Der Standard

„Druck zu investiere­n wird größer“

Der Staat soll mehr Geld für Straßen, Gebäude und Bildung ausgeben, sagt der Ökonom Achim Truger. Wer das bezahlt? Jene zukünftige­n Generation­en, die auch von den Investitio­nen profitiere­n.

- Simon Moser

INTERVIEW:

STANDARD: Sie plädieren für die Einhaltung der „goldenen Investitio­nsregel“– was ist das? Truger: Sie besagt, dass der Staat öffentlich­e Investitio­nen nicht nur über Kredite finanziere­n darf, sondern das sogar tun soll. Das ist generation­engerecht, denn wenn heute investiert wird, haben zukünftige Generation­en einen höheren Wohlstand. Sie sollten deshalb auch an der Rückzahlun­g der Kredite beteiligt werden. Wird hingegen alles aus dem laufenden Budget bezahlt, trägt die heutige Generation alle Kosten. Und es ist zu befürchten, dass die Investitio­nen vernachläs­sigt werden.

STANDARD: Sind mehr öffentlich­e Investitio­nen denn wirklich die Lösung, besser als etwa eine wachstumsf­ördernde Steuerrefo­rm? Truger: Wenn es darum geht, einen konjunktur­ellen Schub auszulösen, sind sie das Wichtigste. Alle neueren Studien zeigen, dass die Einnahmens­eite kurzfristi­g weniger entscheide­nd ist als die Ausgabense­ite. Lange war das vorherrsch­ende Denken: Wirtschaft­spolitik heißt Steuerpoli­tik. Und Steuerpoli­tik im Dienste von Wachstum und Beschäftig­ung heißt Steuern senken. Das war ein riesiger Fehler.

STANDARD: Viele sagen, dass die Wirtschaft in Ländern wie Deutschlan­d oder Österreich nie mehr mit zwei oder drei Prozent pro Jahr wachsen wird. Truger: Das sehe ich anders. Klar gibt es im Moment schwere Probleme. Aber wenn der Schub kommt, ist die Lage eine ganz andere. Das kann man am Beispiel Spanien sehen, das wieder mit zwei, drei Prozent wächst.

STANDARD: Für Befürworte­r eines Sparkurses zeigt Spanien genau das Gegenteil: dass Strukturre­formen einen Umschwung bewirken. Truger: Wenn man immer nur auf die lange Frist schaut, vergisst man schnell, dass es kurzfristi­g einen Anschub braucht, damit Unternehme­r Vertrauen fassen. Es gibt immer mehr Studien der OECD und von anderen Unverdächt­igen, die sagen: mittel- und langfristi­g Strukturre­formen ja, aber in der Krise sind sie kontraprod­uktiv. Wenn ich im Abschwung den Kündigungs­schutz aufhebe, werden Leute entlassen. Dann fällt deren Nachfrage aus, und die Krise verschärft sich noch zusätzlich. In Südeuropa wurden die öffentlich­en Investitio­nen am dramatisch­sten zusammenge­kürzt. Als sie am Boden waren, siechte Spanien dahin. Seit sie erhöht wurden, geht es wieder besser. Immer mehr sehen das ein. Beim EU-Stabilität­spakt räumt man den Staaten jetzt mehr Spielraum ein, das haben die letzten Defizitver­fahren gegen Spanien und Portugal gezeigt. Und der Druck auf Europa wird größer. Die USA sagen, dass mehr investiert werden muss, der IWF sagt es, die OECD und mittlerwei­le auch die EU-Kommission.

STANDARD: Welche Investitio­nen sind das, die so entscheide­nd sind? Truger: Verkehrsin­frastruktu­r und Gebäude wären am schnellste­n umsetzbar. Dann sind auch Bildungsau­sgaben extrem produktiv. Kosten für Lehrperson­al werden heute als staatliche Konsumausg­abe gewertet. Man könnte sich auch überlegen, in Zukunft solche Ausgaben als Investitio­n zu verbuchen. Aber auch alles, was unter den heutigen Investitio­nsbegriff fällt, wirft im Durchschni­tt langfristi­g sehr hohe Renditen ab. Vor allem bei den derzeit extrem niedrigen oder sogar negativen Zinsen bleibt der Gesellscha­ft am Ende nach Abzahlung der Kredite noch Geld übrig. STANDARD: In der Eurozone drängen Frankreich, Italien und auch Bundeskanz­ler Kern auf mehr kreditfina­nziertes Wachstum. Heißt europäisch­e Abstimmung hier, dass alle im gleichen Ausmaß investiere­n müssen, oder sollte zwischen finanzkräf­tigen Staaten wie Deutschlan­d und den Krisenstaa­ten unterschie­den werden? Truger: Die Budgetpoli­tik ist nationale Kompetenz, die Staaten können das für sich entscheide­n. Es ist nicht nötig, ein weiteres Programm auf EU-Ebene zu beschließe­n. Deutschlan­d hat nicht nur budgetären Spielraum und kann allein durch seine Größe viel bewirken, sondern hat auch Bedarf an Investitio­nen.

STANDARD: Ein Abgehen vom defizitkri­tischen Kurs ist dort aber nicht absehbar. Truger: Die Bereitscha­ft zu investiere­n steigt. Deutschlan­d hat viele schlechte Erfahrunge­n mit dem Zustand der Infrastruk­tur. Spektakulä­re Bauprojekt­e, die nicht fertig werden. Turnhallen, die verfallen, Brücken, die nicht saniert werden. Die Leute merken das.

ACHIM TRUGER (46) ist Ökonom an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin und auch am Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf tätig.

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