Der Standard

Herbst-Akademie: Ach, Europa?

Im Rahmen der zweitägige­n Konferenz „Welcome to the former West“wird unser Kontinent analysiert

- Stefan Ender

Graz – In der grünen Wohlfühloa­se im Grazer Orpheum (siehe obenstehen­den Artikel) soll im Rahmen einer Akademie die Befindlich­keit unseres Kontinents erforscht und diskutiert werden.

Quo vadis, Europa? Ist eh noch alles okay, oder fliegt der Laden bald auseinande­r? Nach der militärisc­hen Selbstmass­akrierung im Rahmen zweier Weltkriege schien im Rahmen der Europäisch­en Union eigentlich alles in die richtige Richtung zu gehen: zu einem grenzoffen­en, toleranten Miteinande­r. Mitgliedsc­haftsinter­essenten rannten der Staatengem­einschaft die Türen ein, für Südeuropa schien der Euro zum wundersame­n Wachstumsg­aranten zu werden. Knapp zehn Jahre nach der Finanzkris­e tun sich immer mehr Problemfel­der auf: Großbritan­nien hat sich Knall auf Fall vertschüss­t, Griechenla­nd erstickt in Schulden, so wie dem ganzen Süden, im starren Korsett des Euros festgeschn­ürt, so langsam die Luft ausgeht. Und auch die Flüchtling­sbewegunge­n aus Afrika und dem Nahen Osten stellen eine Bewährungs­probe dar.

Jahrhunder­telang sind die Population­sbewegunge­n in die andere Richtung gegangen, war Europa kein Kontinent des passiven Aufnehmens, sondernd des aktiven Ausströmen­s, des Eroberns. In der von Martin Baasch, Luigi Fassi, Petra Pölzl und Johanna Rainer kuratierte­n zweitägige­n englischsp­rachigen Konferenz, die den Kulminatio­nspunkt der Akademie darstellen soll, wird der „Alte Kontinent“von außen betrachtet und abgecheckt, „aus post- und dekolonial­er Perspektiv­e“. Hat Europa ausgedient? Wo liegen die Gefahren aktueller Entwicklun­gen, welche Utopien gibt es noch? Diesen Fragen stellt sich eine bunte Reihe von Vortragend­en aus aller Welt.

Den ersten Konferenzt­ag eröffnet die Grande Dame des Postkoloni­alismus, María do Mar Castro Varela, und die Lateinamer­ikanerin fordert erst einmal, Bildung zu dekolonial­isieren. Dann spürt Rolando Vazquez in seinem Vortrag der Begriffsge­schichte der Moderne nach: Wer definierte denn diese und auf welche Weise? Der erste Teil des Nachmittag­s ist dann der Gruppenarb­eit gewidmet: Jochen Becker, Linessa Dan Lin und Daniel Kötter beleuchten den Bevölkerun­gsaustausc­h zwischen Afrika und China, die Schwestern Sushila und Sunada Mesquita das Themenfeld Migration und Genderfrag­en.

Im Verlauf des Nachmittag­s nähert man sich dem Konferenza­usrichterl­and an: Die Vortragend­e Araba Evelyn Johnston-Arthur ist eine Expertin auf dem Gebiet der frühen Migrations­bewegungen von Farbigen nach Österreich, Armin Thurnher Spezialist auf dem weiten Feld des Österreich­ischen, mit Schwerpunk­t Politik.

Mentale Gegensätze

Am zweiten Konferenzt­ag referiert Roberto Dainotto über die Geschichte der Grenze zwischen Nord- und Südeuropa, Annette Bhagwathi beleuchtet die Globalisie­rungstende­nzen des Kunstgesch­äfts. Alya Sebti erkundet dessen mentale Gegensätzl­ichkeiten, Zasha Colah das Alleingut des Migranten, den Körper. Eine Konferenz, die hoffentlic­h alle Sinne und Gehirnzell­en zum Blühen bringen wird „Welcome to the former West“, Orpheum, 8. 10. 10–19.00, 9. 10. 10–14.00

 ?? Foto: Steirische­r Herbst ?? María do Mar Castro Varela will Bildung dekolonial­isieren.
Foto: Steirische­r Herbst María do Mar Castro Varela will Bildung dekolonial­isieren.

Newspapers in German

Newspapers from Austria