Amerikanische Malerstars zu Gast in London
Die Royal Academy widmet sich dem abstrakten Expressionismus. Eine Ausstellung der Superlative: Bis auf wenige Ausnahmen sind Werke der wichtigsten Künstler dieser Epoche ausgestellt.
Mark Rothko, Jackson Pollock, Willem de Kooning, Clyfford Still, Ad Reinhardt: Den meisten stilprägenden Künstlern sind eigene Säle gewidmet; beinahe jeder Raum würde einen separaten Besuch lohnen.
Im Besonderen gilt dies für die zwölf Gemälde des radikalen Außenseiters Still. Elf davon sind Leihgaben aus dem Museum in Denver (Colorado), das seinen Namen trägt und dem 95 Prozent seiner Werke gehören. Still verabschiedete sich schon in den späten 1930er-Jahren von der konkreten Malerei, seine wilden Farbzacken übten großen Einfluss auf die gesamte Stilrichtung aus.
Auf Mark Rothko zum Beispiel, dessen unverkennbare Farbflächen, vom tiefen Blau und Schwarz bis zum relativ ungewöhnlichen Limonengrün und zu Ocker, den achteckigen Kuppelsaal der Akademie füllen. Ebenso auf Jackson Pollock.
Dem nach seinen berühmten Tropfgemälden („drip paintings“) Jack the Dripper genannten Künstler ist der größte Raum gewidmet. Von hastiger Farbausschüttung könne keine Rede sein, schwärmt Ausstellungskurator David Anfam. Vielmehr müsse man Pollocks Technik als „mikroskopische Kalligrafie“begreifen: „Aus welcher Perspektive auch immer man auf diese Kunstrichtung schaut, um Pollock kommt man nicht herum.“
Anfam hat den Riesensaal mit einem Raumteiler versehen, um zwei Geniestreichen Pollocks besonderes Gewicht zu verschaffen. Auf der einen Seite Mural von der Jahreswende 1943/44: eine zweieinhalb mal sechs Meter große Leinwand voller Farbbögen, gemalt für die Eingangshalle der berühmten New Yorker Kunstförderin Peggy Guggenheim. Auf der anderen Seite das zwei Meter hohe und fast fünf Meter breite Drip-Painting Number 11, 1952, besser bekannt als Blue Poles. Der Ankauf für die Nationalgalerie von Canberra verursachte 1973 eine Regierungskrise. Nun hat die grandiose Farbsymphonie für die Londoner Schau erst zum zweiten Mal ihre Heimat verlassen.
Die Londoner Kritiker geben sich dennoch tendenziell skeptisch gegenüber dieser Monumentalausstellung mit 167 Gemälden, darunter 18 de Koonings, 15 Roth- kos, aber auch zwölf Stahlskulpturen von David Smith. Die versprochene Neubewertung sei ausgeblieben, heißt es etwa im Guardian: „Wir lernen nichts dazu.“
Zudem fehlten wichtige Werke von Künstlerinnen wie Joan Mitchell oder Lee Krasner, der gänzliche Ausschluss von Hedda Sterne sei „pervers“. Der Evening Standard moniert ein „lausiges Durcheinander“sowie fehlende Antworten auf die elementaren Fragen: Was ist abstrakt? Was definiert Expressionismus?
Vitalität der Nachkriegszeit
Kein Zweifel aber, dass der abstrakte Expressionismus auch im Kunstleben die neue Weltmacht der USA herausstrich. Beeinflusst von europäischen Stilformen, geprägt von den Katastrophen der Weltkriege, der Depression, des beginnenden Kalten Krieges, reflektierten die vor allem in New York ansässigen Künstler einerseits die Angst des Atomzeitalters, andererseits die ungeheure Vitalität des Nachkriegsaufschwungs.
Vielleicht hätte eine Konzentration auf zwei, drei große Namen, dazu eine Neubewertung unbekannterer Künstlerinnen und Künstler die Ausstellung für echte Kenner spannender gemacht. Interessierte Laien werden gewiss ihre Freude haben, auch tagelang.