Herbst-Akademie: Ach, Europa?
Im Rahmen der zweitägigen Konferenz „Welcome to the former West“wird unser Kontinent analysiert
Graz – In der grünen Wohlfühloase im Grazer Orpheum (siehe obenstehenden Artikel) soll im Rahmen einer Akademie die Befindlichkeit unseres Kontinents erforscht und diskutiert werden.
Quo vadis, Europa? Ist eh noch alles okay, oder fliegt der Laden bald auseinander? Nach der militärischen Selbstmassakrierung im Rahmen zweier Weltkriege schien im Rahmen der Europäischen Union eigentlich alles in die richtige Richtung zu gehen: zu einem grenzoffenen, toleranten Miteinander. Mitgliedschaftsinteressenten rannten der Staatengemeinschaft die Türen ein, für Südeuropa schien der Euro zum wundersamen Wachstumsgaranten zu werden. Knapp zehn Jahre nach der Finanzkrise tun sich immer mehr Problemfelder auf: Großbritannien hat sich Knall auf Fall vertschüsst, Griechenland erstickt in Schulden, so wie dem ganzen Süden, im starren Korsett des Euros festgeschnürt, so langsam die Luft ausgeht. Und auch die Flüchtlingsbewegungen aus Afrika und dem Nahen Osten stellen eine Bewährungsprobe dar.
Jahrhundertelang sind die Populationsbewegungen in die andere Richtung gegangen, war Europa kein Kontinent des passiven Aufnehmens, sondernd des aktiven Ausströmens, des Eroberns. In der von Martin Baasch, Luigi Fassi, Petra Pölzl und Johanna Rainer kuratierten zweitägigen englischsprachigen Konferenz, die den Kulminationspunkt der Akademie darstellen soll, wird der „Alte Kontinent“von außen betrachtet und abgecheckt, „aus post- und dekolonialer Perspektive“. Hat Europa ausgedient? Wo liegen die Gefahren aktueller Entwicklungen, welche Utopien gibt es noch? Diesen Fragen stellt sich eine bunte Reihe von Vortragenden aus aller Welt.
Den ersten Konferenztag eröffnet die Grande Dame des Postkolonialismus, María do Mar Castro Varela, und die Lateinamerikanerin fordert erst einmal, Bildung zu dekolonialisieren. Dann spürt Rolando Vazquez in seinem Vortrag der Begriffsgeschichte der Moderne nach: Wer definierte denn diese und auf welche Weise? Der erste Teil des Nachmittags ist dann der Gruppenarbeit gewidmet: Jochen Becker, Linessa Dan Lin und Daniel Kötter beleuchten den Bevölkerungsaustausch zwischen Afrika und China, die Schwestern Sushila und Sunada Mesquita das Themenfeld Migration und Genderfragen.
Im Verlauf des Nachmittags nähert man sich dem Konferenzausrichterland an: Die Vortragende Araba Evelyn Johnston-Arthur ist eine Expertin auf dem Gebiet der frühen Migrationsbewegungen von Farbigen nach Österreich, Armin Thurnher Spezialist auf dem weiten Feld des Österreichischen, mit Schwerpunkt Politik.
Mentale Gegensätze
Am zweiten Konferenztag referiert Roberto Dainotto über die Geschichte der Grenze zwischen Nord- und Südeuropa, Annette Bhagwathi beleuchtet die Globalisierungstendenzen des Kunstgeschäfts. Alya Sebti erkundet dessen mentale Gegensätzlichkeiten, Zasha Colah das Alleingut des Migranten, den Körper. Eine Konferenz, die hoffentlich alle Sinne und Gehirnzellen zum Blühen bringen wird „Welcome to the former West“, Orpheum, 8. 10. 10–19.00, 9. 10. 10–14.00