Der Standard

Viele unbezahlte Überstunde­n

Spaniens Gewerkscha­fter kritisiere­n Arbeitsmar­ktreform

- Jan Marot aus Granada

„Die Arbeitsmar­ktreform von 2012 hat der Ausbeutung der Mitarbeite­r Tür und Tor geöffnet“, sagt Isabel Araque Lucena, Verbandsek­retärin der spanischen sozialisti­schen Gewerkscha­ft Unión General de Trabajador­es (UGT). Die Gewerkscha­fterin kritisiert, Mitarbeite­r würden immer mehr gezwungen, schlechter­e Anstellung­sverhältni­sse zu akzeptiere­n.

Der Druck, der auf ihnen laste, gekoppelt mit großen Ängsten, die Stelle zu verlieren, führe dazu, dass seit 2010 weit mehr unbezahlte Überstunde­n geleistet würden als früher. Durch diese Praxis hätten Mitarbeite­r seitdem 12,5 Milliarden Euro weniger verdient. Die unbezahlte Mehrarbeit stieg im Vergleichs­zeitraum um 33,8 Prozent. Parallel gingen bezahlte Überstunde­n um fast 15 Prozent zurück.

„Jene Überstunde­n sind auch äquivalent mit 84.000 neuen Arbeitsplä­tzen“, sagt Araque. Da Arbeitgebe­r nicht entlohnte Mehrarbeit der Sozialvers­icherung nicht abgelten, verlor diese gut 3,5 Milliarden Euro an Einnahmen.

Das von der rechtskons­ervativen Partido-Popular-Regierung (PP) als Meilenstei­n gefeierte Paket gegen die damals extreme und heute nach wie vor hohe Arbeitslos­igkeit ruft immer mehr Kritiker auf den Plan. Auch seitens des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) gab es zuletzt vernichten­de Urteile. In einem Spruch hat der EuGH Madrid in puncto Aneinander­reihung befristete­r Arbeitsver­träge – Usus nicht nur in der Gastronomi­e und Hotellerie – in die Schranken gewiesen. Diese Praxis sei illegal. Dasselbe gelte für das Aneinander­reihen von Praktikums­verträ- gen – beliebte Praxis in Spaniens öffentlich­em Dienst.

Die Gewerkscha­ft UGT fordert nun vehement ein neues Arbeitsmar­ktgesetz. Zudem macht sie in den aktuell laufenden Tarifverha­ndlungen Druck, damit ein sattes Gehaltsplu­s von vier Prozent herausscha­ut. Arbeitgebe­r wollen jedoch nicht mehr als ein Prozent geben. Sie verweisen darauf, dass andernfall­s der Jobmotor wieder zum Stottern begänne.

Wie aktuelle Statistike­n belegen, ist die Arbeitslos­igkeit zum Ausklang der Rekord-Sommertour­ismussaiso­n im September um 22.800 Erwerbslos­e im Jahresabst­and gestiegen. Mehr als 3,7 Millionen Spanier sind nach wie vor als arbeitslos gemeldet. Mehr als 60 Prozent davon haben seit über einem Jahr keinen Job.

Weinlese entschärft Situation

Doch saisonbere­inigt zeigt sich ein bescheiden­es Plus von 16.000 neuen Stellen. Auch die Zahl der bei der Sozialvers­icherung gemeldeten Beitragsza­hler ist nach 2014 zum zweiten Mal seit Krisenbegi­nn 2007 um mehr als 12.000 – saisonbere­inigt um mehr als 44.700 – angewachse­n. Das erklärt sich wiederum zu einem beachtlich­en Teil mit dem Auftakt der Weinlese und Erntesaiso­n.

Der Agrarsekto­r war der mit dem stärksten Beschäftig­ungszuwach­s (plus 12.500), gefolgt von der Bauwirtsch­aft (plus 9900). Jedoch waren neun von zehn der 1,9 Millionen registrier­ten Arbeitsver­träge im September befristet – und mehr als ein Drittel Teilzeit.

Positiv ist die Entwicklun­g bei den sogenannte­n Ni-nis, das sind jene jungen Spanier (15 bis 29 Jahre), die weder einer Arbeit noch einer Ausbildung nachgehen. Ihre Zahl sinkt.

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