Shimon Peres 1923–2016
Israels früherer Premier Shimon Peres ist tot. Der Friedensnobelpreisträger starb in Tel Aviv an den Folgen einer Hirnblutung. Aus dem einst streitbaren Sozialdemokraten wurde im Alter als Präsident ein Großvater der Nation.
Der frühere israelische Präsident, Premier- und Außenminister Shimon Peres ist in der Nacht auf Mittwoch in einem Spital bei Tel Aviv gestorben. Der Friedensnobelpreisträger hatte vor zwei Wochen einen Schlaganfall erlitten. Er wurde 93 Jahre alt. Peres, der im hohen Alter von den Sozialdemokraten zur rechtsliberalen Kadima-Partei gewechselt war, hatte sich im Lauf seiner langen Karriere vom Fürsprecher einer harten Politik zum Verhandlungspartner der Palästinenser gewandelt. Aus Österreich, wo Peres 2014 zu Besuch war (Foto), kondolierten unter anderem Außenminister Sebastian Kurz und Altpräsident Heinz Fischer.
Ben Segenreich
„Wenn ich meine Biografie zusammenfassen müsste“, sinnierte der schon hochbetagte Shimon Peres einmal in einem Interview, „würde ich sagen: Ich bin von Dimona nach Oslo gegangen.“Der Name des Wüstenstädtchens Dimona ist das Codewort für das Kernwaffenarsenal, das Israel offiziell gar nicht hat. Und Oslo symbolisiert die in dieser Stadt geführten Geheimverhandlungen, die das Fundament für einen Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern gelegt haben.
Die beiden Projekte sind im kollektiven Bewusstsein der Israelis mit Shimon Peres verbunden und stellen sein Vermächtnis dar. Der letzte der Titanen aus Israels Gründergeneration war in seinen frühen Jahren wie alle seine Mitstreiter ein „Falke“, als es für den belagerten jungen Staat vordringlich um Überlebenssicherung ging. Dass er im Alter zu einer „Taube“mutierte, trug ihm internationales Renommee ein.
Seine harmonische Amtszeit als Präsident, die er mit 90 Jahren beendete, machte vergessen, dass seine Karriere über lange Strecken von Zank und Niederlagen geprägt gewesen war. Am Mittwochmorgen ist Shimon Peres bei Tel Aviv im Alter von 93 Jahren verstorben.
Erfolg nicht in Wiege gelegt
Mit seiner Mutter und seinem Bruder war der elfjährige Szymon Perski 1934 dem Vater ins britische Mandatsgebiet Palästina nachgereist. Alle Verwandten, die in seinem damals zu Polen gehörenden Geburtsort Wiszniew zurückblieben, wurden von den Nazis ermordet – dass der geliebte Großvater, ein angesehener Rabbiner, mit vielen anderen Juden in einer hölzernen Synagoge verbrannt wurde, hat Peres mehrmals bei offiziellen Auftritten erwähnt.
Seine spätere Weltläufigkeit war dem kleinen Einwanderer, der den polnischen Akzent sein Leben lang nicht mehr ganz loswurde, nicht in die Wiege gelegt: Trotzdem war Peres mit 29 Generaldirektor des Verteidigungsministeriums. Der Jungfunktionär blieb lange Vertrauter seines Entdeckers David Ben-Gurion. Trotz Skepsis der Armee kurbele er diskret mit Paris den Aufbau einer Rüstungs-, Luftfahrt- und Nuklearindustrie an, die Israels Ressourcen zu überfordern schien.
1959 wurde er ins Parlament gewählt, wo er mit einer Dienstspanne von 48 Jahren einen Rekord aufstellen sollte. In verschiedenen Koalitionsregierungen übernahm er vielfältige Ressorts, insbesondere war er Außen-, Verteidigungs- und Finanzminister. Manche sehen in ihm auch einen Mitverantwortlichen für die Siedlungsbewegung im Westjordanland, die zu einer Zeit anlief, als die Arbeiterpartei dominant war. Eine harte Rivalität „verband“ihn mit dem fast gleichaltrigen Parteigenossen Yitzhak Rabin, der Peres einen „unermüdlichen Unterminierer“nannte. Serien interner Abstimmungsniederlagen gegen Rabin und andere sowie wiederholtes Scheitern bei Parlamentsund Präsidentschaftswahlen trugen Peres ein Verlierer-Image ein.
Ohne Wahlsieg wurde Peres zweimal Premierminister. 1984 waren die Wahlen unentschieden ausgegangen, und mit dem damaligen Likud-Chef Yitzhak Shamir einigte sich Peres auf eine „Rotation“im Sessel des Regierungschefs. In den zwei kurzen Jahren, die ihm zustanden, war Peres ein effizienter Premier, der Israels fast vollständigen Abzug aus dem Libanon vollzog und die Hyperinflation in den Griff bekam.
In der Nacht des 4. November 1995 war Peres dann der selbstverständliche Nachfolger, nachdem Premier Yitzhak Rabin von einem rechtsextremen jüdischen Studenten erschossen worden war. In den Jahren davor hatten die beiden doch noch als Partner agiert.
Rabin war erst nachträglich informiert worden, nachdem Peres als Außenminister jene Kontakte mit der PLO genehmigt hatte, die im September 1993 zum „OsloAbkommen“über eine Palästinenserautonomie führten. Im Jahr darauf nahm Peres dafür mit Rabin und PLO-Chef Yassir Arafat den Friedensnobelpreis entgegen.
Doch das Friedenskonzept ging im Terror und in der Intifada unter. Es war ein Schock, als Peres 2005 die Wahl des Parteivorsitzenden gegen den unerfahrenen Gewerkschaftsboss Amir Peretz verlor. Noch größer war der Schock drei Wochen später, als Peres, die Symbolfigur der israelischen Sozialdemokratie, plötzlich zur neuen Kadima-Partei von Ariel Sharon überlief, der bis dahin der „Bulldozer“der israelischen Rechten gewesen war.
Späte Idealbesetzung
Als deren Kandidat erlebte Peres 2007 dann die Genugtuung, zum Staatspräsidenten gewählt zu werden. Mit seiner Eleganz und seinem Esprit erwies er sich als Idealbesetzung und wurde zum geliebten Großvater der Nation. Es war freilich ein trauriges Sinnbild für das Scheitern seiner Vision, dass sein Abtritt im Sommer 2014 während eines Krieges erfolgte: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich in den letzten Tagen meiner Amtszeit wieder trauernde Familien besuchen würde“, sagte er damals.