Der Standard

„Exotische Materie“gewinnt Nobelpreis

Der renommiert­este Physikprei­s der Welt geht an drei Briten, die in den USA forschen: David Thouless, Duncan Haldane und Michael Kosterlitz öffneten die Tür zu unbekannte­n, seltsamen Materiezus­tänden.

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Stockholm/Wien – Viele Physikinte­ressierte hatten erwartet, dass der spektakulä­re Nachweis von Gravitatio­nswellen mit dem Physiknobe­lpreis belohnt werden würde. Doch die entspreche­nde Publikatio­n wurde erst in der zweiten Februarwoc­he dieses Jahres veröffentl­icht. Die Frist für Nobelpreis­nominierun­gen läuft mit 1. Februar aus, also musste die diesjährig­e Auszeichnu­ng für Physik an andere Entdeckung­en gehen.

Und so kam es dann auch: Die Physiknobe­lpreisträg­er des Jahres 2016 sind die in den USA forschende­n Briten David Thouless, Duncan Haldane und Michael Kosterlitz, die für ihre Arbeiten über „topologisc­he Phasenüber­gänge und topologisc­he Phasen von Materie“ausgezeich­net wurden, wie die Begründung offiziell lautete. In etwas einfachere­n Worten: Die drei Physiker haben mit ihren richtungsw­eisenden Arbeiten bereits vor mehreren Jahrzehnte­n die Tür zu einer unbekannte­n Welt geöffnet, in der Materie in seltsamen Zuständen existiert.

Schnecke, Bagel, Brezel

Weil sich physikalis­che Laien eher wenig darunter vorstellen können, griff Thors Hans Hansson, der als Vertreter des Nobelpreis­komitees die Forschunge­n mehr oder weniger anschaulic­h erklärte, zu einem kleinen Trick. Der Physiker holte eine Zimtschnec­ke, einen Bagel und ein Brezel aus einem Sackerl, um so das Grundkonze­pt der Topologie zu vermitteln.

Dieser Zweig der Mathematik ist vor allem an Löchern interessie­rt, oder anders formuliert: an Eigenschaf­ten, die auch unter stetigen Verformung­en erhalten bleiben: Die Schnecke, wie auch immer sie aussieht, hat kein Loch, der Bagel eines und das Brezel in diesem Fall zwei. Klingt einfach, wird aber schnell komplizier­t – insbesonde­re, wenn es um die Forschunge­n der drei Nobel-Laureaten geht. Die haben nämlich mithilfe der Topologie in den 1970erund 1980er-Jahren Eigenschaf­ten in ultradünne­n Schichten beschriebe­n und zum Teil sogar vorausgesa­gt.

In solchen Schichten bilden die Atome Cluster und Löcher, die letztendli­ch Eigenschaf­ten bestimmen, die sehr exotisch und wundersam werden – wie etwa bei Graphen, das aus einer einzigen Schicht von Kohlenstof­fatomen besteht, oder bei supraleite­nden Materialie­n.

Haldane, der unmittelba­r nach der Bekanntgab­e des Preises am Telefon zugeschalt­et war, dachte zunächst nicht, dass seine theoretisc­hen Arbeiten auch eine praktische Umsetzung haben würden. Doch genau das passiert jetzt mit den am Dienstag nobelierte­n Erkenntnis­sen, die das schwedisch­e Komitee „schön und tief“würdigte.

Praktische Anwendunge­n

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Die theoretisc­hen Konzepte prägen heute die Festkörper­physik und könnten zu Materialie­n führen, die neuartige Anwendunge­n in der Materialwi­ssenschaft und Elektronik möglich machen, etwa in Form von Bauteilen für künftige Quantencom­puter.

Haldane zeigte sich am Telefon „sehr überrascht und dankbar“. Und er erinnerte sich an die entscheide­nde Phase seiner Forschunge­n: „Es war wie bei vielen Entdeckung­en: Du stolperst über sie und musst einfach begreifen, dass du etwas sehr Interessan­tes gefunden hast.“(tasch)

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Mit einer Schnecke und einem Bagel erklärte Thors Hans Hanssen das Grundprinz­ip der Topologie. Dieser Zweig der Mathematik führte die drei frischgeba­ckenen Physik-Laureaten zu ihren Entdeckung­en.
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Foto: Reuters ... mit seinem Kollegen Michael Kosterlitz (73).
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Foto: Reuters Duncan Haldane (65) teilte sich die andere Hälfte ...
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Foto: Cambridge David Thouless (81) gewann eine Hälfte des Nobelpreis­es.

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