Winterfestes Wohnzimmer für Mütter in Fünfhaus
Migrantische Mütter, die sich im Sommer im Park aufhalten, verschwinden im Winter aus dem Stadtbild, sagt Mirjam Schaller. Sie will einen Raum zum ganzjährigen Austausch für alle Mütter im Grätzel schaffen.
Wien – Mirjam Schaller geht mit ihrer elf Monate alten Tochter oft auf den Spielplatz in ihrem Grätzel an der Grenze zwischen WienRudolfsheim-Fünfhaus und Penzing. Irgendwann fiel ihr auf, dass dort viele Gruppen türkischer, exjugoslawischer, syrischer oder afghanischer Frauen „getrennt nach Nationalitäten“zusammensitzen und sich unterhalten, während ihre Kinder schaukeln, klettern oder Ball spielen. Die Gruppen hätten kaum Kontakt zueinander sowie zu Österreicherinnen. Letztere seien im Park nämlich kaum anzutreffen, während er für die Frauen mit Migrations- oder Fluchthintergrund zum „verlängerten Wohnzimmer“werde. „Die Leute leben im Sommer auf dem Spielplatz“, sagt Schaller.
Die 35-jährige Hauskrankenpflegerin und Obdachlosenbetreuerin fragte sich, was mit den Frauen im Winter passiert. „Wer Kleinkinder hat, ist in den sozialen Kontakten sowieso eingeschränkt.“Wer zudem neu in der Stadt sei oder wenig verdiene, habe noch begrenztere Möglichkeiten. Viele der Frauen hätten keinen anderen Ort, an dem sie sich in der kalten Jahreszeit aufhalten könnten, als zu Hause. „Sie verschwinden aus dem öffentlichen Raum“, sagt Schaller. Ihre Situation verhindere, dass sie Kontakte knüpfen oder Deutsch lernen.
Schaller erzählte ihrem Nachbarn, einem Sozialarbeiter, von ihren Überlegungen. Prompt vernetzte der sie mit Bekannten, die helfen wollten. Eine befreundete Grafikerin gestaltete ein Logo – und das Projekt „Mutti Kulti“war geboren. Eine „Handvoll Leute“engagierte sich bereits für das Projekt. Der Verein soll demnächst gegründet werden.
Raum für Frauen und Kinder
Ziel sei es, einen Raum zu finden, wo sich alle Mütter aus dem Grätzel mit ihren Kindern aufhalten und austauschen können – eine „interkulturelle Krabbelgruppe“, sagt Schaller. Es sei aber „extrem schwierig“, die Frauen zu erreichen, die durch ihre Kinder „in ihrer Mobilität eingeschränkt“ und „räumlich abgeschieden“seien. Hinzu kämen Sprachbarrieren, aber auch Ängste und Hemmschwellen. „Man muss auf sie zugehen“, ist Schaller überzeugt. „Wie soll eine syrische Mutter, die kein Deutsch spricht und die sozialen Gebräuche nicht kennt, auf mich zugehen und sich mir anpassen? Wenn ich auf sie zugehe und ihr zeige, wie es bei uns läuft, wird das besser funktionieren.“
Das Konzept von „Mutti Kulti“sieht deshalb vor, dass sich Mütter ehrenamtlich und aktiv darum bemühen, Kontakt zu anderen Müttern im Grätzel zu knüpfen und Vertrauen aufzubauen. So könnte der Zugang zu weiterführenden Angeboten wie etwa Deutschkursen ermöglicht werden, sich aber auch „nachbarschaftlich etwas entwickeln. Es verändert etwas, wenn ich die Frau mit Kopftuch grüße und sie mich grüßt“, sagt Schaller. „Vielleicht entwickeln sich ja sogar Freundschaften.“
Kuchen und Freundschaft
Bei ihr sei das schon passiert – mithilfe ihrer Tochter, die „immer alle anlächelt und winkt“. Schaller habe eine Gruppe syrischer Frauen im Park angesprochen. Die Reaktion sei „erstaunt, aber positiv“gewesen; niemand habe damit gerechnet, dass „die Österreicherin ihr Kind dazusetzt“. Sofort seien ihnen Kuchen und Sonnen- blumenkerne angeboten worden. Schaller setzte sich also immer wieder dazu, bis sie auch von den türkischen und afghanischen Müttern eingeladen wurde, mit ihnen zu plaudern. Inzwischen würden sich die Gruppen vermischen: „Wenn es um Mutter-Kind-Fragen geht, unterscheiden sich die Kulturen nicht so sehr“, sagt Schaller. Mittlerweile läute das syrische Mädchen aus der Nachbarschaft auch bei ihr an der Tür, bringe hausgemachte Snacks und lade Schaller und ihre Tochter zum Kaffeeplausch bei ihrer Familie ein. „Spannend, was passiert, wenn man mit den Leuten redet.“pMirjam Schaller im Videointerview:
derStandard.at/Graetzelmacher