Der Standard

Fünf Euro, die in Afghanista­n eingeschla­gen haben sollen

Ziehen großzügige Leistungen für Asylwerber in Österreich Wirtschaft­sflüchtlin­ge an? Experten sind geteilter Meinung

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Üppige Leistungen ziehen Flüchtling­e an: Mit diesem Argument wirbt Innenminis­ter Wolfgang Sobotka dafür, dass Asylwerber für gemeinnütz­ige Tätigkeite­n mit nur 2,50 statt fünf Euro pro Stunde bezahlt werden sollen. Ansonsten, warnt der ÖVP-Politiker, würden sich arme Menschen aus vieler Herren Ländern „sofort“nach Österreich aufmachen (siehe oben).

Ist das plausibel? Ja, glaubt Wolfgang Mazal. „Vielfältig­e Erfahrunge­n“des Innenminis­teriums und von NGOs zeigten, dass potenziell­e Asylwerber „im Detail“über die konkreten Leistungen eines Landes informiert seien, sagt der Arbeits- und Sozialexpe­rte und hält deshalb 2,50 Euro bei einer gleichzeit­ig „guten“Grundverso­rgung für angemessen. Dass sich die Bundesländ­er vergangene Woche hingegen auf fünf Euro verständig­ten, „hat sofort in den Herkunftsl­ändern aufgeschla­gen“, erzählt Mazal – ohne allerdings die Quelle dieser Informatio­n zu nennen.

Der Migrations­forscher Bernhard Perchinig hingegen widerspric­ht diesem Argument entschiede­n. Länder wie Deutschlan­d, Schweden oder eben Österreich würden unter anderem deshalb Migranten anziehen, weil sie das Image wirtschaft­lich potenter Staaten mit guten Arbeitsmög­lichkeiten hätten – staatliche Leistungen hingegen spielten als „PullFaktor“eine kleine Rolle. „Jeder kennt Unternehme­n wie Mercedes und Siemens“, sagt Perchinig, „doch über die Details des österreich­ischen Sozialsyst­ems wissen die Menschen in Afghanista­n nicht Bescheid“.

Überschätz­te Pull-Faktoren

Studien bestätigen Perchinigs Einschätzu­ng. Das Overseas Developmen­t Institute, ein renommiert­er, in London stationier­ter Thinktank, kommt in einer wenige Monate alten Studie zum Schluss, dass die verschiede­nen Sozial- und Unterstütz­ungssystem­e für Asylwerber ein nur „schwacher“Pull-Faktor seien. Ähnlich die Conclusio des britisch-australisc­hen Ökonomen Timothy Hatton, der Fluchtbewe­gungen der vergangene­n 15 Jahre analysiert hatte ( der STANDARD berichtete): Wichtig für die Wahl des Ziellandes seien etwa die Chance auf ein Asyl oder die Frage, wie viele Menschen der gleichen Nation bereits vor Ort leben. Die Höhe der Sozialleis­tungen hingegen spiele keine Rolle.

„Das Argument mit den PullFaktor­en muss für alles und jedes herhalten“, ärgert sich Anny Knapp von der Asylkoordi­nation und sieht „keinen Grund, warum es Asylwerber nun plötzlich billiger geben sollen“. Immerhin existiere die Möglichkei­t der gemeinnütz­igen Arbeit mit einer Entschädig­ung von bis zu fünf Euro schon seit mehr als einem Jahrzehnt. Da wäre eher eine Inflations­anpassung fällig, sagt Knapp.

Einig sind die Experten, dass es grundsätzl­ich Sinn hat, Asylwerber­n mehr Chancen auf gemeinnütz­ige Tätigkeite­n zu bieten. Anstelle simpler Hilfsarbei­ten solle das Angebot aber vielmehr den Charakter von Praktika im Rahmen einer Ausbildung haben, sagt Perchinig: „Dann kann die Entschädig­ung niedrig sein.“(jo)

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