Gleiten, wie es der Chef will
Bis zu zwölf Stunden am Tag arbeiten ohne Überstundenzuschlag: Der ÖVP-Vorstoß für eine Reform der Gleitzeit stößt auf Widerstand. Auch Arbeitsmarkt-Experten warnen vor negativen Folgen für Arbeitnehmer.
Wien – Nur weil ein Vorhaben im Regierungsprogramm steht, heißt das nicht, dass es auch umgesetzt wird. Bestes Beispiel ist die dort verankerte Anhebung der täglichen Höchstarbeitszeitgrenze bei Gleitzeitbeschäftigten: „Zur Erreichung größerer Freizeitblöcke“sollen in Zukunft bis zu zwölf Stunden pro Tag möglich sein – ohne dass Überstundenzuschläge bezahlt werden. Die wöchentliche Höchstgrenze von 50 Stunden wird zwar nicht angetastet, dafür soll Arbeit flexibler auf einzelne Tage aufgeteilt werden können. Vollzeitbeschäftigten winken mehr lange Wochenenden.
Es gehe nicht um eine Ausweitung, sondern um eine Flexibilisierung der Arbeitszeit, sagen Industriellenvereinigung, Wirtschaftskammer und ÖVP. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner hatte am Montag einen neuen Anlauf genommen. Die bestehenden Regelungen seien nicht mehr zeitgemäß, die geplante Maßnahme im Sinne der Arbeitnehmer.
Deren Vertreter sehen das anders: „Mit der Ausweitung der Normalarbeitszeit auf zwölf Stunden bezweckt die Unternehmerseite nichts anderes als die Abschaffung von Überstundenzuschlägen. Lohnkürzungen durch die Hintertür sind nicht das, was wir unter Flexibilisierung verstehen“, so Bernhard Achitz, leitender Sekretär des ÖGB.
Es ist aber kein Geheimnis, dass Gewerkschaften und SPÖ die Gleitzeitreform nicht um jeden Preis ablehnen. Flexibilisierung sei mit der SPÖ nur dann zu haben, wenn es im Gegenzug eine Arbeitszeitverkürzung gebe, ließ Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler auf Anfrage wissen. Ob diese Verkürzung in Form einer sechsten Urlaubswoche kommen soll, wollte man aber nicht konkretisieren.
Laut Wirtschaftskammer arbeiten derzeit rund 700.000 Österreicher in Gleitzeit. Die meisten leisten Büroarbeit oder sind im Außendienst tätig. Sinnvoll ist die freie Gestaltung der Arbeitszeit innerhalb eines zeitlichen Rahmens dort, wo ein Betrieb nicht an Öffnungszeiten (wie etwa im Handel) oder einen arbeitsteiligen Fertigungsprozess (wie in der Industrie) gebunden ist.
Für Martin Risak, Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Uni Wien, bringt die Gleitzeit für Arbeitnehmer jedoch nur selten jene Selbstbestimmtheit, die sie verspricht. Schuld sei das Machtungleichgewicht im Joballtag: „Die Praxis zeigt, dass im Zweifel immer im Sinne des Arbeitgebers geglitten wird.“
Martin Gleitsmann, Leiter der sozialpolitischen Abteilung in der Wirtschaftskammer, widerspricht: „Unserer Erfahrung nach werden Arbeitnehmer nicht in Arbeitsrhythmen gedrängt, die sie nicht wollen.“
Wifo-Ökonomin Christine Mayrhuber verweist darauf, dass die Arbeitszeitregulierung mit branchenspezifischen Ausnahmen im Arbeitszeitgesetz und den unterschiedlichen Kollektivverträgen schon jetzt sehr flexibel sei. Wirtschaftlich sei die Sinnhaftigkeit einer Gleitzeitreform wegen der begrenzten Zahl der Betroffenen zu hinterfragen, würden längere Arbeitstage doch auch eine höhere Gesundheitsbelastung bedeuten.