im Sommer: Segeln, Judo, Schießen, Kanu (Wildwasser). Aber bei Olympia hat es eben nur für die eine Bronzemedaille, die Thomas Zajac und Tanja Frank ersegelten, gereicht. Warum? Gründe gibt es natürlich viele. Aber diese Sportarten haben ein Problem gemeinsam: Sie sind unberechenbarer als viele andere. Im Segeln kann der Mast brechen, man kann kentern. Im Judo reicht ein kleiner Moment der Unachtsamkeit, um einen Kampf zu verlieren. Im Schießen kann der beste Schütze ein Zitterhändchen bekommen, und im Kanuslalom ist schnell eine Torstange touchiert.
Faktor Berechenbarkeit
Nun soll den Athleten in diesen Sportarten nichts genommen werden. Es wäre dumm, das vorhandene Potenzial nicht zu nutzen. Aber wenn Österreich künftig sicher Medaillen gewinnen will, dann braucht es eine andere Kernsportart. Eine möglichst berechenbare. Eine, in der der oder die Schnellste gewinnt.
Also Schwimmen, Radsport oder Laufen? Zu schwierig. Die Konkurrenz ist groß, häufig entscheiden nur Hundertstelsekunden über Medaille oder nicht Medaille. Und mit den großen Nationen, die hier dominieren ( USA, Großbritannien, Kenia), würde es Österreich so schnell nicht aufnehmen. Triathlon zahlt sich auch nicht aus, es gibt nur zwei olympische Bewerbe. Rudern wäre schon eine bessere Idee – es werden viele olympische Medaillen vergeben. Aber auch hier gibt es ein paar mächtige Platzhirsche (etwa Deutschland und Großbritannien), die nur schwer zu verdrängen wären.
Also was bleibt? Flachwasserkanu. Zwölf olympische Bewerbe gibt es in dieser Sparte, ergibt 36 mögliche Medaillen. Schon in acht Jahren könnte Österreich eine Topnation sein, vorausgesetzt, man fängt heute an zu inves- tieren. Der Vorteil: Es muss nicht bei null begonnen werden. Gute Trainingsstätten gäbe es bereits, sagt der Ungar Nandor Almasi, seit sechs Jahren Cheftrainer von Österreichs Flachwasserkanuten.
Sowohl in Ottensheim bei Linz als auch in Wien im Kuchelauer Hafen, auf der Neuen sowie auf der Alten Donau seien die Bedingungen „ideal“. Und im Moment gibt es auch noch aktive Vorbilder. Yvonne Schuring und Viktoria Schwarz wurden 2011 Weltmeisterinnen im Kajak-Zweier. In London hatte man große Hoffnungen in das Duo gesetzt. Es belegte Platz fünf. Seither ging es eher abwärts. Schwarz tat sich mit Ana Roxana Lehaci zusammen, Schuring paddelt solo. Das Trio qualifizierte sich nicht für Rio, profitierte aber vom Ausschluss der Russinnen. Weil Schwarz nach einem Sturz vom Balkon im Mai noch nicht 100-prozentig fit war, wurde umgestellt. Die 38-jährige Schuring paddelte mit Lehaci (26) im Zweier, das Duo belegte Platz elf. Schwarz (31) fuhr die kürzere Einer-Distanz (200 m), wurde 21.
Dafür, dass die Trainingsbedingungen hierzulande gut sind, gibt es aber noch einen Beleg: Dóra Lucz. Die Ungarin studiert und trainiert in Wien, sie wurde heuer zweifache U-23-Weltmeisterin. Umgekehrt üben auch Österreichs Kanuten gelegentlich in Ungarn, können sich dort also mit der Weltspitze messen.
Trainermangel
Nandor Almasi sagt, in Österreich könnte man schon Medaillen planen. Und so viel, wie in das Projekt Rio investiert wurde (20 Millionen Euro), würde es dafür nicht brauchen. Almasi: „Wenn man Medaillen möchte, muss man ein professionelles System aufbauen.“Das größte Problem sieht er derzeit im Mangel an professionellen Trainern. Österreichweit gibt es nur zwei angestellte Flachwasserkanutrainer: Almasi und seinen ungarischen Landsmann Dániel Lipcsei. „Fünf bis sechs wären nötig“, sagt Almasi. Und die besten Kanulehrer müssten, seiner Ansicht nach, im Nachwuchs arbeiten. „Denn wenn man eine Technik einmal falsch gelernt hat, ist es schwer, wieder umzulernen.“
Der Nachwuchs ist grundsätzlich ein Problemfeld. „Wir haben zu wenig Kinder“, sagt Bundestrainer Lipcsei, der in Wien stationiert ist. Zwei bis drei kämen pro Jahr neu zu einem Verein. Das ist nicht viel. Insgesamt gibt es österreichweit rund 40 aktive Flachwasserkanuten und zehn Klubs. In Ungarn seien es etwa 100 Vereine und rund 3000 Athleten. In den Vereinen müsse die Basis gelegt werden. Darin sind sich Almasi und Kanuverbandspräsident Walter Aumayr einig.
Zeitmangel
Im Alter von acht bis zwölf Jahren sollte man mit dem Paddeln anfangen. Es sei durchaus ein Sport, für den man Kinder begeistern könne, meint Almasi. „Man muss das Training spielerisch aufbauen.“Aber Kinder haben Verpflichtungen. Lipcsei: „Ich habe Talente, die keine Zeit zum Trainieren haben.“Kanu ist kein Schulsport. Lipcsei hat sich schon bemüht, daran etwas zu ändern. Aber die Sache ist kompliziert und „sehr bürokratisch“. Der 19-jährige Christoph Kornfeind ist derzeit Österreichs größte Nachwuchshoffnung. Almasi: „So ein Talent findet man nur alle fünf bis zehn Jahre.“Aber Talent allein reicht nicht. Der Vorteil an der Sportart: Paddeln kann fast jeder lernen. Und sie ist nicht extrem teuer. Auf Förderungen muss man aber lange warten. Lipcsei: „Erst wenn man erfolgreich ist, bekommt man etwas.“Darin sieht auch Almasi ein Problem. „Die Spitzensportler kriegen viel, der Nachwuchs kriegt nichts.“
Also, es gibt Baustellen. Aber die Sache ist nicht aussichtslos. Würde man heute beginnen, ein professionelles System aufzubauen, könnte man, meint Almasi, in sechs bis acht Jahren schon Früchte ernten. Für Olympia 2020 zu früh, für 2024 gerade recht. Auf eine Nische wie Flachwasserkanu zu setzen, böte für das kleine Österreich zumindest eine Chance auf Medaillen. Katzenjammer gab’s schon genug.
Olympia 2012 in London war ein Desaster. Olympia 2016 in Rio war, trotz großer finanzieller Anstrengungen, kaum erfolgreicher. Österreich wird nie eine Großmacht im Sommersport werden. Aber Österreich hat eine Chance: die Nische. Birgit Riezinger