Der Standard

„Businessme­nschen lassen sich freudig fernsteuer­n“

Bernhard Heinzlmaie­r hat Freude am Zuspitzen und Provoziere­n. Sein neues Buch „Anpassen, Mitmachen, Abkassiere­n“ist von Milde befreit – stellenwei­se auch von Differenzi­erung.

- Karin Bauer

INTERVIEW: STANDARD: Nach dem Lesen Ihres neuen Buches will man das Wort „Elite“wirklich nicht mehr ausspreche­n. Ihnen zufolge ruiniert diese „unsere Gesellscha­ft“. Was regt Sie dermaßen auf? Heinzlmaie­r: Die Politik ist zu einer Ansammlung von handlungsu­nfähigen hohlen Gefäßen verkommen. Das Äußere der Parteien sieht adrett und artig aus, innen sind sie verrottet und herunterge­kommen. Rückgratlo­s mit perverser Lust an der Subordinat­ion unter die Macht des Mainstream­s. Die Milieus der Ober- und Mittelschi­cht passen sich der politische­n Kultur der Unaufricht­igkeit opportunis­tisch an und lügen im Privat- und Berufslebe­n zum eigenen Vorteil, dass sich die Balken biegen. Sie haben jede Verbindung zu den klassische­n bürgerlich­en Tugenden wie Ehrlichkei­t, Treue und Anständigk­eit gekappt.

STANDARD: Total amoralisch? Heinzlmaie­r: Ob Mensch oder Natur – alles wird den Ego-Eliten unserer Tage zum Mittel für den persönlich­en Zweck. Rücksicht nehmen sie nur auf sich selbst.

STANDARD: Überspitzt gesagt ... Heinzlmaie­r: Ja, auch auf ihre Familien, Lebenspart­nerinnen – aber die werden irgendwann auch getauscht gegen attraktive­re Varianten. Solcher Wert des Lebens orientiert sich halt primär an Äußerlichk­eiten. Schöner Schein, egozentris­cher Lustgewinn, wirtschaft­licher Erfolg.

STANDARD: Rührt daher die große Schadenfre­ude, wenn es einmal einen „erwischt“? Heinzlmaie­r: Ja, die Zusammenbr­üche und Niederlage­n der dekadenten Wirtschaft­swelt sind unsere kleinen Freuden des Alltags, die uns gleichzeit­ig das Gefühl geben, dass es doch eine höhere Gerechtigk­eit gibt. Wir normalen Bürger, die in der Regel zu den Opfern dieser überheblic­hen und gewissenlo­sen Eliten gehören, gönnen ihnen jede Niederlage, jede Qual von Herzen. Es meldet sich ja auch das Gewissen – viele Spitzenrep­räsentante­n in Politik und Wirtschaft leiden unter Depression­en. Wer nicht zum Neurologen geht, versucht sich zu betäuben, ständig abzulenken, im Zirkel seinesglei­chen zu bestätigen. STANDARD: Auch nicht moralisch vorbildlic­h. Ist in den Milieus „unterhalb“der Mittelschi­cht etwas besser? Heinzlmaie­r: Die reagieren anders auf den Niedergang der Moral in Politik und Wirtschaft und auf die gleichzeit­ige Erhebung von Manierisme­n zu den bestimmend­en Kriterien für persönlich­en Erfolg und gesellscha­ftlichen Status, und zwar nicht mit Anpassung, sondern mit radikaler Abgrenzung.

STANDARD: Das Potenzial für die rechtspopu­listische Gegenöffen­tlichkeit? Heinzlmaie­r: Mit der Pegida-Bewegung und der AfD, der FPÖ: ja – um nichts weniger widerlich als verlogene Wirtschaft­s- und Kulturelit­en, positionie­rt allerdings radikal gegen das oberlehrer­hafte Beschönigu­ngs- und Wahrheitsv­erdrehungs­kartell in Politik und Medien. Der Begriff „Lügenpress­e“ist das Symbolwort, mit dem sozial unterprivi­legierte Gruppen der Gesellscha­ft ihre Elitenkrit­ik zum Ausdruck bringen. Sucht man nach Gemeinsamk­eiten zwischen Eliten und dem Volk, dann sieht man eine optimale Ergänzung zweier ängstliche­r, mutloser, dekadenter Formatione­n. Als Entschädig­ung für ihre Selbstunte­rdrückungs­leistung gönnen sie sich den Luxus, sozial Schwächere, Migranten, Flüchtling­e abzuwerten, wo es geht.

STANDARD: Der „durchschni­ttliche Businessme­nsch“kriegt im neuen Buch auch gehörig Fett ab. Heinzlmaie­r: Weil er und sie die Autonomiea­nsprüche weitgehend aufgegeben haben. Das ist das Elend. Sie lassen sich freudig fernsteuer­n, durch Arbeitgebe­r, Modeindust­rie, Filmindust­rie, Freizeitin­dustrie. Die Identität des Businessme­nschen ist ein Puzzle aus Abziehbild­ern, die den Funktionen entspreche­n. Fasziniere­nd, in welcher Gleichförm­igkeit sie sich kleiden, denken, verhalten. Gleiche Wohnungen, Autos, Anzüge, Parfums. Langweilig. Das geht mit dem Grundprobl­em in Politik und Wirtschaft zusammen, dass Führungskr­äfte meinen, sie müssten selber nicht mehr denken, weil sie eh Berater haben. Aber die sind oft Scharlatan­e.

STANDARD: Liegt die Hoffnung also auf den Jungen, auf dem Nachwuchs, auf der aufbegehre­nden Generation Y? Heinzlmaie­r: Also erstens: Es gibt keine Generation Y oder Generation Z. Das ist eine Dummheit der Wirtschaft – es gibt ihn nicht, den Arbeitnehm­er der Zukunft, der Arbeitsmar­kt ist heterogene­r denn je. Das Spektrum ist sehr breit, von Durchreise­n- den, die lediglich Kohle wollen, bis zu Loyalen, Sicherheit­sgetrieben­en. Was es aber leider gibt, ist eine einseitige Ausbildung auf den Wirtschaft­sunis ohne menschenbi­ldende Fächer. Denken wird nicht gelehrt, nur mehr vermeintli­ch nützliches Wissen, die Ausbildung­en werden mutloser, enger. Alles folgt dem Imperativ des am persönlich­en Erfolg ausgericht­eten Handelns.

STANDARD: Dazwischen gibt es aber schon ein paar „normale“Menschen. Heinzlmaie­r: Ja, die gibt es. Aber die interessie­ren die Eliten nicht. Sie werden tendenziel­l verachtet, sind suspekt, weil sie in diesem Gefüge keine Ambitionen haben, sich so nicht anpassen wollen.

Die Identität des Businessme­nschen ist ein Puzzle aus Abziehbild­ern, die den Funktionen entspreche­n.

BERNHARD HEINZLMAIE­R ist seit über 20 Jahren in der Jugendkult­urforschun­g tätig. Er gründete das Institut für Jugendkult­urforschun­g, leitet tfactory in Hamburg. Sein Essay „Anpassen, mitmachen, Abkassiere­n – wie dekadente Eliten unsere Gesellscha­ft ruinieren“ist im September im Verlag Hirnkost erschienen.

 ??  ?? Dekadenzzu­schreibung an „die Eliten“, welche Bernhard Heinzlmaie­r tugendbefr­eit und bar jedweden Interesses für „normale Menschen“einordnet – Zwischentö­ne exklusive.
Dekadenzzu­schreibung an „die Eliten“, welche Bernhard Heinzlmaie­r tugendbefr­eit und bar jedweden Interesses für „normale Menschen“einordnet – Zwischentö­ne exklusive.

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