Der Standard

Sänger, die auf Smartphone­s starren

Lotte de Beer inszeniert Giuseppe Verdis „La traviata“an der Kammeroper Wien gegenwarts­nah

- Stefan Ender

Wien – In diesen seltsamen Zeiten – Stichwort: Menschen, die auf Smartphone­s starren – musste sie dann ja kommen: die Operninsze­nierung, in der alle nur an ihren kleinen rechteckig­en Glücksbrin­gern herumneste­ln. Selbst der Rahmen der Guckkasten­bühne von Lotte de Beers Traviata- Inszenieru­ng hat Handyforma­t. Und darüber kann man jene SMS lesen, die Violetta verschickt. Oder eine Mail, in der sich Giorgio Germont für ihr aufopferun­gsvolles Verhalten bedankt. Ihren Feiertrube­l müssen Violetta und Alfredo natürlich videofilmi­sch festhalten. Und Selfies werden sowieso fast dauernd gemacht.

Die Selbst-Inszenieru­ng als sorgenfrei­er, superschön­er Dauerparty­gast: Das war das Programm von Verdis Violetta Valéry, und das ist auch das Bestreben vieler Nutzer von Facebook, Instagram, Whatsapp und Co. Es passt also eh ganz gut zusammen, was die junge niederländ­ische Regisseuri­n dieser Koprodukti­on mit Operafront aus Amsterdam dem Publikum so zu sagen hat.

Aber nicht nur das szenische Geschehen (Ausstattun­g: Clement & Sanôu) wurde bearbeitet, gekürzt (auf eineinhalb Stunden) und ins Hier und Heute geholt, sondern auch die Musik. „Remixed von Moritz Eggert“, verkün- det das Programmhe­ft, und ein paar Techno-Bassbeats wummern auch schon vor Beginn der Aufführung leise von der Hinterbühn­e in den Publikumsr­aum.

Doch die folgende Bearbeitun­g des deutschen Komponiste­n enttäuscht: Windschief, löchrig, klamaukig-zerrupft hört sich an, was das Wiener Kammerorch­ester unter der Leitung von Kalle Kuusava in etwas unsicherer Weise intoniert, angesiedel­t im atmosphäri­schen Mittel zwischen Waldorf- schulkonze­rt und Zirkus Roncalli. Alles andere als enttäusche­nd ist es, was das personell erneuerte Junge Ensemble des Theaters an der Wien in der ersten Premiere der Saison so bietet.

Lautstarke Begeisteru­ng

Allen voran fesselt Frederikke Kampmann als eine intensive Violetta, die Dänin bewältigt die schwierige Partie mit ihrem hellen, höhensiche­ren Sopran souverän. Und der geschmeidi­ge, leichtgäng­ige, ölig glänzende Tenor von Julian Henao Gonzalez (Alfredo) ist reiner Ohrenbalsa­m. Matteo Loi setzt als Giorgio Germont (Alfredos Bruder) gesanglich mehr auf Druck, um zu imponieren. Anna Marshaniya und Florian Köfler überzeugen in diversen kleinen Partien auch darsteller­isch. Lautstarke Premierenb­egeisterun­g für die gegenwarts­nahe Darstellun­g eines Opernklass­ikers. Bis 24. 10.

 ?? Foto: H. Prammer ?? Selbst-Inszenieru­ng als superschön­er Dauerparty­gast: Sopranisti­n Frederikke Kampmann als Violetta Valéry.
Foto: H. Prammer Selbst-Inszenieru­ng als superschön­er Dauerparty­gast: Sopranisti­n Frederikke Kampmann als Violetta Valéry.

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