Kartellschadenersatz: Suchen erlaubt, Fischen verboten
Novelle soll ausufernde „US-Verhältnisse“vermeiden
Wien–Die jüngste KartellgesetzNovelle, derenBeg uta ch tungs frist am 5. Oktober endet, setzt die EUKartell schadenersatz richtlinie (2014/104/EU) in das nationale Recht um und erleichtert die Durchsetzung von Schadenersatz wegen Kartellverstößen vor österreichischen Gerichten. Zum anderen verschärft sie das nationale Kartellverfahren, etwa durch erweiterte Möglichkeiten des Zugriffs der Behörden auf extern gespeicherte Daten im Rahmen von Untersuchungen bei Unternehmen („dawn raids“).
Bei den Vorarbeiten zum Entwurf der Novelle wurde vielfach vor„ amerikanischen Verhältnissen“im österreichischen Kartellschadenersatz prozess gewarnt. Damit meint man die ausufernde Offenlegung von Dokumenten in US-Prozessen. Diese erfordert den Einsatz enormer Arbeitsressourcen der beteiligten Unternehmen und der Gerichte und führt zu jahrelangen Verfahren.
In Kartell bußgeld-und Fusionskontroll verfahren beider Europäischen Kommission und–in deutlich geringerem Umfang–auch in Österreich kennt man schon seit Jahren die Vorlage und Sichtung von zum Teil zehn- oder hunderttausenden Dokumenten. Die Kommission und die österreichische Bundes wettbewerbs behörde sichtenb ei Daw nR aids mit forensischer Spezialsoftware E-Mail-Konten von Mitarbeitern nach Schlüsselwörtern. Die gefilterten E- Mails werden von den Behörden mitgenommen und ausgewertet.
Interne Sichtung
Auch die beschuldigten Unternehmen lassen häufig die Konten ihrer Mitarbeiters ichten.DieUnternehmensspitze muss nämlich in der Regel abklären, welches Fehlverhalten in welchem Zeitraum durch eigene Mitarbeiter begangen wurde. Dies erfolgt ebenfalls mit spezieller Software und umfasst leicht mehrere Millionen E-Mails. Die „elektronische Intelligenz“hat dabei immer noch ihre Grenzen. Bei größeren „E-Searches“müssen mehrere Tausend EMails und Dokumente individuell gesichtet werden.
Im Kartell schadenersatz verfahren ist die Anzahl der möglicher- weise relevanten Dokumente ebenso hoch wie im Bußgeldverfahren. Auf das Ergebnis eines abgeschlossenen Bußgeldverfahrens kann sich der Kläger für die Frage der Schadenshöhe dabei nicht stützen. Denn das Bußgeldverfahren befasst sich in der Regel mit dem Nachweis des Fehlverhaltens, nicht mit seinen Auswirkungen auf die Preisbildung. Diese Information ist aber wichtig für die Feststellung des sogenannten „wettbewerbsanalogen Preises“– das heißt des Preisniveaus, das ohne das Kartell bestanden hätte – im Schadenersatzverfahren.
Die an das beklagte Unternehmen gerichtete Anordnung der Offenlegung durch das Gericht ist häufig der einzige Weg, Kläger und Gericht Zugang zu den relevanten Unterlagen zu verschaffen. Diese befinden sich in der Regel in der Sphäre des beklagten Unternehmens und sind damit ohne Offenlegungsanordnung für den Beklagten nicht zugänglich („Informationsasymmetrie“).
Eingeschränkte Offenlegung
Der Gesetzesentwurf sieht die Anordnung der Offenlegung in Kartellschadenersatzprozessen mit Einschränkungen vor. Dazu gehört etwa die Verpflichtung des Antragstellers, die offenzulegenden Beweismittel möglichst präzise zu bezeichnen. Bloß vage Umschreibungen der geforderten Informationen, wie im US-System durchaus üblich („fishing expeditions“), reichen hierzulande auch weiterhin nicht aus, um eine Offenlegung zu bewirken. Dadurch hofft man, die Offenlegung auf das für die Aufklärung des Sachverhalts erforderliche Mindestmaß zu beschränken und gleichzeitig dem Kläger die Möglichkeit zu geben, an die benötigten Informationen zu gelangen.
Ob und wie es in der Praxis gelingen wird, die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen wie von der Richtlinie gefordert zu stärken und andererseits die Gerichte vor Überlastung durch ausufernde Dokumentenmengen zu schützen, wird aber erst die Praxis der nächsten Jahre zeigen.
ANNA WOLF-POSCH ist Kartellrechtsexpertin bei Freshfields Bruckhaus Deringer in Wien. anna-katharina.wolf@freshfields.com