Der Standard

IAEA: Ein Forschungs­projekt zum Geburtstag

Die Gründung der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde inmitten des Kalten Kriegs war eine große Leistung. Nun wird sie vom Institut für Zeitgeschi­chte an der Universitä­t Wien beforscht.

- Gudrun Harrer

Wien – Am 23. Oktober 1956 – das heißt vor sechzig Jahren – wurden im Uno-Hauptquart­ier in New York nach fünfwöchig­en Verhandlun­gen die Statuten der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde (IAEA) angenommen: nicht nur gleich in deren Artikel 1, sondern fortan im täglichen Gebrauch von Insidern „the Agency“genannt. Für Außenseite­r blieb sie oft die sperrige Aneinander­reihung von Vokalen, deren Aufgabe unklar oder sogar umstritten war – auch in Wien, wo das IAEAHauptq­uartier angesiedel­t wurde.

Das zeigt etwa eine ORF-Doku aus dem Jahr 1970, in der die Agency so richtig schön lächerlich gemacht wird: Tonnen unnützen Papiers, gelangweil­te Herren, Sekretärin­nen, die den Job bekommen, weil’s der Papa gerichtet hat, zollfreier Einkauf im „Commissary“und ganz, ganz viel Party. Was es bedeutete – auch für sein eigenes Wohlergehe­n –, dass sich die USA und die Sowjetunio­n mitten im Kalten Krieg darauf verständig­en hatten können, dass ihr globaler Hegemonial­streit besser nicht auszutrage­n sei, indem sie ihren Klienten Zugang zu Atomwaffen verschafft­en, das war dem Redakteur entgangen.

Die IAEA war ein Produkt der Einsicht, dass es ein internatio­nales Instrument braucht, die zivile und die militärisc­he Nutzung des Atoms zu trennen. Dass das dann doch nicht immer gelang, dass auch die zivile Nutzung heute für viele ein rotes Tuch ist – und natürlich auch, dass Bürokratie­n so ihr Eigenleben haben –, ist eine andere Geschichte.

Utopische Träume

Es war eine ganz andere Zeit. Trotz des Schreckens der Bomben von Hiroshima und Nagasaki gab es kaum Zweifel an der gloriosen Zukunft des „friedliche­n Atoms“: Atombetrie­bene Autos und Flugzeuge, Strom, der so billig sein würde, dass er für Privathaus­halte nicht einmal mehr berechenba­r wäre, erblühende Wüsten durch mit Nukleartec­hnologie entsalztes Meerwasser, das alles malten sich die Atom-Visionäre aus. Auch die programmat­ische Rede, die USPräsiden­t Dwight D. Eisenhower am 8. Dezember 1953 vor der UnoVollver­sammlung hielt und in der er die Schaffung einer neuen Organisati­on vorschlug, bekam den Namen „Atoms for Peace“.

Geburtstag­sgeschenk

Sowohl diese Rede als auch das ORF-Filmchen und anderes mehr werden nun rund um den 60. Jahrestag – die 1956 beschlosse­nen Statuten traten am 29. Juli 1957 in Kraft – der (englisch sprechende­n) Öffentlich­keit geschenkt. Das 2011 gestartete „IAEA History Research Project“ist unter der Leitung von Elisabeth Röhrlich am Institut der Zeitgeschi­chte der Universitä­t Wien (Oliver Rathkolb) angesiedel­t, gefördert vom Wissenscha­ftsfonds FWF und anderen Institutio­nen und stellt online Materialen zur Verfügung (Link am Ende des Artikels). Es handelt sich um „Work in Progress“, die Texte sind einfach und erklärend, das Zielpublik­um ist ganz klar ein allgemeine­s.

Besonders fasziniere­ndes Material liefert der „Oral History“-Teil, die Zeitzeugen-Interviews, auch unter anderem mit den beiden Generaldir­ektoren vor dem jetzigen, dem Japaner Yukiya Amano. Da Hans Blix, der 1997 an Mohamed ElBaradei übergab, sein Amt 1981 antrat, sind damit fast drei Jahrzehnte abgedeckt, in die von der Reaktorkat­astrophe in Tschernoby­l über die Krise der IAEA nach der Entdeckung des irakischen Atomprogra­mms 1991 bis zum Friedensno­belpreis 2005 so ziemlich alles an Ereignisse­n fällt, was die Agency heute ausmacht.

Dabei geht es natürlich nicht nur um die IAEA-Institutio­nsgeschich­te an sich, sondern um die Vergangenh­eit und Zukunft von „global governance“, der Weltordnun­g: des Versuchs für Probleme, die sich nicht durch Landesgren­zen einfangen lassen, multilater­ale Lösungen zu erarbeiten.

Widerspruc­h

Der Widerspruc­h des Auftrags der Agency wurde früh diagnostiz­iert und auch immer wieder gegen sie verwendet: Nukleartec­hnologie zu promoten und ihre negativen Folgen zu kontrollie­ren.

Natürlich handelt es sich beim „IAEA History Research Project“auch um ein Stück österreich­ischer Zeitgeschi­chte: Vielleicht ist ja die Gelegenhei­t gekommen, sich auch das zwiespälti­ge Ver- hältnis der Wiener zur Rolle ihrer Stadt als Heimat von internatio­nalen Organisati­onen, nicht nur der IAEA, genauer anzusehen. Wien hatte, als es die Agency 1957 „bekam“, mit drei anderen Städten zu konkurrier­en: Genf, Kopenhagen und Rio de Janeiro.

Neutrales Österreich

Die Hauptstadt eines neutralen Landes war sowohl für Moskau als auch für Washington akzeptabel. Und die Regierung von „Staatsvert­ragskanzle­r“Julius Raab bemühte sich um einen neuen Platz Österreich­s in der internatio­nalen Gemeinscha­ft.

Die Neutralitä­t war auch deshalb ein Faktor, weil als eine der Aufgaben der neuen Agentur eigentlich vorgesehen war, dass sie Depotund Transit-Ort für größere Mengen spaltbaren Materials sein sollte. Dass etwas, das heute Proteststü­rme hervorrufe­n würde, damals überhaupt kein Thema war, zeigt, wie sehr sich die Zeiten geändert haben. Spannend ist jedoch, dass die frühe Idee einer Art internatio­naler Bank für Uran oder Plutonium, die nie umgesetzt wurde, heute wieder aufgegriff­en wird. So könnte die Zahl der Staaten, die spaltbares Material herstellen, reduziert werden. Der Idee der Schaffung der IAEA waren etliche ande- re Initiative­n vorangegan­gen, noch zur Zeit, als lediglich die USA über „die Bombe“verfügten. Als Eisenhower sprach, waren es schon drei Atomwaffen­staaten, neben der Sowjetunio­n war Großbritan­nien dazugekomm­en. Frühe Vorstellun­gen, dass Verstöße gegen das zu erstellend­e Regelwerk geahndet werden könnten, hatten keine Chancen, es war schon schwer genug, sich auf ein minimales „Safeguards“-System zu einigen. Was in einem Staat kontrollie­rt werden durfte, war, auch nach der Errichtung des Atomwaffen­sperrvertr­ags (NPT), minimal.

Weckruf Irak

Der Weckruf war der Fall Irak, der – abseits der offizielle­n Zusammenar­beit mit der IAEA – in den 1980er-Jahren ein geheimes Urananreic­herungspro­gramm, mit dem Ziel, eine Atombombe zu bauen, entwickelt hatte. Die IAEA wurde als naiv kritisiert, die Inspektion­en danach auf neue rechtliche Grundlagen gestellt. Auch die Verifikati­ons- und Überwachun­gstechnolo­gien machten enorme Fortschrit­te, eine völlig neue aggressive Inspektion­skultur entstand: Dem nuklearen „Watchdog“waren Zähne gewachsen. p http://iaea-history.univie.ac.at/

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Präsident Eisenhower versprach, das „atomare Dilemma“lösen zu wollen, und schlug 1953 die Gründung der IAEA vor. Erster Direktor war Sterling Cole (USA, 1957–61), es folgten die Schweden Sigvard Eklund (bis 1981) und Hans Blix (bis 1997, Bild links),...
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Der derzeitige Generaldir­ektor der „Agency“ist der Japaner Yukiya Amano. Er übernahm den Posten im Dezember 2009, befindet sich in seiner zweiten Amtsperiod­e und wird für eine dritte gehandelt. In seine Zeit fällt die Katastroph­e von Fukushima.
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