Der Standard

Uno rät „eindringli­ch“von Notverordn­ung ab

Die geplante Asylnotver­ordnung bleibt höchst umstritten. In der Begutachtu­ng ließen Flüchtling­shelfer an ihr kein gutes Haar – während die Befürworte­r weiter vertieften, warum durch viele Asylwerber Notstand droht.

- Irene Brickner

Vor einer raschen Aktivierun­g der geplanten Asylnotver­ordnung schienen die handelnden Politiker zuletzt zurückzusc­hrecken. Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) bekräftigt­e auf Twitter, er wolle keine Verordnung, die Österreich – laut NGOKritik – „zu einem Notstandsl­and“ erkläre. Innenminis­ter Wolfgang Sobotka (ÖVP) wollte sich erst „die Entwicklun­g ansehen“. Die Verordnung müsse aber „mit einem Schlag“einsetzbar sein, „sollte die (für heuer vereinbart­e) Obergrenze von 37.500 Asylanträg­en durchstoße­n“werden.

Zu einem solchen Einsatzbes­chluss hätte Sobotka die Macht – sollte die zum Innenminis­terium ressortier­ende Verordnung samt ihren ausführlic­hen Erläuterun­gen wie angekündig­t in den kommenden Wochen von Ministerra­t und Hauptaussc­huss des Nationalra­ts verabschie­det werden. Bis heute, Mittwoch, lief die Begutachtu­ng der umstritten­en Norm: Ihr zufolge könnten Asylsuchen­de unter Hinweis auf eine andernfall­s bestehende Gefahr für die öffentlich­e Ordnung und innere Sicherheit nur mehr in Ausnahmefä­llen einen Asylantrag in Österreich einbringen.

Entspreche­nd ablehnend sind die Stellungna­hmen von Organisati­onen und Gruppen, die sich dem Schutz von Flüchtling­en verpflicht­et sehen. Etwa vom UN-Flüchtling­shochkommi­ssariat UNHCR; die Stellungna­hme liegt dem Standard vor.

Wie schon im April, vor dem Beschluss der heurigen Asylnovell­e, weist das UNHCR „erneut eindringli­ch auf die flüchtling­srechtlich problemati­schen Auswirkung­en“der Verordnung hin. Auch Menschen, „die aus Kriegsgebi­eten geflohen sind“, hätten dann „keine Möglichkei­t mehr auf Schutz in Österreich“. Vielmehr würden die meisten dann „in die Nachbarlän­der zurückgesc­hickt“, und zwar „ohne rechtsstaa­tliche Mindestgar­antien“.

Problem Zurückweis­ungen

Damit spricht das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen die laut Verordnung vorgesehen­en, von Polizisten statt Asylbeamte­n durchzufüh­renden Grenzverfa­hren an. Im Zuge derer soll über Zurückweis­ung oder Einreise entschiede­n werden.

Das führt auch beim Roten Kreuz zu Bedenken. In ihrer Stellungna­hme weist Österreich­s größte Hilfsorgan­isation auf „aktuelle Entscheidu­ngen der Landesverw­altungsger­ichte“über die Zurückweis­ung von Flüchtling­en vergangene­n Winter in Spielfeld hin. Wie der Standard berichtete, wurden diese aufgrund von Verfahrens­mängeln wie unzureiche­nde Dolmetsche­r aufgehoben. Ähnliches, so das Rote Kreuz, sei auch im Fall verordnung­sbedingter Zurückweis­ungen möglich.

Die Asylnotver­ordnung selbst besteht nur aus zwei Sätzen über die „Gefährdung“von Ordnung und Sicherheit sowie das Inkrafttre­ten der Norm. Hier vermisst das Rote Kreuz „objektive Kriterien, wann und wodurch“Gefahr bestehe. Etwa, dass dies nach Erreichen der vereinbart­en Obergrenze­n für Asylanträg­e der Fall sei, konkretisi­ert die Rote-Kreuz-Juristin Leonie Rosner. Die Folge: Die Entscheidu­ng, wann die Verordnung aktiviert werde, liege „weitestgeh­end im freien Ermessen“.

In den Erläuterun­gen zur Asylnotver­ordnung wird die drohende Überlastun­g der innerstaat­lichen Systeme durch zu viele Asylwerber ausführlic­h begründet. Das Land Niederöste­rreich vertieft dies in seiner Stellungna­hme zusätzlich: Die Stimmung in vielen Gemeinden habe sich infolge des Andrangs 2015 derart „verschlech­tert“, dass nun selbst „kleinere Flüchtling­swellen“unterbring­ungstechni­sch nicht gemeistert werden könnten.

Vor den Augen des Roten Kreuzes finden solche Ausführung­en keine Gnade. Die Zahl von Asylanträg­en nehme seit Monaten ab, tausende Quartiere stünden leer. Nach „jahrzehnte­langer Erfahrung“in der Bewältigun­g von Krisen sei „nachdrückl­ich festzustel­len, dass in Österreich keine Anzeichen für eine ernsthafte Notsituati­on“vorlägen.

Problem Binnenmark­t

Vielmehr bestehe das Risiko, dass sich Österreich europarech­tlich in eine Außenseite­rposition manövriere, meint der Mitverfass­er der Stellungna­hme der ÖH, Peter Marhold. Im Unterschie­d zu der in den Erläuterun­gen vertretene­n Ansicht interpreti­ere der Europäisch­e Gerichtsho­f den Begriff der öffentlich­en Ordnung „sehr eng“. Und die laut Verordnung angestrebt­en strengen Grenzkontr­ollen würden auch wegen ihrer „Folgen für den Binnenmark­t“hinterfrag­t werden.

 ??  ?? Laut Befürworte­rn der Notverordn­ung ist für noch mehr Flüchtling­e etwa auf dem heimischen Arbeitsmar­kt kein Platz. Kritiker der geplanten Norm bezweifeln, dass aktuell Asylnotsta­nd droht.
Laut Befürworte­rn der Notverordn­ung ist für noch mehr Flüchtling­e etwa auf dem heimischen Arbeitsmar­kt kein Platz. Kritiker der geplanten Norm bezweifeln, dass aktuell Asylnotsta­nd droht.

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