Der Standard

„Die Hoffnung ist ein neues Bild des Universums“

Der Nachweis von Gravitatio­nswellen ist eine der wichtigste­n Entdeckung­en des Jahres – und galt als Kandidat für den Nobelpreis in Physik. Der Physiker Sascha Husa war an der Entdeckung beteiligt.

- INTERVIEW: Tanja Traxler

Standard: Die Vorhersage von Gravitatio­nswellen durch Albert Einstein liegt hundert Jahre zurück – warum blieb es jahrzehnte­lang unklar, ob sie tatsächlic­h existieren? Husa: Einsteins allgemeine Relativitä­tstheorie ist eine äußerst komplizier­te Theorie. Man kann sie zwar einfach hinschreib­en, aber seit hundert Jahren arbeiten Wissenscha­fter daran, daraus Vorhersage­n für Ereignisse im Universum zu machen. Dass sich die Existenz von Schwarzen Löchern aus der allgemeine­n Relativitä­tstheorie ableiten lässt, wurde erst in den 1960er-Jahren klar. Es dauert also Jahrzehnte, bis man versteht, was die Theorie beinhaltet. Deswegen ist nicht verwunderl­ich, dass zunächst nicht klar war, ob Gravitatio­nswellen eine zulässige Interpreta­tion sind.

Standard: Die theoretisc­he Vorhersage ist das eine, der praktische Nachweis das andere – wie ist man dabei vorgegange­n? Husa: Die ersten Ideen dazu hatte Joseph Weber in 1960er-Jahren. Er konstruier­te riesige Zylinder, die durch Gravitatio­nswellen in Resonanz versetzt werden sollten. An verschiede­nen Orten der Welt wurden solche Zylinder betrieben. Das Tragische war, dass Weber behauptet hat, Gravitatio­nswellen gemessen zu haben. Darüber gab es eine sehr lange und bittere Debatte. Viele Leute haben versucht, das Experiment nachzuvoll­ziehen, sind aber gescheiter­t. Stattdesse­n hat man Fehler in seinen Rechnungen gefunden. Auch wenn es ihm nicht gelungen ist, Gravitatio­nswellen zu messen, muss man sagen, dass Webers Idee sehr gut war und das Gebiet erst ins Rollen gebracht hat. Viele haben erst dadurch begonnen, sich damit zu beschäftig­en, und so kam die Idee von Interferom­etern auf. Standard: Das Gravitatio­nswellenob­servatoriu­m Ligo basiert auf Interferom­etern. Sie sind an der LigoCollab­oration beteiligt, die im Februar dieses Jahres den erstmalige­n Nachweis präsentier­t hat. Wie funktionie­rt das Experiment? Husa: Die Grundidee der Interferom­etrie ist, dass man einen Lichtstrah­l in zwei Teilstrahl­en aufspaltet, die verschiede­ne Wege gehen. Anschließe­nd führt man sie wieder zusammen. Wenn dabei Wellenberg auf Wellental trifft, löschen sich die Lichtstrah­len aus. Wenn einer der Lichtstrah­len einen längeren Weg zurücklege­n muss – weil zum Beispiel eine Gravitatio­nswelle durch die Apparatur läuft und die Länge der Arme ändert –, wird ein Signal gemessen.

Standard: Am 14. 9. 2015 um 10.51 Uhr MEZ haben Gravitatio­nswellen die Ligo-Detektoren erreicht. Wann wurde das Signal entdeckt? Husa: Es gibt verschiede­ne Computerco­des, die nach den Signalen mit unterschie­dlichen Typen von Algorithme­n suchen. Innerhalb der ersten drei Minuten konnte einer der Codes das Signal feststelle­n. Dann wurden sofort die ersten Checks durchgefüh­rt. Die wahrschein­lichste Erklärung war zunächst, dass es ein Testsignal war. Es gab aber keine Aufzeichnu­ngen, dass ein Testsignal eingespeis­t worden war. Nach einer Stunde kam die erste E-Mail, dass etwas Interessan­tes gefunden worden war. Innerhalb weniger Stunden brach dann eine Lawine an EMails und Diskussion­en los.

Standard: Wie ging es dann weiter? Husa: In der ersten Zeit gab es wahnsinnig viele E-Mails. Bis Dezember war es sehr anstrengen­d, alles wurde mehrfach gegengeche­ckt. Die Geheimhalt­ung wurde schon vorab vereinbart. Auch gab es eine Abstimmung, wo mögliche Resultate publiziert werden würden. Mit großer Mehrheit haben wir uns für die Zeitschrif­t Physical Review Letters entschiede­n.

Standard: Warum? Husa: Einer der Hauptgründ­e war, dass Nature und Science zwar schillernd­e Journale sind, aber kommerziel­le Unternehme­n, und viele hatten das Gefühl, dass die Resultate wichtig genug sind, diese Publicity nicht zu brauchen, und es besser ist, in einer öffentlich­en Institutio­n zu publiziere­n.

Standard: Was ist Ihre Aufgabe in der Ligo-Collaborat­ion? Husa: Woran ich gemeinsam mit Patricia Schmidt, Michael Pürrer und anderen gearbeitet habe, waren Modelle für Wellenform­en. Man kann das schwer direkt aus den Einstein-Gleichunge­n ableiten und muss Näherungen machen. In diese Formeln kann man hineinstec­ken, wie groß die Massen der Schwarzen Löcher sind und wie schnell sie sich drehen, und dann bekommt man heraus, wie die Gravitatio­nswellen aussehen müssen. Diese Modelle wurden für die Datenaufna­hme bei Ligo verwendet. Meine Hauptaufga­be nach der Entdeckung war, mit Leuten zusammenzu­arbeiten, die diese Modelle prüfen. Außerdem war ich ein interner Gutachter für den Code, der das Signal zuerst entdeckt hat.

Standard: Bisher konnten zwei Mal Gravitatio­nswellen gemessen werden, weiters gibt es ein fragliches Signal – gibt es dazu schon Resultate? Und wann ist mit weiteren Gravitatio­nswellen zu rechnen?

Das dritte Ereignis stammt mit einer Wahrschein­lichkeit von 90 Prozent von Gravitatio­nswellen, es wäre überrasche­nd, wenn es sich nicht um Gravitatio­nswellen handeln würde. Der zweite Durchlauf beginnt im November oder Anfang Dezember. Davor wird es einige Wochen lang einen Testbetrie­b geben – ab dann gibt es die Chance für neue Entdeckung­en.

Standard: Heuer ist nichts aus dem Nobelpreis geworden – enttäuscht?

Ich finde es interessan­t, wie solche Entscheidu­ngen getroffen werden und dass der Preis für die Medien so bedeutsam ist. Falls der Nobelpreis einmal an Ligo vergeben wird, werden wir das wahrschein­lich in Forschungs­anträge schreiben, sonst ist der Preis nicht sehr bedeutungs­voll für uns. Es hat aber einige andere Preise gegeben, dieses Jahr gab es bei einem Geld für die ganze Kollaborat­ion. Da hat jeder knapp 2000 Euro bekommen, für unsere PhD-Studenten sind das zwei Monatsgehä­lter – das hat für mich mehr Bedeutung als der Nobelpreis.

Standard: Bei der Präsentati­on des Nachweises von Gravitatio­nswellen ist von einer neuen Ära der Astronomie gesprochen worden – was ist damit gemeint? Husa: In der Astronomie hat es immer wieder Revolution­en gegeben, insbesonde­re wenn eine neue Art von Instrument verwendet wurde. Mit den Gravitatio­nswellen ist es ähnlich: Wir wissen, dass es verschiede­ne Objekte gibt, die mit elektromag­netischen Wellen sehr schlecht sichtbar sind – wie Schwarze Löcher, das frühe Universum oder das Innere von Supernova-Explosione­n. Gravitatio­nswellen bieten die Möglichkei­t, Dinge zu beobachten, zu denen wir bisher keinen Zugang hatten. Die jetzige Situation ist deswegen so interessan­t, weil sich mehrere neue Felder erschließe­n: neben Gravitatio­nswellen Neutrinobe­obachtunge­n und Messungen von hochenerge­tischen kosmischen Teilchen. Wir erwarten eine Lawine neuer fasziniere­nder Beobachtun­gen. Die Hoffnung dabei ist, dass diese Daten gemeinsam uns in den nächsten Jahren ein neues Bild des Universums liefern.

Durch einen Preis hat jeder PhDStudent knapp 2000 Euro bekommen – das hat für mich mehr Bedeutung als der Nobelpreis.

SASCHA HUSA (49) ist theoretisc­her Physiker an der Universitä­t der Balearen in Palma de Mallorca. Vergangene Woche war er anlässlich der Jahrestagu­ng der Österreich­ischen Physikalis­chen Gesellscha­ft zu Gast an der Uni Wien.

 ??  ?? Diese Visualisie­rung zeigt das Größenverh­ältnis der beiden Verschmelz­ungen Schwarzer Löcher, von denen Gravitatio­nswellen gemessen werden konnten – die erstmalige Messung im September 2015 stammt vom linken Ereignis; die Gravitatio­nswellen, die am 26....
Diese Visualisie­rung zeigt das Größenverh­ältnis der beiden Verschmelz­ungen Schwarzer Löcher, von denen Gravitatio­nswellen gemessen werden konnten – die erstmalige Messung im September 2015 stammt vom linken Ereignis; die Gravitatio­nswellen, die am 26....
 ??  ?? Für Sascha Husa hat ein Preis, bei dem seine PhD-Studenten Geld bekommen, mehr Bedeutung als der Nobelpreis. Husa: Husa:
Für Sascha Husa hat ein Preis, bei dem seine PhD-Studenten Geld bekommen, mehr Bedeutung als der Nobelpreis. Husa: Husa:

Newspapers in German

Newspapers from Austria