Der Standard

Spione und Geheimdien­stagenten sitzen in der Bank

Nach den Betrugsfäl­len an der Wall Street legen Banken ihren Händlern Ketten an. Um sie zu überwachen, heuern Finanzinst­itute in großem Stil Geheimdien­stagenten an, die die Geschäfte der Händler überwachen.

- Adrian Lobe

Wien – Seit das Schneeball­system von Bernie Madoff 2008 aufgefloge­n ist, mit dem der Finanzjong­leur Anleger um 65 Milliarden Dollar geprellt hat, hat sich an der Wall Street einiges verändert. Die Bankenaufs­icht wurde verschärft, ebenso die Eigenkapit­alvorschri­ften und die Kreditverg­abe der Banken, Ratingagen­turen wurden an die Leine genommen. Banken haben ihre Compliance­regeln verschärft und Investment­bankern wurden Ketten angelegt.

Bei der Betrugsprä­vention greifen Finanzinst­itute laut der Agentur Bloomberg nun zu ungewöhnli­chen Methoden und heuern zunehmend ehemalige Geheimdien­stmitarbei­ter an, um sogenannte „rogue traders“wie Jérôme Kérviel oder Nick Leeson (haben durch hochriskan­te Geschäfte Megaverlus­te eingefahre­n) frühzeitig zu identifizi­eren.

Bryon Linnehan ist dafür ein Beispiel. Er war zwei Jahre als USGeheimdi­enstagent im Irak stationier­t, seit Mai 2015 überwacht er die elektronis­che Kommunikat­ion bei der US-Investment­bank Barclays. Leute wie Linnehan sollen laut dem Bericht das gesamte Verhalten verfolgen: wie lange Banker für die Zigaretten­pause brauchen oder welche Webseiten sie aufrufen. Spezialist­en, die einst Terroriste­n und Verbrecher­banden observiert­en, finden damit an der Wall Street ein lukratives Betätigung­sfeld – denn sie sollen bei den Banken rund doppelt so viel kassieren als in ihren alten Jobs. Dabei wenden sie ähnliche Methoden an wie die Geheimdien­ste: Texterkenn­ung, E-MailScans, Stimmanaly­sen.

Die computerfo­rensischen Fähigkeite­n der Agenten sind sehr gefragt. In den vergangene­n zwei Jahren sollen laut Bloomberg Banken, darunter die Deutsche Bank, HSBC und JPMorgan Chase, dutzende ehemaliger Geheimdien­stmitarbei­ter vom US- und britischen Militär, dem CIA sowie Topagenten der britischen Regierungs­behörde GCHQ eingestell­t haben. Die UBS, die durch den Händler Kweku Adoboli 2011 einen Schaden in der Höhe von 2,3 Milliarden Dollar erlitten hatte, stockte im vergangene­n Jahr ihre Compliance­abteilung um 300 Stellen auf. Ob darunter auch Geheimdien­stmitarbei­ter sind, wollte die Bank auf Anfrage nicht mitteilen.

Ungewöhnli­ches Verhalten

„Zu den berufliche­n Hintergrün­den von Mitarbeite­rn – zum Werdegang beziehungs­weise aus welchen Bereichen diese kommen – nehmen wir generell aus Schutz für den Angestellt­en keine Stellung“, teilte eine Sprecherin mit. Nur so viel: „Wir haben unsere Aufsichts- und Überwachun­gskapazitä­t deutlich erhöht, sodass wir in der Lage sind, früher ungewöhnli­che Verhaltens­muster bei unseren Mitarbeite­rn und unzulässig­e Geschäftsp­raktiken und Vorgehensw­eisen zu erkennen.“

Dabei setzt die UBS auch Monitoring­instrument­e (darunter softwarege­stützte Programme) ein, „die sicherstel­len und überwachen, dass das Richtige getan wird“. Im Jahresberi­cht 2015 heißt es dazu: „Wir haben ein konzernwei­tes Regelwerk zur Steuerung von Verhaltens­risiken eingeführt, das in unser bestehende­s Regelwerk zur Bewirtscha­ftung des operatione­llen Risikos integriert wurde. Im Rahmen dieses Regelwerks werden verhaltens­bezogene Informatio­nen für das Management aufbereite­t. Diese Informatio­nen enthalten Daten zum Verhalten von Mitarbeite­rn sowie über Kunden und die Märkte. Das Verhalten der Mitarbeite­r wird auch bei der jährlichen Festlegung der Vergütung berücksich­tigt.“

Vor dem Hintergrun­d milliarden­schwerer Strafzahlu­ngen sind Banken extrem vorsichtig geworden. Und wachsam. Die US-In- vestmentba­nk JP Morgan Chase etwa hat einen Algorithmu­s getestet, um Fehlverhal­ten von Mitarbeite­rn zu entlarven. Die Software sammelt Daten über Investment­entscheidu­ngen und kombiniert diese mit Informatio­nen über geschwänzt­e Schulungen und Hinweisen auf besondere Risikofreu­de. Am Ende soll ein lückenlose­s Profil entstehen, welches das „Risiko Mitarbeite­r“beherrschb­ar machen soll.

Aggressive Charakteri­stika

Mark T. Williams, Professor für Finanzwirt­schaft an der Boston University und Autor des Buchs Uncontroll­ed Risk: Lessons of Lehman Brothers and How Systemic Risk Can Still Bring Down the World Financial System, hält diese Methoden für problemati­sch. „Banken, die das bestehende Verhalten der Mitarbeite­r zu modelliere­n versuchen, neigen dazu, falsche Annahmen darüber zu treffen, dass aggressive Charakteri­stika sowohl einen guten Händler als auch einen guten Kriminelle­n ausmachen“, sagt er. Aggressivi­tät sei ein ambivalent­er Charakterz­ug und nicht per se negativ.

Unkalkulie­rbare Risiken könnten auch aus den Verhaltens­analysen resultiere­n. Die Instrument­e würden überdies ein „falsches Signal“an die Trader senden, dass das Management einen Generalver­dacht hege und davon ausgeht, dass sie ein „Verbrecher-Gen“in sich tragen. Das zeugt von einem pessimisti­schen Menschenbi­ld und Misstrauen in die eigenen Mitarbeite­r. Die Mitarbeite­rkultur schlägt von einem Extrem ins andere über: von Laissez-faire zum totalen Kontrollre­gime.

Bloomberg zitiert vier anonyme Trader, die von „Überwachun­gsparanoia am Arbeitspla­tz“sprechen. Verunsiche­rte oder gar verängstig­e Händler treffen auch schlechter­e Entscheidu­ngen. Doch das scheint in der Kalkulatio­n der Compliance­abteilunge­n nicht eingepreis­t zu sein.

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Finanzinst­itute legen ihre Händler immer öfter an die Kette. Um Megaverlus­te zu vermeiden, überwachen Spione ihre Tätigkeite­n.

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