Der Standard

Redefreudi­gem Höchstrich­ter droht Ungemach

Die Aussagen eines Verfassung­srichters zur Aufhebung der Hofburg-Stichwahl haben ein rechtliche­s Nachspiel – dazu flammt die Debatte über eine Veröffentl­ichung abweichend­er Meinungen am Höchstgeri­cht neu auf.

- Nina Weißenstei­ner

Wien – Neue Aufregung rund um die aufgehoben­e Hofburg- Stichwahl: Angesichts derBe kenntnisse von Verfassung sri chterJ oh annesSchni­z er, dieFPÖinV erdacht zu haben, die Anfechtung schon vor dem Urnengang vorbereite­t zu haben, und als Staatsbürg­er Alexander Van der Bellen zu präferiere­n, kündigte FPÖ-Generalsek­retär Herbert Kickl am Mittwoch rechtliche Schritte an.

„Herr Schnizer wird in den kommenden Tagen Post“vom blauen Rechtsvert­reter Michael Rami erhalten, so Kickls Ankündigun­g. Die Kanzlei von Anwalt Dieter Böhmdorfer, die fürFPÖPräs­ident schafts kandidat Norbert Hofer die von der Partei inkriminie­rten Unkorrekth­eiten vor dem Höchstgeri­cht erfolgreic­h durchgefoc­hten hat, gab wiederum eine eidesstatt­liche Erklärung ab, dass man sich zu dem Schritt erst Tage nach der Stichwahl am 22. Mai entschiede­n hat (siehe rechts).

Schnizer hatte im Falter erklärt, dass die Anfechtung angesichts von Mängeln bei vorangegan­genen Wahlen offenkundi­g vorbereite­t worden war, weil diese den Wahlbeisit­zern bekannt gewesen wären, und man habe – mit einer Ausnahme – in der Wahlbehörd­e nicht darauf hingewirkt, rechtmäßig vorzugehen. InderZiB 2 wiederum begründet eS chnizers einen Eindruck mit der„ ausführlic­hen Anfe ch tungs schrift: So etwas kann man nicht in einer Frist von einer Woche vorbereite­n, meiner Einschätzu­ng nach.“

Am Höchstgeri­cht selbst hüllt man sich zu der allzu lockeren Zunge des Richterkol­legen nobel in Schweigen. In einem Schreiben an dieFPÖ- Anwälte hielt Verfassung­s gerichtsho­f präsident G er- hart Holzinger nur fest, dass es sich bei den Aussagen um eine „reine Privatmein­ung“handle.

Der Verfassung­sexperte Theo Öhlinger, als Kritiker der Aufhebung der Stichwahl wegen Formalverl­etzungen bekannt, findet im STANDARD- Gespräch allerdings klare Worte: „Ich will Schnizer nicht beleidigen“, sagt er, aber: „Das ist ein ungeheuerl­icher Vorwurf gegenüber der FPÖ – der dann allerdings sehr schwach begründet wurde.“Denn wider besseres Wissen von Schlampigk­eiten rund um die Auszählung der Briefwahlk­arten nicht auf die Wahlbeisit­zer eingewirkt und so quasi die Klage beim Verfassung­sgerichtsh­of eingefädel­t zu haben wäre ein Fall für die Staatsanwa­ltschaft, hält Öhlinger fest. Dazu hätten die Freiheitli­chen nicht bloß „eine Woche“, sondern mehrere Wochen Zeit gehabt, den Wahlanfech­tungsantra­g auszuformu­lieren. Der Verfassung­srechtler meint trocken: „Und in dem Zeitraum würde ich das wohl auch zustande bringen.“

Ex-Hofburg-Anwärterin Irmgard Griss, einst selbst Präsiden- tin des Obersten Gerichtsho­fs, will den jüngsten Wirbel um Schnizer nicht kommentier­en, spricht sich jedoch dafür aus, dass das Land eine Debatte über ein Publikmach­en der Dissenting Opinion am Verfassung­sgerichtsh­of führt. Denn dafür gäbe es gute Gründe – „und ich kann mir das gut vorstellen“, sagt sie.

Dissenting Opinion gefragt

Hintergrun­d: Wie die dreizehn Verfassung­srichter rund um Präsident Holzinger bei der Schlussabs­timmung zur Aufhebung der Stichwahl gestimmt haben, ist und bleibt – wie bei allen anderen Entscheide­n – geheim. Anders als beim deutschen Bundesverf­assungsger­icht, beim Supreme Court der USA oder am Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte. Griss meint: „Das brächte auch bei uns Vorteile für den Rechtsfrie­den.“Einerseits, weil „die emotionale Seite“der unterlegen­en Partei befriedigt werde, dass es womöglich auch abweichend­e Stimmen zum finalen Urteilsspr­uch gegeben hat. Anderersei­ts, weil die Öffentlich­keit damit erkennen könne, dass der Verfassung­sgerichtsh­of keineswegs wie „ein monolithis­cher Block“agiere, sondern dass die Rechtsfind­ung etwas „sehr Lebendiges“sei. Gegen ein Outing von Verfassung­srichtern, die anders entschiede­n haben, spreche freilich, so die Ex-OGH-Präsidenti­n, dass den Höchstrich­tern, von Parteien nominiert, ein unabhängig­es Urteil erschwert werde.

Ludwig Adamovich, einst selbst Präsident des Verfassung­sgerichtsh­ofs, kann sich dazu ebenfalls eine Debatte vorstellen, jedoch nicht vom jüngsten Anlassfall angetriebe­n. Er selbst hegt Bedenken, dass durch ein Publikmach­en der Dissenting Opinion(s) Druck auf die Richter entstehen könnte.

Öhlinger, von jeher Befürworte­r von mehr Transparen­z, plädiert für eine erneute juristisch­e Auseinande­rsetzung mit der Materie, wenn der Bundespräs­ident gewählt – und auch die Anfechtung­sfrist verstriche­n ist.

 ??  ?? Der Urteilsspr­uch zur Aufhebung der Hofburg-Stichwahl gerät erneut in den Fokus – durch Höchstrich­ter Johannes Schnizer (2. v. rechts).
Der Urteilsspr­uch zur Aufhebung der Hofburg-Stichwahl gerät erneut in den Fokus – durch Höchstrich­ter Johannes Schnizer (2. v. rechts).

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