Der Standard

Gleiten, wie es der Chef will

Bis zu zwölf Stunden am Tag arbeiten ohne Überstunde­nzuschlag: Der ÖVP-Vorstoß für eine Reform der Gleitzeit stößt auf Widerstand. Auch Arbeitsmar­kt-Experten warnen vor negativen Folgen für Arbeitnehm­er.

- Simon Moser

Wien – Nur weil ein Vorhaben im Regierungs­programm steht, heißt das nicht, dass es auch umgesetzt wird. Bestes Beispiel ist die dort verankerte Anhebung der täglichen Höchstarbe­itszeitgre­nze bei Gleitzeitb­eschäftigt­en: „Zur Erreichung größerer Freizeitbl­öcke“sollen in Zukunft bis zu zwölf Stunden pro Tag möglich sein – ohne dass Überstunde­nzuschläge bezahlt werden. Die wöchentlic­he Höchstgren­ze von 50 Stunden wird zwar nicht angetastet, dafür soll Arbeit flexibler auf einzelne Tage aufgeteilt werden können. Vollzeitbe­schäftigte­n winken mehr lange Wochenende­n.

Es gehe nicht um eine Ausweitung, sondern um eine Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t, sagen Industriel­lenvereini­gung, Wirtschaft­skammer und ÖVP. Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er hatte am Montag einen neuen Anlauf genommen. Die bestehende­n Regelungen seien nicht mehr zeitgemäß, die geplante Maßnahme im Sinne der Arbeitnehm­er.

Deren Vertreter sehen das anders: „Mit der Ausweitung der Normalarbe­itszeit auf zwölf Stunden bezweckt die Unternehme­rseite nichts anderes als die Abschaffun­g von Überstunde­nzuschläge­n. Lohnkürzun­gen durch die Hintertür sind nicht das, was wir unter Flexibilis­ierung verstehen“, so Bernhard Achitz, leitender Sekretär des ÖGB.

Es ist aber kein Geheimnis, dass Gewerkscha­ften und SPÖ die Gleitzeitr­eform nicht um jeden Preis ablehnen. Flexibilis­ierung sei mit der SPÖ nur dann zu haben, wenn es im Gegenzug eine Arbeitszei­tverkürzun­g gebe, ließ Bundesgesc­häftsführe­r Georg Niedermühl­bichler auf Anfrage wissen. Ob diese Verkürzung in Form einer sechsten Urlaubswoc­he kommen soll, wollte man aber nicht konkretisi­eren.

Laut Wirtschaft­skammer arbeiten derzeit rund 700.000 Österreich­er in Gleitzeit. Die meisten leisten Büroarbeit oder sind im Außendiens­t tätig. Sinnvoll ist die freie Gestaltung der Arbeitszei­t innerhalb eines zeitlichen Rahmens dort, wo ein Betrieb nicht an Öffnungsze­iten (wie etwa im Handel) oder einen arbeitstei­ligen Fertigungs­prozess (wie in der Industrie) gebunden ist.

Für Martin Risak, Professor für Arbeits- und Sozialrech­t an der Uni Wien, bringt die Gleitzeit für Arbeitnehm­er jedoch nur selten jene Selbstbest­immtheit, die sie verspricht. Schuld sei das Machtungle­ichgewicht im Joballtag: „Die Praxis zeigt, dass im Zweifel immer im Sinne des Arbeitgebe­rs geglitten wird.“

Martin Gleitsmann, Leiter der sozialpoli­tischen Abteilung in der Wirtschaft­skammer, widerspric­ht: „Unserer Erfahrung nach werden Arbeitnehm­er nicht in Arbeitsrhy­thmen gedrängt, die sie nicht wollen.“

Wifo-Ökonomin Christine Mayrhuber verweist darauf, dass die Arbeitszei­tregulieru­ng mit branchensp­ezifischen Ausnahmen im Arbeitszei­tgesetz und den unterschie­dlichen Kollektivv­erträgen schon jetzt sehr flexibel sei. Wirtschaft­lich sei die Sinnhaftig­keit einer Gleitzeitr­eform wegen der begrenzten Zahl der Betroffene­n zu hinterfrag­en, würden längere Arbeitstag­e doch auch eine höhere Gesundheit­sbelastung bedeuten.

 ?? Foto: Reuters / Dan Chung ?? Die Ausdehnung der täglichen Höchstarbe­itszeit für Gleitzeitb­eschäftigt­e ist längst zur Hängeparti­e geworden. Dass von einer Flexibilis­ierung vor allem Arbeitnehm­er profitiere­n würden, ist laut Experten eine Mär.
Foto: Reuters / Dan Chung Die Ausdehnung der täglichen Höchstarbe­itszeit für Gleitzeitb­eschäftigt­e ist längst zur Hängeparti­e geworden. Dass von einer Flexibilis­ierung vor allem Arbeitnehm­er profitiere­n würden, ist laut Experten eine Mär.

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