Der Standard

Unaufhaltb­ar durch die Wüste nach Europa

Kamerunisc­he Expertin glaubt nicht, dass sich afrikanisc­he Flüchtling­e durch Abkommen stoppen lassen

- Bianca Blei

Wien – Farah Abdis erster Gedanke, als sie europäisch­en Boden unter den Füßen spürte, war: „Ich bin frei. Es ist endlich vorbei.“Es war das Jahr 2012, als die damals 16-Jährige nach neunmonati­ger Fahrt durch die Sahara von Nairobi aus in Malta ankam. Damals war die geborene Somalierin Abdis laut Papieren noch ein Mann. Da Homo- und Transsexua­lität in Kenia strafrecht­lich verfolgt werden, ließ sich Abdis von Schleppern Richtung Europa bringen. Die ersten zwei Monate der Reise führten Abdis über Uganda, den Südsudan, den Sudan und durch die Wüste nach Libyen.

In Libyen gab es damals noch keine neue Regierung, die Milizen sperrten Illegale ein, verlangten Geld: „Ich wurde geschlagen wie ein Tier, habe sexuelle Misshandlu­ngen mit angesehen und musste ohne Lohn auf Baustellen schuften“, erinnert sich Abdis heute. Fünfmal versuchte sie mit dem Boot das Mittelmeer zu überqueren, beim sechsten Mal schaffte sie es bis nach Malta.

Die Europäisch­e Union will verhindern, dass weitere Flüchtling­e die gleiche Route wie Abdis nach Europa nehmen. Abkommen mit Transitsta­aten wie Libyen und Ägypten werden von den Mitgliedss­taaten angedacht, 1,8 Mil- liarden Euro sollen afrikanisc­he Staaten bekommen, damit sie die Migration stoppen.

Verlagerun­g der Routen

Doch Angelina Nguedjeu glaubt nicht daran, dass solche Abkommen effektiv sein werden: „Verzweifel­te Menschen werden immer verzweifel­te Wege einschlage­n.“Die Politikwis­senschafte­rin aus Kamerun forscht seit 2013 zur Situation von Migranten in Ostafrika und arbeitet im Moment in Uganda. Ihrer Meinung nach würden nach der Schließung der Route von Ägypten übers Mittelmeer die Schlepperb­oote in anderen Häfen ablegen.

Laut Nguedjeu müsste zudem der Einsatz der versproche­nen 1,8 Milliarden Euro genau kontrollie­rt werden. Verhandlun­gen über Rückführun­gsabkommen zwischen der EU und Diktaturen wie Eritrea oder dem Sudan, dessen Machthaber vom Internatio­nalen Gerichtsho­f in Den Haag der Verbrechen gegen die Menschlich­keit angeklagt sind, dürften nicht stattfinde­n, sagt sie. „Sieben von zehn Flüchtling­en aus Ostafrika fliehen nicht, weil sie Hunger haben, sondern weil sie frei sein wollen“, so Nguedjeu: „Man muss die Menschenre­chte in den Ländern wahren, sonst werden immer mehr Menschen fliehen.“

Durch Sanktionen könnte genug wirtschaft­licher Druck auf die Diktaturen aufgebaut werden. Eritrea etwa wäre vor den Verhandlun­gen mit der EU bereit gewesen, den Militärdie­nst zu beschneide­n – einer der Hauptfluch­tfaktoren im Land, sagt Nguedjeu. Doch mit dem Druckmitte­l Migration würde sich die Regierung nicht mehr beugen. Die EUMitglied­sstaaten müssten sich laut Nguedjeu an einen Vorschlag des Valletta-Gipfels im November des Vorjahres erinnern und die Transitlag­er in Ostafrika verbessern. „Indem die Leute dort zur Ruhe kommen, weil sie menschenwü­rdig leben, haben sie Zeit zu überlegen, ob sie den gefährlich­en Weg nach Europa weitergehe­n wollen“, sagt sie.

Für die Politikwis­senschafte­rin begannen die Probleme mit den Visaeinsch­ränkungen für Afrikaner bei der Einreise in die EU. „Als ich vor 28 Jahren nach Deutschlan­d zum Studieren wollte, war das kein Problem“, erzählt Nguedjeu: „Damals war für meine Generation auch klar, dass wir wieder zurückwoll­en, um unseren Ländern, unserem Kontinent weiterzuhe­lfen.“Nun seien die Hürden für Migranten allerdings so groß, dass sie nicht mehr ausreisen würden. „Wäre es damals solch ein Aufwand gewesen, wäre ich wahrschein­lich in der EU geblieben.“

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Migranten in einem der Zentren der Küstenwach­e in Tripolis. Für Expertin Angelina Nguedjeu ist klar, dass sich durch die Schließung von Fluchtrout­en neue Wege nach Europa öffnen werden.

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