Ewiger Wettlauf zwischen Jäger und Beute
Es kommt nicht nur auf die Größe der Beißwerkzeuge an: Wölfe gehen bei der Jagd koordiniert vor. Pflanzen wehren sich mit Giften gegen hungrige Mäuler. Der evolutionäre Mechanismus des Fressens und Gefressenwerdens ist Thema des heurigen Biologicums Almta
Wien – Wölfe jagen nicht einfach nur im Rudel. Sie bringen Beute koordiniert zur Strecke, bevor sie sie gemeinsam fressen. Das gemeinsame Mahl, das auch die Kultur des Menschen prägt, hat sich aus der Jagd und dem anschließenden Teilen der Beute entwickelt. „Beim Menschen ist die soziale Funktion des Essens komplex, im Prinzip liegt der Ursprung aber wie bei den Wölfen im gemeinsamen Nahrungserwerb“, sagt der Biologe Kurt Kotrschal. Was man isst, stiftet Identität. „Die Fürsten aßen schon immer anders als das gewöhnliche Volk. Und auch heute noch werden über das Essen und seine Rituale Kultur, Status, Lebensentwürfe und religiöse Haltungen ausgedrückt.“
„Fressen und gefressen werden“lautet der Titel des dritten Biologicum Almtal, das ab Donnerstag drei Tage lang Wissenschafter aufs oberösterreichische Land lockt, um „die Räuber-Beute-Beziehung und deren anatomische, physiologische, mentale, soziale und gesellschaftliche Folgen“zu diskutieren. Kotrschal, Professor für Verhaltensbiologie an der Uni Wien, Mitbegründer des Wolfsforschungszentrums (WSC) in Ernst- brunn und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle Grünau, ist wissenschaftlicher Leiter der Veranstaltung.
Die Nahrungswahl des Menschen, die von symbolischen Bedeutungen, Ethik und sozialen Konstrukten abhängig ist, trägt laut Kotrschal das Erbe der sozial jagenden Tiere in sich. Kooperation bedeutet für den Wolf, dass er als Jäger effizienter ist. Als Vorstufe der Kooperation hat sich im Laufe der Evolution die Gruppenbildung als eine soziale Maßnahme gegen Jäger gebildet. Bei Fischen habe sich die Schwarmbildung, die Stress vom Individuum nimmt, bereits vor mehr als 400 Millionen Jahren entwickelt, so Kotrschal. „Es sind exakt dieselben sozialen Basismechanismen, die auch heute noch den Menschen prägen.“
Auch Pflanzen wehren sich
Das Gefressenwerden betrifft allerdings nicht nur Tiere, sondern auch Pflanzen. Für Walter Arnold, Leiter des Forschungsinstituts für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien und ebenfalls Vortragender am Biologicum Almtal, ist es etwa absurd, „friedliche Pflanzenfresser“und „aggressive Fleischfresser“zu unterscheiden: „In bei- den Fällen geht es darum, dass ein Organismus den anderen nutzen möchte. Jener will sich aber natürlich der Schädigung entziehen.“
Auch die Pflanze hat etwas dagegen, dass sie gefressen wird, und wehrt sich vehement, etwa mit der Produktion von Giften. „Tannen produzieren Tannine, die für das Wild sehr schwer verdaulich sind“, gibt Arnold ein Beispiel. Doch auch hier bleibt die Evolution keine Antwort schuldig: „Rehe können im Speichel ein Protein herausbilden, das die Tannine unschädlich machen.“
Die Evolution redet aber auch dabei mit, was und wann gefressen wird: „Die Notwendigkeit von Energiezufuhr ist bei Tieren keineswegs konstant und variiert etwa saisonal. Bei den Rothirschen verringert sich der Nahrungsbedarf im Winter auf die Hälfte“, sagt Arnold. „Dazu kommt, dass sich spezifische Nahrung auf die Interaktion mit dem Beutegreifer auswirkt. Essenzielle Fettsäuren helfen etwa bei der Aufrechterhaltung der Muskelfunktion bei Kälte und lassen die Tiere schneller laufen.“
Auch beim Menschen sind saisonale Veränderungen des Organismus nachzuweisen. Errungenschaften wie Kleidung, Beleuchtung, Heizung lassen Menschen aber physiologisch in einem „ewigen Sommer“verharren. „Man hat etwa bei Tieren festgestellt, dass sich die Zusammensetzung von Zellmembranen im Jahresverlauf verändert. Auch bei Menschen sehen wir das noch – allerdings in abgeschwächter Form und nicht mehr synchron mit den tatsächlichen Jahreszeiten.“
Geht es nun um die Frage, ob Menschen Tiere essen dürfen, gehen die Meinungen bekanntlich auseinander. Herwig Grimm, Leiter der Abteilung Ethik in der Mensch-Tier-Beziehung am Messerli-Forschungsinstitut der Vetmed-Uni Wien, der Med-Uni Wien und der Uni Wien, setzt sich in seinem Vortrag kritisch mit etablierten Positionen auseinander. In der Tradition des australischen Tierethikers Peter Singer werden etwa die Gemeinsamkeiten aller Tiere – inklusive der Menschen – betont. Wenn die Leidensfähigkeit des Menschen moralisch relevant ist, kann sie bei Tieren nicht irrelevant sein, so ein zentraler Gedanke. Tiere müssten also in die moralische Gemeinschaft aufgenommen werden, und ihnen müsste ein Eigenwert zugestanden werden, der über den Nutzwert hinausgeht, erläutert Grimm. Man dürfte sie also auch nicht essen.
Im Mittelpunkt der Mensch
Doch die Position ist nicht nur fern der gelebten Praxis, es gebe auch theoretische Probleme, so Grimm. „Die Theorie ist angetreten, den Anthropozentrismus – also eine Weltsicht, die den Menschen in den Mittelpunkt setzt – zu überwinden“, so der Philosoph. „Doch bei der Hervorhebung der gemeinsamen Eigenschaften konzentrieren wir uns auf jene, die uns nahe sind. Wir suchen letztendlich menschliche Eigenschaften in den Tieren – was einer Neuauflage des Anthropo- zentrismus gleichkommt.“Wir bevorzugen also Tiere, die uns nahe sind. „Menschenaffen und Hunde haben eine gute Lobby, Schnecken dagegen nicht.“Diese Hierarchisierung widerspreche gerade jener Gleichheit unter den Tieren, für die die Ethiker sorgen wollten.
Den Gleichheitsdenkern stellt Grimm Positionen gegenüber, die auf der Praxis fußen. Gerade im Umstand, dass Menschen Tiere essen, drückt sich für die US-Philosophin Cora Diamond etwa eine Differenz aus. „Sind alle gleich, verlieren wir einen wichtigen Unterschied, den wir von uns als Menschen und nicht als Tiere fordern: Verantwortung ausüben zu können“, sagt Grimm. Eine einfache Antwort auf die Frage, ob Tiere zu essen richtig oder falsch ist, gibt dieser Gedankengang nicht. Er sollte aber zu Respekt gegenüber Tieren führen, die wir nutzen. Dieser kann sich auf unterschiedliche Weise ausdrücken.
Respekt hatten Menschen und Wölfe voreinander auch, als – vor etwa 35.000 Jahren – ihre Partnerschaft begann, sagt Verhaltensforscher Kotrschal. „Die soziale Organisation der beiden Spezies war ähnlich. Es war mit großer Wahrscheinlichkeit zuerst eine spirituelle Verbindung, zu der eine ökonomische kam – das gemeinsame Jagen.“Die Menschen begannen just zu diesem Zeitpunkt mit einem im wahrsten Sinne größenwahnsinnigen Vorhaben. Kotrschal: „Obwohl die Steppen voll mit Fleisch waren, begannen sie, Mammuts zu jagen.“pwww.