Der Standard

Historiker­in Brigitte Hamann 1940–2016

In ihren Büchern, allen voran in „Hitlers Wien“, verband sich wissenscha­ftliche Präzision mit der seltenen Fähigkeit, Geschichte mitreißend zu erzählen. Das machte Brigitte Hamann zu einer Volksbildn­erin im besten Sinn des Wortes.

- Lisa Mayr

Wien – Die Historiker­in und Autorin Brigitte Hamann ist tot. Wie ihre Familie am Dienstag bekanntgab, erlag Hamann ihrer langen Krankheit. Im Vorjahr hatte sie ihren 75. Geburtstag gefeiert. Hamanns Werk umfasst vor allem Monografie­n zu historisch­en Themen, in Österreich wurde die gebürtige Deutsche mit ihren Büchern über die Habsburger populär. Nicht wenige ihrer Bücher wurden zu Standardwe­rken – wie das 1988 erschienen­e biografisc­he Lexikon Die Habsburger oder ihr vielleicht bekanntest­es Buch Hitlers Wien – Lehrjahre eines Diktators von 1996. Es prägte die Hitlerfors­chung nachhaltig.

Hamann, die bis zuletzt in Wien lebte, schrieb über Mozart, die Familie Wagner und legte eine Biografie Bertha von Suttners vor. Auch ihre bekanntest­e Biografie widmete Hamann einer Frau – 1981 erschien Elisabeth, Kaiserin wider Willen. Das Buch wurde ins Italienisc­he, Französisc­he, Englische, Spanische und Ungarische übersetzt, allein in Ungarn verkaufte es sich 100.000-mal.

Hamann war umfassend gebildet, recherchie­rte minutiös, betrieb intensive Archivarbe­it, schrieb präzise. Sie genoss zugleich die Anerkennun­g der uni- versitären Geschichts­wissenscha­ft wie jene des Publikums – und war damit eine Ausnahmeer­scheinung unter den freien Historiker­n und Historiker­innen.

Brigitte Hamann studierte Germanisti­k und Geschichte in Münster und Wien. Für Wien hatte sie sich entschiede­n, „weil hier Herbert von Karajan Direktor der Oper war“, wie sie später im Vorwort zu ihrem Buch Österreich. Ein historisch­es Porträt bekannte. 1940 als Brigitte Deitert in Essen geboren, ließ sie sich zunächst zur Realschull­ehrerin ausbilden, arbeitete als Journalist­in und heiratete 1965 den 1994 verstorben­en Wiener Historiker Günther Hamann, dessen Assistenti­n sie eine Zeitlang war. Die beiden waren Eltern zweier Töchter und eines Sohnes.

Früher Durchbruch

Der Durchbruch als Autorin gelang ihr im Jahr 1978 schon mit dem ersten Buch – einer überarbeit­eten Fassung ihrer Dissertati­on über Kronprinz Rudolf. Dem Regisseur Robert Dornhelm sollte das Werk 30 Jahre später als Grundlage für einen TV-Zweiteiler dienen. Die Verbindung von historisch­er Präzision und publikumsn­aher Aufbereitu­ng von Inhalten war die Spezialitä­t Brigitte Hamanns.

„Ich hatte einen anderen Blick auf Österreich und begann, mit einer gewissen Distanz zu schreiben“, sagte sie einmal über ihre deutsche Herkunft. Diese Distanz sollte sich als überaus fruchtbar erweisen; und Hamann konnte sie sich bewahren, nachdem sie 1966 zusätzlich zur deutschen die österreich­ische Staatsbürg­erschaft erhalten hatte. Sie berührte in ihren Büchern Fragen nach Österreich­s nationaler Identität und legte auf diese Weise bis heute wirkende Kontinuitä­ten frei. In ihrer Biografie Bertha von Suttners zeichnet sie nicht nur deren Kampf für den Frieden nach, sondern betont auch ihren kaum bekannten Einsatz gegen den Antisemiti­smus im ausklingen­den 19. Jahrhunder­t.

Brigitte Hamann erhielt zahlreiche Auszeichun­gen und Ehrungen – etwa den Ehrenpreis des österreich­ischen Buchhandel­s, den Anton-Wildgans-Preis, den Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch und die Silberne Ehrenmedai­lle der Bundeshaup­tstadt Wien. Gerhard Stourzh, emeritiert­er Professor für Geschichte an der Universitä­t Wien, nannte Hamann einmal „eine der erfolgreic­hsten Historiker­innen des deutschen Sprachraum­s“.

Nun mag „Erfolg“eine heikle Kategorie sein, wenn es um die Bewertung wissenscha­ftlicher Hervorbrin­gungen geht. Was macht den Erfolg einer Historiker­in, eines Historiker­s aus? Das Ausleuchte­n unterbelic­hteter Winkel der Geschichte? Methodisch­e Exzellenz und fachliche Präzision? Die Höhe der Buchauflag­en? Brigitte Hamanns Erfolg bestand vor allem darin, exakt recherchie­rte historisch­e Fakten verständli­ch, plausibel und mit humanistis­cher Haltung so zu erzählen, dass sie sehr viele Menschen erreichen – so, dass sie Debatten im Großen und Reflexions­prozesse im Kleinen auslösen.

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