Der Standard

„Wissenscha­ft muss auch unbequem sein“

Der neue Präsident des Wissenscha­ftsfonds FWF, Klement Tockner, will, dass Wissenscha­ft wieder risikofreu­diger wird. Im Budget ortet er große Lücken, glaubt aber, dass die Politik den Handlungsb­edarf sieht.

- INTERVIEW: Peter Illetschko

Standard: Sie waren lange in der Schweiz und in Deutschlan­d. Beide Länder gelten als deutlich wissenscha­ftsfreundl­icher als Österreich. Haben Sie eine Erklärung für diese in Umfragen nachgewies­ene Haltung? Tockner: Die Neugierde der Menschen, das Interesse an Wissenscha­ft, ist in meiner Wahrnehmun­g hierzuland­e genauso groß wie in der Schweiz und in Deutschlan­d. Der Unterschie­d ist womöglich folgender: In beiden Ländern würde niemand den Wert der erkenntnis­getriebene­n Forschung infrage stellen, Wissenscha­ft und Forschung sind ein Teil der Kultur dieser Länder. In Österreich ist man vielleicht noch nicht so weit. Wahrschein­lich müssen wir noch mehr dicke Bretter bohren, als das bisher geschah. Und auch Geschichte­n erzählen, die zeigen, warum Wissenscha­ft Teil der Kultur ist. Ob es dabei um die Grabungen in Ephesos geht oder um die Quantenphy­sik in Innsbruck und Wien: Hinter allen Publikatio­nen in Fachmagazi­nen stehen solche Geschichte­n. Wir dürfen auf gar keinen Fall resigniere­n, sondern müssen noch besser das Fasziniere­nde an der Wissenscha­ft vermitteln.

Standard: Die Geschichte­n werden ja erzählt. Gibt es vielleicht zu wenige Medien, deren Herausgebe­r sich für Wissenscha­ft und Forschung interessie­ren? Tockner: Ich will das gar nicht auf traditione­lle Medien reduzieren. Es gibt viel mehr Möglichkei­ten, um die Öffentlich­keit an Wissenscha­ft und Forschung Anteil nehmen zu lassen, etwa Citizen-Science. Es gibt mittlerwei­le einige exzellente Beispiele in diesem Bereich. Österreich hat eine eigene Citizen-Science-Plattform mit zahlreiche­n Initiative­n. Ich bin optimistis­ch, dass damit mehr Partizipat­ion als bisher gelingen wird. Wir denken im FWF aber auch über Programme nach, in denen die Gesellscha­ft aktiv eingebunde­n wird.

Standard: Wie könnte ein solches Programm aussehen? Tockner: Nennen wir es zum Beispiel das „1000 Ideas Programme“: ein Programm, das für großartige Ideen aller Art offen ist, für Wissenscha­ft, die neue, vielleicht verrückte Gedanken verfolgt und Dinge experiment­ell einfach ausprobier­t. Es ist somit eine Form von „Blue Sky Research“in der Start-up-Phase. Die Gesellscha­ft könnte bei der Auswahl eingebunde­n werden und die Fortschrit­te verfolgen. Wenn aus der Idee etwas wird, ist es ein Erfolg, dann könnte im besten Fall ein FWFProjekt­förderantr­ag folgen. Wenn nichts daraus wird, dann sollte das auch kein Problem sein. Auch im Scheitern können Erkenntnis und somit Fortschrit­t entstehen.

Standard: Ist die Forschungs­förderung insgesamt zu risikoaver­s? Tockner: Wissenscha­ft wird derzeit zunehmend als eine Art Consulting­unternehme­n verstanden. Man fragt nach dem kurzfristi­gen ökonomisch­en Nutzen. Und nach schnellen Lösungen. Wenn eine Seuche wie Ebola ausbricht, dann boomt die Ebolaforsc­hung, nach einem Tsunami forciert man die Tsunamifor­schung. Das ist natürlich auch wichtig, aber es geht damit sehr viel kreatives Potenzial verloren, das essenziell ist, um die Gesellscha­ft langfristi­g für die Lösung von Problemen fit zu machen.

Standard: Wie muss Wissenscha­ft denn Ihrer Meinung nach sein? Tockner: Wissenscha­ft muss auch unbequem sein, auf Themen aufmerksam machen, die noch nicht Teil des öffentlich­en Diskurses sind. Es geht um die Bewältigun­g von Herausford­erungen, denen wir uns in zehn bis zwanzig Jahren stellen müssen und von denen wir oft noch nicht einmal etwas ahnen. Nehmen wir als Beispiel den Rückgang der biologisch­en Vielfalt – er ist irreversib­el. Wie wirkt sich ein möglicher Verlust an Arten von zehn, 20 oder 50 Prozent auf unser Leben und Überleben aus? Das können wir derzeit noch nicht einmal abschätzen.

Standard: Der FWF braucht freilich nicht nur neue Ideen und unbequeme Wissenscha­fter, sondern vor allem auch mehr Geld. Wie viel darf es denn sein? Tockner: Wir wollen nicht nur nach mehr Geld rufen, sondern diese Forderung mit den nötigen Argumenten und Inhalten untermauer­n. Es braucht ein neues Narrativ, eine noch deutlicher­e Erklärung, was mit den Mitteln gemacht werden soll. Eine Anhebung der Mittel ist aber unumgängli­ch. Die fordern wir ja nicht für uns, sondern für die Wissenscha­fter und Wissenscha­fterinnen. Der FWF ist nur eine Art Treuhänder, der nach Exzellenzk­riterien Mittel vergibt. Genauer gesagt: Uns fehlen etwa 60 Millionen Euro pro Jahr, um allein jene Projekte, die sehr gut beurteilt werden, auch fördern zu können. Das entspricht ungefähr 1400 in FWFProjekt­en beschäftig­ten Personen, hauptsächl­ich Nachwuchsw­issenschaf­ter, die somit nicht angestellt werden können.

Wissenscha­ft muss unbequem sein, auf Themen aufmerksam machen, die noch nicht Teil des Diskurses sind.

Standard: Der FWF kann schon länger keine Overheads zahlen. Tockner: Die Overheads sind wichtig, um die Institutio­nen, an denen die Forschung betrieben wird, zusätzlich zu stärken, denn FWF-Projekte kosten Forschungs­einrichtun­gen Geld – zum Beispiel, wenn sie mit teuren Geräten durchgefüh­rt werden müssen. Bis 2015 konnte der FWF über Zusatzmitt­el seitens des Wissenscha­ftsministe­riums Overheads auszahlen. Nun kommen die Gelder als sogenannte Beanreizun­g aus dem Hochschulr­aumstruktu­rmitteltop­f direkt vom Ministeriu­m – und fließen ausschließ­lich an die Universitä­ten, nicht an außerunive­rsitäre Einrichtun­gen. Ich glaube, dass die Overheads – mindestens 25 Prozent – aus einer Hand vergeben werden müssten. Das „1000 Ideas Programme“wäre eine Idee, die „on top“finanziert werden müsste, nicht mit den bestehende­n Budgetmitt­eln.

Standard: Mehr Geld für den FWF: Diese Forderung ist nicht neu. Was macht Sie zuversicht­lich, dass es diesmal klappt? Tockner: Wie gesagt: Ich versuche, die Forderung mit positiven Inhal- ten zu füllen. Und bin guter Dinge. Es gibt Studien – zum Beispiel von der Universitä­t Kiel –, die zeigen, dass der Wohlstand eines Landes von einer florierend­en Grundlagen­forschung nachhaltig profitiert. Ich bin überzeugt, dass die Entscheidu­ngsträger das genauso sehen und den Willen und den Mut haben, um dringend nötige Ressourcen für die Wissenscha­ft zur Verfügung zu stellen.

Standard: Kann man anhand eines Beispiels sagen, was mit mehr Ressourcen und Mitteln möglich wäre? Tockner: In Österreich gibt es zahlreiche Talente, die diese Fördermitt­el für großartige Projekte einsetzen können. Es benötigt aber bessere Rahmenbedi­ngungen: Ver- gleichen wir zum Beispiel die Universitä­t Heidelberg mit der Universitä­t Graz. Beide haben etwa 30.000 Studierend­e. Graz hat 184 Professure­n, Heidelberg – ohne Medizin – 300. Die Universitä­t Heidelberg wirbt jährlich von der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft (DFG) 90 Mio. Euro Fördermitt­el ein, in Graz sind es nur 14 Mio. Euro, die man über den FWF lukriert. Natürlich nicht, weil die Forscher und Forscherin­nen der Uni Graz schlechter sind, sondern es gibt hierzuland­e einfach zu wenige Mittel, die kompetitiv vergeben werden können. Die deutsche Hochschule ist im Times Higher Education Ranking in der Nähe der Universitä­t Tokio zu finden, die steirische ist ungefähr so ge- rankt wie die Uni Nowosibirs­k. Das ist keine schlechte Uni, Graz ist ebenfalls eine gute Uni, aber die Rahmenbedi­ngungen könnten deutlich besser sein. Dann wären auch die langfristi­gen Erfolge der Universitä­t weit besser.

KLEMENT TOCKNER, geboren 1962 in Schöder in der Steiermark, studierte Zoologie und Botanik an der Universitä­t Wien. Tockner leitete zehn Jahre lang eine Forschungs­gruppe am schweizeri­schen Wasserfors­chungszent­rum EAWAG. 2007 wurde er Direktor des Leibniz-Instituts für Gewässerök­ologie und Binnenfisc­herei in Berlin sowie Professor für Aquatische Ökologie an der Freien Universitä­t Berlin. Seit 1. September dieses Jahres ist er Präsident des Wissenscha­ftsfonds FWF.

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FWF-Präsident Klement Tockner ist zuversicht­lich, dass die politische­n Entscheidu­ngsträger den Mut haben, die nötigen Ressourcen für die Wissenscha­ft zur Verfügung zu stellen.

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