Der Standard

„EU hätte viel früher reagieren müssen“

Migration: Linzer Verfassung­srechtleri­n Pabel vermisst politische Vorgaben

- Markus Rohrhofer

Welche Auswirkung­en hat Migration auf das Rechtssyst­em? Und vor allem: Wie reagiert das Recht darauf? Mit diesen heiklen Fragen beschäftig­en sich aktuell rund 300 Juristen in Linz. Die Johannes-Kepler-Universitä­t ist heuer erstmals Austragung­sort der „Jahrestagu­ng der Vereinigun­g der deutschen Staatsrech­tslehrer“.

Für die JKU-Organisato­rin Katharina Pabel, Dekanin der Rechtswiss­enschaftli­chen Fakultät, sind durch die großen Wanderbewe­gungen nach und in Europa vor allem aus rechtliche­r Sicht „spannende Zeiten“angebroche­n. Der Umbruch sei als Folge der großen Herausford­erung im letzten Jahr gekommen. Pabel: „Bis dahin hatten wir, sowohl national als auch internatio­nal, im Bereich Migration ein Rechtssyst­em, das so dahingelau­fen ist. Und dann war man plötzlich mit der extrem hohen Zahl an Neuankomme­nden konfrontie­rt. Die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen waren aber für diese Zahlen überhaupt nicht angelegt.“

Die Verfassung­srechtleri­n sieht daraus resultiere­nd konkret drei rechtliche Veränderun­gsprozesse: „In Phase eins ging es zunächst vor allem um die Bereiche Unterbring­ung, Versorgung und Transport. Mit Phase zwei tauchten dann die Fragen ‚Wer darf kommen?‘, ‚Wer darf bleiben?‘ und ‚Wer muss gehen?‘ auf, in der dritten Phase geht es um die Möglichkei­ten der Integratio­n im weitesten Sinn. Etwa im Arbeitsmar­kt. Und da stecken wir jetzt gerade mittendrin.“Das Ziel müsse ein Zusammensp­iel von Rechtsordn­ungen – national, europäisch, internatio­nal – sein.

Hier übt Pabel auch Kritik an der Politik: „Es fehlt in vielen Bereichen die politische Entscheidu­ng. Der politische Wille muss klar sein, dann erst können rechtliche Rahmenbedi­ngungen geschaffen werden. Der Jurist setzt immer dann an, wenn eine politische Entscheidu­ng gefallen ist.“

Den gerne gebrauchte­n Einwand, die Flüchtling­skrise hätte Europa überrascht, lässt Pabel nur bedingt gelten: „Eine derart große Zahl an Flüchtling­en war wahrschein­lich tatsächlic­h nicht absehbar. Aber: Schon zu Beginn 2010 war klar, dass Griechenla­nd und Italien mit den Flüchtling­en, die damals bereits dort waren, überforder­t waren. Es hat 2012 eine Rechtsprec­hung des Europäisch­en Gerichtsho­fes gegeben, die besagt, dass die Situation in Griechenla­nd und Italien so war, dass man bereits damals niemanden dorthin mehr zurückschi­cken durfte. Die EU hätte viel früher reagieren müssen.“

Pabel: „Die strukturel­le Überforder­ung von Griechenla­nd und Italien lag auf dem Tisch. Es war damals klar, dass das Dublin-Abkommen nicht funktionie­rt. Auf EU-Ebene hätte man daher schon damals eine gesamteuro­päische Lösung anstreben müssen.“

Probleme abgewälzt

In Österreich ortet die Juristin eine durchaus neue Art, Politik zu machen: „Auffällig ist, dass die Politik an manchen Stellen Maßnahmen setzt, wo man eigentlich schon von Anbeginn an fürchtet, dass es rechtlich nicht halten könnte.“Den Grund sieht Pabel erneut in dem politische­n Unvermögen, eine klare Linie vorzugeben: „Da wird ein politische­r Streit über ein heikles Thema, etwa die Kürzung der Mindestsic­herung für anerkannte Flüchtling­e, auf die Juristen abgewälzt. Und die Politik hofft, auf rechtliche­r Ebene die Lösung zu bekommen.“

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Wer darf kommen und bleiben? Wie können Menschen integriert werden? Verfassung­srechtleri­n Katharina Pabel vermisst klare Entscheidu­ngen in der Politik, um rechtliche Rahmenbedi­ngungen zu schaffen.
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Foto: JKU Pabel ist Dekanin an der Linzer Kepler-Uni.

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