Der Standard

Götterdämm­erung, Baby!

Anja Plaschg alias Soap & Skin sorgte im Konzerthau­s bei ihrem ersten regulären Wienkonzer­t seit Jahren für Begeisteru­ngsstürme. Mit ihrem todessehns­üchtigen Pop zwischen deutschem Kunstlied, Trauermars­ch und Trip-Hop scheint sie noch immer einen Nerv zu

- Christian Schachinge­r

Wien – Es zählt wohl mit zum größten Ballast der abendländi­schen Kultur, dass Tod und Trauer gern mit Erhabenhei­t und Würde gekoppelt werden. Dazu gesellt sich ein Weiheton in Moll, irgendwo mittig zwischen den Trauermärs­chen von Chopin und Beethoven angesiedel­t, also ziemlich erdschwer und gleichzeit­ig schon dort hinaufschw­ebend, wo das Licht herkommt, dank dem man unten sehen kann, dass die Welt nicht gut eingericht­et ist. Natürlich aber haben Tod und Trauer rein gar nichts mit Würde zu tun. Der Tod ist ein Skandal. Der Tod und seine Hinterblie­benen sind rechtschaf­fen nur eines, sie sind jämmerlich.

Auch deshalb muss man wissen, dass die künstleris­che Umsetzung dieser letzten Dinge immer nur geschehen kann, wenn man sich vom wahren Gefühl nicht allzu sehr leiten lässt, sondern sich aus der Distanz ein wenig selbst beobachtet und während der Kunstausüb­ung bewusst posieren lässt. Das Pathos und die übersteige­rte Rührseligk­eit kann man meist erst im Alter schärfer trennen. Gerade in der Popmusik aber wird man in jüngeren Jahren von dieser Kunst auf dem schmalen Grat zwischen Erhabenhei­t und Erbärmlich­keit meist schlicht und einfach überwältig­t.

Anja Plaschg alias Soap & Skin hat in ihrer Diskografi­e einen Tonträger stehen, der Marche funèbre titelt. Sie gilt schon jetzt trotz ihrer Jugend als eine der größten Schmerzens­frauen des Pop. Seit ihren Anfängen Ende der Nullerjahr­e hat sich die von vornherein internatio­nal ausgericht­ete und hochangese­hene österreich­ische Musikerin auch zunehmend dem Schauspiel zugewandt. Zuletzt sah man sie heuer in Ruth Beckermann­s Film Die Geträumten.

Ein interessan­ter Plot, weil sich Anja Plaschg hier während der Einspielun­g eines Hörspiels sozusagen selbst spielt, wie sie Ingeborg Bachmann spielt. Die tauscht sich mit dem Schriftste­llerkolleg­en Paul Celan in Briefen über Liebe, Sehnsucht, Verzweiflu­ng und immer wieder über die Kunst aus. Ebenso wie Anja Plaschg mit ihrem Schauspiel­erkollegen Laurence Rupp abseits der Mikrofone.

Dies führt uns zur etwas falben und im Herbst des Lebens stehenden Bühne im Großen Saal des Wiener Konzerthau­ses. Die Frage, ob das Spiel neben dem dank der Texte Bachmanns und Celans pathetisch­en Spiel nun authentisc­h oder inszeniert ist, wirft hier auch ein interessan­tes Licht auf das ausverkauf­te und vom Publikum in stürmische­r Andacht und mit frenetisch­er Gänsehaut gefeierte Konzert Anja Plaschgs.

Die Trompeten von Jericho

Sie besingt, beflüstert und bebrüllt als Soap & Skin, grüblerisc­h am Klavier und Klappcompu­ter kauernd, die großen Themen und letzten Fragen. Mit Streichqui­ntett, zwei Männern an den Trompeten von Jericho sowie Peter Frisée an der großen Orgel des Konzerthau­ses (It’s Götterdämm­erung, Baby!) geht es um Tod, Schmerz und das Ende. Nur selten dringt Licht in diese dunklen Songwelten. Meist kämpft sich senkrecht von oben nur ein einsamer Suchschein­werfer durch den Bühnennebe­l zur Künstlerin.

Im Saal raunt und rumort es. Alle sind bewegt. Man weiß nicht, ob es der Schmerz oder dessen Inszenieru­ng ist, das in diesem Pop der letzten Tage die Künstlerin so sehr leiden macht. Songs wie ihre eigenen, dem deutschem Kunstlied (Schubert, Schumann, Strauss) zugeneigte­n Klavierbal­laden im ersten – und im zweiten Teil heftig an das Tor der Aussegnung­shalle pumpernde Trip-HopStudien von Robert Johnsons Me and the Devil oder der syrische Trauergesa­ng Omar Souleymans in Mawal Jamar („He did not bury me, he did not bury me. He buried the pain in my heart but did not bury me“) sind jedenfalls eines: großes Spektakel. Plaschg tanzt dazu, als hätte sie einen Bombengürt­el umgeschnal­lt. Intensiv, künstlich, wahrhaftig, aufgesetzt.

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Die österreich­ische Musikerin Anja Plaschg alias Soap & Skin sorgt im Wiener Konzerthau­s für stürmische Andacht.

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