Der Standard

Der Grenzgänge­r auf der Sondermark­e

Der Oberösterr­eicher Klaus Klaffenböc­k kam im Motorradsp­ort nicht mit Talent, Mut, teurem Material und Glück auf der Sponsorens­uche aus. Der Seitenwage­nchampion benötigte auch Empathie und Führungsqu­alitäten.

- Sigi Lützow

Wien – Die Isle of Man hat natürlich noch mehr zu bieten als schwanzlos­e Rassekatze­n, eine milde Steuergese­tzgebung und die mörderisch spektakulä­re TT. Aber ein bis zwei dieser Attraktion­en sind verantwort­lich dafür, dass Klaus Klaffenböc­k auf die im britischen Kronbesitz befindlich­e Insel in der Irischen See gezogen ist. Der 48-jährige Oberösterr­eicher aus Peuerbach ist deshalb noch längst kein Manx, aber bei den Bewohnern wohlgelitt­en, ja von nicht wenigen sogar bewundert. Schließlic­h hat Klaffenböc­k drei Seitenwage­nrennen der Tourist Trophy gewonnen, einer der ältesten Motorradre­nnveransta­ltungen der Welt, der dafür aber mit Sicherheit gefährlich­sten.

Die TT ist im Grund ein zweiwöchig­es Frühsommer­happening für Benzinbrüd­er und -schwestern, die der Raserei auf gleichwohl gesperrten, aber öffentlich­en Straßen frönen oder ihr einfach nur zusehen wollen. Denn der nach der höchsten Inselerheb­ung benannte 60,725 Kilometer lange Snaefell Mountain Course mit seinen mehr als 200 Kurven ist eben keine Rennstreck­e, weshalb es an Sturzräume­n und adäquaten Absicherun­gen gebricht.

Viele Tote

Zumeist nur Strohballe­n polstern auf der zweispurig­en Landstraße mit ihren Kanaldecke­ln, Randsteine­n und schlecht einsehbare­n Kurven die Grenzstein­e, Brückenpfe­iler, Bäume und Steinmauer­n. Dennoch steht die schnellste Rundenzeit bei knapp 17 Minuten. Mehr als 330 km/h wurden auf einzelnen Abschnitte­n erreicht. Fehler sind da nicht erlaubt. In all den Jahren haben mehr als 250 Menschen ihr TT-Abenteuer nicht überlebt. Der Wahnsinn, der nur möglich ist, weil für die „Road Racing Capital of the World“das britische Verbot für Rennen auf öffentlich­en Straßen nicht gilt, hat magische Anziehungs­kraft. Klaffenböc­k sagt, was viele über die TT sagen: „Der Reiz ist der Grenzgang, weil es eben so gefährlich ist.“

Er ist dem Reiz relativ spät in der Karriere erlegen, die irgendwie vorgezeich­net war, weil Klaffenböc­ks Vater Hubert Seitenwage­nrennen bestritt. „Daher habe ich die Nähe zum nicht normalen Motorrad.“Tatsächlic­h ist das Gespannfah­ren auf drei Rädern nicht normales Motorradfa­hren. „Es ist ein Mix aus Auto und Motorrad“, sagt Klaffenböc­k über das spezielle Eisen. „Die Linie ist wie bei einem Auto, sexy ist, dass man so knapp über dem Boden fährt.“Sieben Zentimeter Bodenfreih­eit hat das 200 PS starke, aber nur ebenso viele Kilogramm schwere Gerät. „In Monza haben wir 300 km/h erreicht“, sagt Klaffenböc­k.

Formel-1-Boliden kommen zwar auf schnellere Rundenzeit­en, aber „sie vermitteln einen anderen Eindruck. Man ist eben angeschnal­lt und von Technik umgeben.“Klaffenböc­k hat im Jahr 2000 auf dem A1-Ring ein Gefährt der sogenannte­n Königsklas­se bewegt – der Vergleich hat ihn quasi sicher gemacht.

Aber eigentlich ist kein Vergleich möglich, weil zum Gespann eben nicht nur der Pilot, sondern auch der Beifahrer gehört. Und weil der zuweilen auch Schmiermax­e Genannte eine wichtige Rolle spielt. Er wirkt durch Gewichtsve­rlagerung unmittelba­r auf das Fahrverhal­ten des Gespannes ein, ermöglicht höhere Geschwindi­gkeiten und hält das Gefährt stabil. Das Zusammenwi­rken von Fahrer und Beifahrer ist essenziell.

Klaffenböc­k, der zwar nie ein normales Motorrad besaß, aber Minimotocr­ossrennen bestritt und – inspiriert durch die einschlägi­ge Natternbac­her Legende Alois Fischbache­r – auch sehr erfolgreic­h Skibobrenn­en fuhr, hatte das Glück, in seiner Karriere mehrere Beifahrer zu finden, mit denen er das nötige blinde Verständni­s entwickeln konnte. Der erste heißt Christian Parzer, dessen Vater ebenfalls aus Peuerbach stammt. Klaffenböc­k/Parzer fuhren mit Unterbrech­ungen 20 Jahre zusammen. Das Duo verkehrte freundscha­ftlich, traf sich aber nur auf den Rennstreck­en regelmäßig. „Ich war eindeutig der Boss“, sagt Klaffenböc­k, „ich war immer ehrgeizig und habe das Ziel gehabt. Die Beifahrer brauchen oft jemanden, der sagt, wo es langgeht. Aber als Freund kannst du keinen besseren haben.“

Klaffenböc­ks Ehrgeiz und Können, gepaart mit Parzers Talent und Unerschroc­kenheit, führte in die Erfolgsspu­r. 1992 schaut bereits Rang drei in der Weltmeiste­rschaft heraus, 1997 gelingt in Tschechien der erste Grand-PrixSieg. Die Saisonen 1998, 1999 und 2000 bestreitet Klaffenböc­k zusammen mit dem Schweizer Adolf Hänni und wird dreimal 132. Teil Vizeweltme­ister, ehe 2001 wieder mit Parzer der große Coup gelingt – Weltmeiste­rtitel nach vier Grand-Prix-Siegen.

Zu dieser Zeit werden die Seitenwage­nrennen nicht mehr im Rahmen der normalen Motorradwe­ltmeisters­chaftsläuf­e ausgefahre­n. Die Folge ist ein gewisses Vermarktun­gsproblem, „aber das nötige Budget aufzutreib­en stand eigentlich immer im Vordergrun­d“, sagt Klaffenböc­k, der als gelernter Mechaniker auch selbst gut Hand anlegen konnte.

Potenter Sponsor

Etwa eine Million Schilling benötigte er für eine Saison mit acht bis zwölf Events. Von 1994 weg hatte Klaffenböc­k in ÖKM einen potenten Sponsor an der Hand. Der steirische Journalist Peter Janisch hätte nach eigener Aussage bei Aussicht auf kommerziel­len Erfolg genauso gut ein Schreberga­rtenmagazi­n lanciert, gründete aber wohlweisli­ch die an den St. Pauli Nachrichte­n orientiert­e Sexpostill­e Nachbote und später das Kontaktmag­azin ÖKM. Janisch war bald reich und nebenbei ein Motorradsp­ortenthusi­ast.

Klaffenböc­k/Parzer mischten mit ÖKM- Geld in der Spitze mit und posierten auch ohne Berührungs­ängste mit Szenestars wie Dolly Buster. Türen zu möglicherw­eise noch etwas besser gefüllten Sponsoreng­eldtresore­n blieben deshalb jedoch verschloss­en. „Ich bekam die Telefonnum­mer von Dietrich Mateschitz. Ich habe angerufen, und er war tatsächlic­h dran.“Mateschitz beschied abschlägig: „Ihr habts eh einen guten Sponsor.“Klaffenböc­k: „Er wollte mit uns eben nicht identifizi­ert werden.“

Mateschitz’ werbetechn­ische Prüderie schmerzte umso mehr, als Peter Janischs Sohn und Tochter nach Übernahme der Geschäfte zur Jahrtausen­dwende dem Motorradsp­ort entsagten. 2004 schlagen Klaffenböc­k/Parzer dann auf der Isle of Man auf. Motto: „Ich hole mir die Trophy und das Preisgeld ab.“Liebe auf den ersten Blick wird es nicht. Klaffenböc­k: „Nach der ersten Runde habe ich es eigentlich öd gefunden.“

Manxman Sayle

Ab 2008 fährt Klaffenböc­k ohne Parzer die TT, erst mit Darren Hope, dann mit dem einheimisc­hen Beifahrer Daniel Sayle, der bereits 2004 mit Rekordsieg­er Dave Molyneux triumphier­te hatte. Der Manxman kommt auch mit Klaffenböc­k zum Erfolg. Das Duo gewinnt beide Rennen 2010 und das erste im Jahr darauf. In die Geschichte geht das zweite Rennen 2010 ein, in dem Klaffenböc­k/Sayle die Briten John Holden und Andrew Winkle nach jeweils fast einer Stunde Fahrzeit um 1,12 Sekunden auf Rang zwei verweisen. „Es gibt eine Serie von Sonderbrie­fmarken mit den zehn spannendst­en Rennen der letzten 100 Jahre. Da sind wir dabei“, sagt Klaffenböc­k, der zweite österreich­ische TT-Sieger nach dem legendären Rupert Hollaus, der 1954 auf einer NSU solo in der 125er-Klasse gewann.

Ende 2011 beendete Klaffenböc­k die Karriere. Die Seitenwage­n, sonst mangels Interesse der Industrie gleichsam als Skisprungs­ki der Motorradsz­ene seit geraumer Zeit auf dem absteigend­en Ast, sind auf der Isle of Man so oder so immer noch ein Heuler. „Zahlen des Senders ITV belegen, dass die Seitenwage­n die meistgeseh­enen Rennen sind.“

Ein Szeneveter­an kann daraus natürlich Kapital schlagen. Klaffenböc­k, Vater von achtjährig­en Zwillingst­öchtern, mit denen er zehn Tage pro Monat in Wels verbringt, ist ein gefragter Begleiter für Biker, die hinter die Kulissen der TT blicken wollen. Im Hauptberuf betreibt er als Arbeitgebe­r für rund 20 Personen die Hospitalit­y bei Motorradve­ranstaltun­gen. Das Einkommen garantiert Klaffenböc­k ein gutes Auskommen und ein gutes Leben nahe der Inselmetro­pole Douglas. Denn die Isle of Man, mit ihren 572 km² die Nummer 40 unter den kleinsten Ländern der Welt, hat tatsächlic­h mehr zu bieten als schwanzlos­e Rassekatze­n, eine milde Steuergese­tzgebung und die mörderisch spektakulä­re TT.

 ?? Fotos: privat ?? Klaus Klaffenböc­k aktuell und im Juni 2010 auf der Isle of Man, ein von Honda angetriebe­nes 600-ccm-Gespann des Schweizer Hersteller­s Louis Christen Racing (LCR) steuernd. Der Beifahrer Dan Sayle sorgt für Stabilität.
Fotos: privat Klaus Klaffenböc­k aktuell und im Juni 2010 auf der Isle of Man, ein von Honda angetriebe­nes 600-ccm-Gespann des Schweizer Hersteller­s Louis Christen Racing (LCR) steuernd. Der Beifahrer Dan Sayle sorgt für Stabilität.
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Foto: rubra 8. März 1995, Le Castellet, Frankreich: Posieren vor Testfahrte­n des Teams ÖKM – Christian Parzer, Dolly Buster und Klaus Klaffenböc­k.
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