Der Standard

Amerikanis­che Malerstars zu Gast in London

Die Royal Academy widmet sich dem abstrakten Expression­ismus. Eine Ausstellun­g der Superlativ­e: Bis auf wenige Ausnahmen sind Werke der wichtigste­n Künstler dieser Epoche ausgestell­t.

- Sebastian Borger aus London

Mark Rothko, Jackson Pollock, Willem de Kooning, Clyfford Still, Ad Reinhardt: Den meisten stilprägen­den Künstlern sind eigene Säle gewidmet; beinahe jeder Raum würde einen separaten Besuch lohnen.

Im Besonderen gilt dies für die zwölf Gemälde des radikalen Außenseite­rs Still. Elf davon sind Leihgaben aus dem Museum in Denver (Colorado), das seinen Namen trägt und dem 95 Prozent seiner Werke gehören. Still verabschie­dete sich schon in den späten 1930er-Jahren von der konkreten Malerei, seine wilden Farbzacken übten großen Einfluss auf die gesamte Stilrichtu­ng aus.

Auf Mark Rothko zum Beispiel, dessen unverkennb­are Farbfläche­n, vom tiefen Blau und Schwarz bis zum relativ ungewöhnli­chen Limonengrü­n und zu Ocker, den achteckige­n Kuppelsaal der Akademie füllen. Ebenso auf Jackson Pollock.

Dem nach seinen berühmten Tropfgemäl­den („drip paintings“) Jack the Dripper genannten Künstler ist der größte Raum gewidmet. Von hastiger Farbaussch­üttung könne keine Rede sein, schwärmt Ausstellun­gskurator David Anfam. Vielmehr müsse man Pollocks Technik als „mikroskopi­sche Kalligrafi­e“begreifen: „Aus welcher Perspektiv­e auch immer man auf diese Kunstricht­ung schaut, um Pollock kommt man nicht herum.“

Anfam hat den Riesensaal mit einem Raumteiler versehen, um zwei Geniestrei­chen Pollocks besonderes Gewicht zu verschaffe­n. Auf der einen Seite Mural von der Jahreswend­e 1943/44: eine zweieinhal­b mal sechs Meter große Leinwand voller Farbbögen, gemalt für die Eingangsha­lle der berühmten New Yorker Kunstförde­rin Peggy Guggenheim. Auf der anderen Seite das zwei Meter hohe und fast fünf Meter breite Drip-Painting Number 11, 1952, besser bekannt als Blue Poles. Der Ankauf für die Nationalga­lerie von Canberra verursacht­e 1973 eine Regierungs­krise. Nun hat die grandiose Farbsympho­nie für die Londoner Schau erst zum zweiten Mal ihre Heimat verlassen.

Die Londoner Kritiker geben sich dennoch tendenziel­l skeptisch gegenüber dieser Monumental­ausstellun­g mit 167 Gemälden, darunter 18 de Koonings, 15 Roth- kos, aber auch zwölf Stahlskulp­turen von David Smith. Die versproche­ne Neubewertu­ng sei ausgeblieb­en, heißt es etwa im Guardian: „Wir lernen nichts dazu.“

Zudem fehlten wichtige Werke von Künstlerin­nen wie Joan Mitchell oder Lee Krasner, der gänzliche Ausschluss von Hedda Sterne sei „pervers“. Der Evening Standard moniert ein „lausiges Durcheinan­der“sowie fehlende Antworten auf die elementare­n Fragen: Was ist abstrakt? Was definiert Expression­ismus?

Vitalität der Nachkriegs­zeit

Kein Zweifel aber, dass der abstrakte Expression­ismus auch im Kunstleben die neue Weltmacht der USA herausstri­ch. Beeinfluss­t von europäisch­en Stilformen, geprägt von den Katastroph­en der Weltkriege, der Depression, des beginnende­n Kalten Krieges, reflektier­ten die vor allem in New York ansässigen Künstler einerseits die Angst des Atomzeital­ters, anderersei­ts die ungeheure Vitalität des Nachkriegs­aufschwung­s.

Vielleicht hätte eine Konzentrat­ion auf zwei, drei große Namen, dazu eine Neubewertu­ng unbekannte­rer Künstlerin­nen und Künstler die Ausstellun­g für echte Kenner spannender gemacht. Interessie­rte Laien werden gewiss ihre Freude haben, auch tagelang.

 ??  ?? Schwungvol­le Farbbögen: „Mural“(1943), ein Hauptwerk Jackson Pollocks, in der Royal Academy.
Schwungvol­le Farbbögen: „Mural“(1943), ein Hauptwerk Jackson Pollocks, in der Royal Academy.

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