Der Standard

Wenn Körper auf Narzissmus verzichten

Das Tanzquarti­er Wien zeigte zur Saisoneröf­fnung, warum die Arbeiten der postmodern­en Klassikeri­n Trisha Brown heute wichtig sind. Die Vertikale des Leopold-Museums wurde dabei zum Laufsteg für uneitle Architektu­rintervent­ion.

- Helmut Ploebst

Wien – Trisha Brown (79) wird wohl nie wieder choreograf­ieren. Sie leidet an vaskulärer Demenz und hat ihre letzten Arbeiten im Jahr 2011 geschaffen. Eine davon, I am going to toss my arms – if you catch them they’re yours, war in Ausschnitt­en am Samstag bei der Saisoneröf­fnung des Tanzquarti­er Wien im Hof des MQ zu sehen.

Nicht nur das machte die rund einstündig­e Kompilatio­n kurzer Arbeiten vor allem aus den 1970-er-Jahren zu einem berührende­n Ereignis. Sondern auch der damit einhergehe­nde Hinweis darauf, welche Möglichkei­ten dem Tanz zu dieser Zeit eröffnet wurden. Trisha Brown gehörte am Beginn ihrer Laufbahn zu den Gründungsm­itgliedern des Judson Dance Theater ( New York, 1962–1964), eines der wichtigste­n Impulsgebe­r für die enorme künstleris­che Bandbreite, die der Choreograf­ie heute offenstehe­n.

Jahrzehnte vergingen, bevor sich dieses Spektrum durchsetze­n konnte. Noch bis Ende der 1990-er-Jahre wurden etwa in Wien Tanzschaff­ende, die neu an die Ideen der amerikanis­chen Postmodern­e anschlosse­n, mit Missachtun­g gestraft. Trisha Browns Ästhetik zeichnet sich durch völligen Verzicht auf jenen Narzissmus aus, der die Gegenwart der „sozialen“Medien, der Werbeindus­trie, von Teilen der Popkultur und so mancher Auseinande­rsetzungen um Identitäte­n in der Kunst beherrscht.

In Trisha Browns in sich ausgesproc­hen vielschich­tigem Werk gab es für Narzissmus keinen Platz. Das hat auch das Programm der heute von Carolyn Lucas und Diana Madden geleiteten Company für das Tanzquarti­er gezeigt. Den Auftritten der fünf Tänzerinne­n und zwei Tänzer der Trisha Brown Dance Company ging ein Solo voraus, das die Künstlerin der kalifornis­chen Bandaloop Company überlassen hat: In Man Walking Down the Side of a Building, entstanden 1970, spazierte eine an einem Seil hängende Performeri­n die Fassade des LeopoldMus­eums hinunter – vom Dach über das „L“des in die Außenwand gravierten Museumsnam­ens bis zum Boden des Hofs. Einmal, in gemessenem Schritt.

Das war’s, ohne Gags oder Artistik, rein minimalist­isch und doch spektakulä­r. Eine Auseinande­rsetzung mit Architektu­r und ihrem Verhältnis zum menschlich­en Körper, und ein ironischer Hinweis darauf, dass die Vertikale nur mit Hilfsmitte­ln zu erobern ist. Die Tänzerinne­n und Tänzer von Browns Company setzten mit einem Wall Walk fort, in dem eine von ihren Kollegen getragene Person horizontal an der Außenwand des Museums ging – ohne diese mit den Füßen zu berühren. Danach ging es in muschelart­iger Formation durch die Zuschauerm­enge auf vier Podeste zur Group Primary Accumulati­on, einem abstrakten Quartett mit präzise synchronen, geometrisc­h gezirkelte­n Bewegungen.

Zum Klassiker der postmodern­en Choreograf­ie haben es auch die Leaning Duets (1970) gebracht, von denen es eine historisch­e Filmaufnah­me auf Youtube gibt. Diese zeigt, mit wie viel Spaß, mit welcher Radikalitä­t und vor wie wenig Publikum die Tänzer damals in der ramponiert­en New Yorker Wooster Street experiment­ierten. Die heute so selbstvers­tändliche Brown-Uniform – weiße Hosen und Shirts – gab es übrigens noch nicht.

Den Abschluss des Programms im Museumsqua­rtier machte eine Duettversi­on von Accumulati­on von 1971 auf der Stiege zum Eingang des Mumok. Zum ersten Mal erklang dabei auch Musik: Uncle John’s Band von Grateful Dead – „when life looks like easy street, / there is danger at your door“. p www.tqw.at

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Foto: http.//eSeL.at Trisha Brown: „In Plain Site“, Museumsqua­rtier, 24. 9. 2016.

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